Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher - Стендаль страница 108

Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ küßte sie. Aber sofort packte die eiserne Faust der Pflicht sein Herz. »Wenn sie merkt, wie ich sie anbete, verliere ich sie.« Und noch ehe er sie aus seinen Armen ließ, war er wieder im Vollbesitz seiner Manneswürde.

      An diesem Tage und an den folgenden brachte er es zuwege, seine übergroße Glückseligkeit zu verbergen. Es gab Augenblicke, wo er sich sogar die Wonne versagte, die Geliebte in seine Arme zu schließen. Dann aber siegte wiederum der tollste Glückstaumel über alle Warnungen der Vernunft.

      Im Garten gab es eine Laube von Jelängerjelieber. Dort hatte er oft gestanden, hinaufgeschaut nach Mathildens Fenster und geweint über ihre Unbeständigkeit. Eine dicke Eiche hatte ihn vor unberufenen Blicken verborgen.

      Wenn er mit Mathilde an diesem Orte vorbeikam, dem Zeugen seines maßlosen Herzeleids, dann überwältigte ihn der Gegensatz der überstandenen Verzweiflung und seines gegenwärtigen Glückszustandes. In Tränen ausbrechend, nahm er die Hand der Geliebten, preßte sie an seine Lippen und beichtete ihr: »Hier habe ich gestanden und deiner gedacht. Hier hab ich nach deinem Fenster gespäht und stundenlang auf den seligen Augenblick gewartet, da diese Hand den Laden öffnete.«

      Seine Schwäche war grenzenlos. In den Farben der Wahrheit, die niemand erlügen kann, schilderte er Mathilden seine damalige ungeheure Verzweiflung. Dazwischen jubilierte sein jetziges Glück in kurzen Aufschreien, daß jene gräßliche Qual vorüber war.

      Plötzlich kam er zu sich. »Großer Gott, was tue ich!« rief er sich zu. »Ich verderbe mir all mein Glück!« Sein Schreck war derart stark, daß er sich bereits einbildete, in Mathildens Augen das Verflackern der Liebe zu erschauen. Er täuschte sich. Aber sein Gesicht veränderte sich. Er ward totenblaß. Seine Augen verloren im Augenblick ihr Feuer. Hatten sie eben noch von wahrster, sich selbst vergessender Liebe geredet, so sprachen sie mit einem Male von Hochmut, fast von Bosheit.

      »Was hast du, Liebster?« fragte Mathilde in zärtlicher Besorgnis.

      »Ich lüge dir etwas vor!« erwiderte er voll Grimm und Groll. »Ich will es nicht mehr tun! Bei Gott, ich achte dich allzusehr, um dich belügen zu können. Du liebst mich! Du opferst dich auf für mich! Du bist mit mir zufrieden! Was brauche ich dir da etwas vorzumachen?«

      »Allmächtiger!« rief sie aus. »Alle die köstlichen Worte, die du mir in der letzten Viertelstunde gesagt, alles das ist Komödie?«

      »Zu meinem lebhaften Bedauern muß ich mir diesen Vorwurf machen, verehrteste Freundin. Ich habe mir das alles einmal ausgedacht, für eine Frau, die mich ebenso liebte wie langweilte. Das ist ein Fehler meiner Natur. Ich will ihn vor dir nicht beschönigen.«

      Bittere Tränen flössen über Mathildens Wangen.

      Julian fuhr fort: »Immer wenn mich irgendwas verletzt, gerate ich, ohne es zu wollen, in einen traumartigen Zustand. Dann kommt mein abscheuliches Gedächtnis, das ich in diesem Augenblick verfluche, und reizt mich noch mehr. Und ich höre auf diesen Unfug!«

      »Sollte ich unwissentlich etwas getan haben, was dir mißfallen hat?« fragte ihn Mathilde in entzückender Harmlosigkeit.

      »Es kam mir eben in den Sinn«, log Julian, »daß du einmal an dieser Jelängerjelieber-Laube vorbeigegangen bist. Du pflücktest eine der Blüten. Herr von Luz griff darnach, und du ließest sie ihm. Ich stand keine drei Schritte davon…«

      »Herr von Luz? Unmöglich!« beteuerte Fräulein von La Mole in ihrem natürlichen Stolze. »Solche Manieren habe ich nicht.«

      »Und doch war es wirklich so!« versicherte Julian lebhaft.

      »Dann muß es also so gewesen sein, mein Lieber«, gab sie zu und blickte traurig zu Boden. Sie wußte bestimmt, daß sie Herrn von Luz seit vielen Monaten etwas Derartiges nicht erlaubt hatte.

      Julian schaute sie voll unsagbarer Sehnsucht an. »Ich bin überzeugt«, sagte er sich, »sie liebt mich nach wie vor!«

      Am Abend neckte ihn Mathilde mit seiner Vorliebe für die Marschallin. »Ein Bürgerlicher verehrt eine Emporgekommene! Ich glaube, diese Sorte Herzen sind die einzigen, die mein Julian nicht verrückt machen kann. Aber ein vollendeter Dandy bist du ihretwegen geworden!«

      Dies sagend, spielte sie mit seinem Haar.

      In der Tat war Julian in der Zeit, da er sich von Mathilden verachtet wähnte, einer der bestgekleideten jungen Männer geworden. Dabei hatte er etwas vor allen Stutzern voraus: Wenn seine Toilette beendet war, dachte er nicht mehr daran.

      Eins verdroß Mathilden. Julian hörte nicht auf, der Marschallin Briefe zu schreiben. Die russischen Briefe waren noch nicht zu Ende.

      62. Kapitel

      Julian überließ sich seinem Glücke nur in solchen Momenten bis ins Maßlose, wo ihm Mathilde seinen inneren Zustand nicht aus den Augen ablesen konnte. Gewissenhaft erfüllte er die Pflicht, ihr von Zeit zu Zeit ein hartes Wort zu sagen. Wenn er Mathilde zu seinem Erstaunen demütig und weich sah, wenn ihm ihre grenzenlose Hingabe die Macht über sich selber zu nehmen drohte, dann hatte er den Mut, sie brüsk zu verlassen.

      Mathilde liebte zum ersten Male.

      Das Leben, das ihr bis dahin träg dahingeschlichen war, entfloh ihr jetzt mit Windeseile. Gleichwohl erheischte ihr Stolz irgendwelche Betätigung, und so setzte sie sich kühn allen den Gefahren aus, die mit ihrer Liebschaft verknüpft waren. Julian war der Vorsichtige. Nur wo Gefahr im Spiele war, unterwarf sie sich nicht seinem Willen. So fügsam und ergeben sie gegen ihn war, um so hochmütiger benahm sie sich gegen jedermann, der im Hause mit ihr in Berührung kam, gegen ihre Eltern wie gegen die Dienerschaft.

      Abends im Salon, wenn oft an die sechzig Personen zugegen waren, rief sie Julian heran und unterhielt sich allein und lange mit ihm.

      Eines Tages setzte sich der kleine Tanbeau neben sie. Sofort bekam er von ihr den Auftrag, ihr aus der Bibliothek den Band Smolett zu bringen, in dem die Revolution von 1688 geschildert ist. Als er zögerte, fügte sie ihrem Befehl in kränkendem Tone, der für Julians Seele Nektar und Ambrosia war, die Worte hinzu: »Nehmen Sie sich nur ordentlich Zeit!«

      Als er fort war, sagte sie zu Julian: »Haben Sie den Blick dieses kleinen Scheusals bemerkt? Sein Onkel hat ein Dutzend Jahre unserm Hause Dienste geleistet. Sonst würde ich ihn augenblicklich vor die Tür setzen lassen.«

      Ihr Betragen gegen Croisenois, Luz und die andern Herren war zwar äußerlich tadellos höflich, aber im Grunde nicht minder herausfordernd. Sie machte sich starke Vorwürfe ob all der Geständnisse, die sie Julian gemacht hatte, um so mehr, weil sie ihm nicht zu bekennen wagte, daß sie die harmlosen Gunstbeweise, die sie ihren Freunden gegönnt, ihm übertrieben geschildert hatte. Trotz der schönsten Vorsätze hinderte sie ihr Frauenstolz immer wieder, zu Julian zu sagen: »Gerade weil ich mit dir sprach, machte es mir Vergnügen, dir zu bekennen, daß ich die Schwäche gehabt habe, meine Hand nicht zurückzuziehen, wenn Croisenois die seine auf einen Marmortisch legte und meine Hand ein wenig berührte.«

      Wenn jetzt einer der Herren ein Gespräch mit ihr begann, hatte sie bald eine Frage an Julian, damit er in ihrer Nähe blieb.

      Sie fühlte sich Mutter werden und teilte diese Entdeckung voller Freude dem Geliebten mit.

      »Zweifeln Sie noch an mir!« fragte sie ihn. »Ist das keine Bürgschaft? Ich bin nun für immerdar Ihre Frau!«

      Diese Mitteilung überraschte und erschütterte Julian. Er war nahe daran, das Leitmotiv seines Verhaltens zu vergessen. »Was hat es für Zweck, absichtlich kalt und böse gegen ein СКАЧАТЬ