Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher. Стендаль
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Название: Gesammelte Werke: Romane + Erzählungen + Essays + Memoiren + Tagebücher

Автор: Стендаль

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788026824862

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СКАЧАТЬ und Moral verpflichten mich zu dem peinlichen Schritt, den ich hiermit Ihnen gegenüber tue. Ich kann nicht anders; ich muß einen Mitmenschen schädigen, um dadurch ein noch größeres Ärgernis zu vereiteln. Mein Schmerz hierüber weicht meinem Pflichtgefühl.

      Es ist allzu wahr: die Person, über die Sie genaue Auskunft haben wollen, hat es verstanden, ihr Betragen anständig, zum mindesten nicht klar beurteilbar erscheinen zu lassen. Aus Rücksicht auf die Schicklichkeit hat man die Wahrheit verdeckt und versteckt. Das war ein Gebot der Klugheit. In Wirklichkeit jedoch war die sittliche Führung dieses Menschen im höchsten Grade verdammenswert. Mehr kann ich nicht sagen. Arm und habgierig, dabei der ärgste Heuchler, hat er eine schwache unglückliche Frau verführt, um vorwärtszukommen und etwas zu werden. Meine Pflicht zwingt mich zu meinem Bedauern hinzuzufügen, daß ich Herrn J. S. für einen Menschen ohne religiöse Grundsätze halte. Aus Gewissenhaftigkeit muß ich bekennen, daß ich glaube, eins seiner Mittel, um in einer Familie festen Fuß zu fassen, liegt darin, die angesehenste Dame des Hauses zu verführen. Hinter der Maske der Uneigennützigkeit und mit Romanphrasen im Munde hat er kein andres Ziel, als den Herrn des Hauses und dessen Vermögen in seine Macht zu bekommen. Unglück und ewige Reue läßt er hinter sich zurück…«

      Der Brief war sehr lang und stellenweise von Tränen halb verwischt. Frau von Rênal hatte ihn mit besonderer Sorgfalt geschrieben.

      Als er zu Ende gelesen hatte, sagte Julian: »Ich kann Herrn von La Mole keinen Vorwurf machen. Er hat klug und recht gehandelt. Welcher Vater gibt seine Lieblingstochter einem solchen Subjekt! Lebe wohl!«

      Damit sprang er aus der Droschke und lief nach seinem Postwagen, der am Eingang der Straße hielt. Mathilde, die offenbar für ihn nicht mehr da war, wollte ihm nacheilen. Aber die Krämer, die in ihren Ladentüren standen, waren stutzig geworden. So sah sie sich gezwungen, in ihren Garten zurückzueilen.

      Julians Ziel war Verrières. Auf dieser hastigen Fahrt wollte er an Mathilde schreiben, aber er war nicht dazu imstande. Was er auf das Papier warf, war unleserlich.

      Es war Sonntag vormittags, als er in Verrières anlangte. Sein erster Gang war zum Waffenhändler, der ihn mit Glückwünschen überhäufte. Die ganze Gegend sprach ja von seinem neuerlichen Glück. Er kaufte ein Paar Pistolen und ließ sie sich sogleich laden.

      Als er aus dem Geschäft heraustrat, ertönte der Dreischlag. In den französischen Dörfern ist dies nach mehrfachem Läuten das wohlbekannte Zeichen des alsbaldigen Beginnes der Messe.

      Julian betrat die neue Kirche von Verrières. Die sämtlichen hohen Fenster des Schiffes waren mit scharlachroten Vorhängen bedeckt. Ein paar Schritte hinter dem Sitz von Frau von Rênal blieb er stehen. Er sah, wie sie inbrünstig betete. Als er diese Frau, die er so heiß geliebt hatte, erblickte, zitterten ihm die Hände, so daß er sein Vorhaben zunächst nicht auszuführen vermochte.

      »Ich kann es nicht!« sagte er zu sich selbst. »Mein Körper versagt mir den Gehorsam.«

      In diesem Augenblick klingelte der Chorknabe, der bei der Messe ministrierte, zur Erhebung der Monstranz. Frau von Rênal senkte den Kopf. Fast sah Julian ihr Gesicht nicht mehr. Die Falten ihres Schals verdeckten es.

      Jetzt schoß er auf sie aber er traf nicht. Er schoß nochmals. Frau von Rênal sank um.

      66. Kapitel

      Julian blieb unbeweglich stehen. Er sah nichts mehr. Als er wieder zu sich kam, bemerkte er, daß alle Andächtigen aus der Kirche flohen. Der Priester hatte den Altar verlassen.

      Langsam schritt Julian hinter ein paar Weibern her, die kreischend davonliefen. Eine der Frauen, die rascher laufen wollte als die andern, prallte heftig an ihn an. Dadurch geriet er aus dem Gleichgewicht und stolperte über einen von der Menge umgerissenen Stuhl. Als er wieder aufstehen wollte, fühlte er sich am Kragen gepackt. Ein Schutzmann in voller Uniform nahm ihn fest. Unwillkürlich griff Julian nach seinen Pistolen, aber ein zweiter Gendarm fiel ihm in den Arm.

      Man führte ihn ins Gefängnis ab, steckte ihn in eine Zelle und legte ihm Ketten an. Dann verließ man ihn, und die Tür ward fest verschlossen. Alles das geschah in rascher Folge.

      Unempfindlich ließ er alles geschehen. Als er zur klaren Besinnung kam, sagte er sich: »Ja, ja, nun ist alles aus! In vierzehn Tagen stehe ich vor der Guillotine … wenn ich mich bis dahin nicht selber umgebracht habe…«

      Mehr vermochte er nicht zu denken. Es war ihm, als würde ihm der Kopf mit aller Gewalt zusammengepreßt. Er blickte um sich. Er hatte die Empfindung, als habe ihn jemand angefaßt. Nach einer Weile schlief er fest ein.

      Frau von Rênal war nicht tödlich verwundet. Die erste Kugel hatte ihren Hut durchbohrt. Gerade als sie sich umwandte, war der zweite Schuß losgegangen. Die Kugel war bis auf das Schulterblatt eingedrungen, hatte den Knochen zerschmettert, war dabei aber zurückgeprallt und gegen eine der gotischen Säulen geflogen, aus der ein Stück Stein abgesprengt ward.

      Als ihr der Wundarzt, ein ernster Mann, nach schmerzhafter Umständlichkeit einen Verband angelegt hatte, erklärte er: »Ich stehe Ihnen für Ihr Leben wie für das meine!« Da ward sie tieftraurig.

      Seit langem hegte sie aufrichtige Todessehnsucht. Der Brief an Herrn von La Mole, den ihr jetziger Beichtvater ihr abgezwungen hatte, versetzte ihrem durch beständiges Herzeleid zerrütteten Gemüt den letzten Stoß. Dies Herzeleid hatte seinen Grund in der Trennung von Julian. Sie nannte es freilich Reue. Ihr Seelsorger, ein tugendhafter junger Eiferer, der erst kürzlich aus Dijon hergekommen war, täuschte sich über ihren Zustand nicht.

      »Solch ein Tod, nicht durch eigne Hand, wäre keine Sünde«, dachte Frau von Rênal bei sich. »Gott vergibt mir wohl, daß ich mich über meinen Tod freue.« Sie wagte nicht hinzuzusetzen: »Und von Julians Hand zu sterben, wäre mir die höchste Glückseligkeit.«

      Kaum war sie der Gegenwart des Arztes und der in Menge herbeigeströmten guten Bekannten enthoben, da ließ sie ihre Jungfer Elise kommen.

      »Der Kerkermeister ist ein Menschenschinder«, sagte sie voll Scham. »Ohne Zweifel wird er den Attentäter mißhandeln, im Glauben, mir damit einen Gefallen zu tun. Der Gedanke daran ist mir unerträglich. Könntest du nicht, gleichsam aus freien Stücken, zu diesem Menschen gehen und ihm dieses Päckchen bringen? Es sind ein paar Goldstücke drin. Du müßtest ihm sagen, es wäre wider Gottes Gebot, einen Gefangenen zu quälen. Selbstverständlich darf er ihm nichts von dem Gelde sagen.«

      Diesem Umstände verdankte Julian, daß ihn der Kerkermeister menschlich behandelte. Es war noch immer Noiroud, jene echte Beamtenkreatur, den damals der Besuch des Herrn Appert in tausend Ängste versetzt hatte.

      Der Untersuchungsrichter erschien in der Zelle.

      »Ich habe den Mord mit Vorbedacht begangen«, erklärte ihm Julian. »Die Pistolen habe ich kurz vorher beim hiesigen Waffenhändler gekauft und mir von ihm laden lassen. Nach dem Strafgesetzbuche verdiene ich den Tod und erwarte ihn.«

      Der Richter war über diese Antwort erstaunt. Er versuchte noch mehr Fragen zu stellen, damit sich der Angeklagte in Widersprüche verwickele.

      Julian erwiderte lächelnd: »Sehen Sie nicht, daß ich das Schlimmste eingestehe? Größere Strafbarkeit können Sie nicht begehen. Gehen Sie, Herr Richter! Die Beute, nach der Sie jagen, ist Ihnen sicher. Sie werden das Vergnügen haben, mich verurteilen zu können. Ersparen Sie mir Ihre weitere Gegenwart!«

      Mathilde fiel ihm ein.

      »Jetzt verbleibt mir die verdrießliche Pflicht, an Fräulein von La Mole schreiben zu müssen.«

      Der СКАЧАТЬ