Название: Karin Bucha Paket 1 – Liebesroman
Автор: Karin Bucha
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Karin Bucha
isbn: 9783740959500
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Da ließ er sie los, ging ein paarmal hin und her und blieb dann mit verändertem Gesicht vor ihr stehen.
Kalt, ohne Güte war seine Stimme, so daß sie fühlte, wie ihr alles Blut zum Herzen jagte.
»Sie haben mich bitter enttäuscht, Angela Martens. Für so verstockt hätte ich Sie nicht gehalten. Sie wollen ableugnen, daß Sie verändert sind, daß etwas nicht stimmt bei Ihnen? Wollen Sie etwa auch ableugnen, daß Sie gestern in Gesellschaft eines sogenannten Lebemannes in einem Weinlokal zweifelhaften Rufes gewesen sind?«
Angela wankte, und es sah aus, als wolle sie umfallen.
Ehe er sie stützen konnte, hatte sie sich bereits wieder in der Gewalt. In ihrem Gesicht zuckte und arbeitete es. Aus dem Mund des allzeit gültigen und verehrten Lehrers ihren Vater abermals einen Lebemann nennen zu hören, ging über ihre Kraft.
»Nein, nein«, schrie sie verzweifelt auf, das – das ist nicht wahr!«
»Leugnen Sie nicht!« fauchte er, aber er mußte sich in diese zornige Stimmung hineinsteigern. »Natürlich kommt der Vorfall vor den Direktor, und die Folge davon ist – daß Sie von der Schule fliegen.«
Angela hob die schönen klaren Augen.
An den langen dunklen Wimpern hingen die Tränen wie Tautropfen.
»Ich habe die beste und gütigste aller Mütter«, entrang es sich ihr in ungeheurer Qual. »Sie hat mir von jeher Opfer über Opfer gebracht, und sie ist so stolz darauf, mir den Besuch des Gymnasiums ermöglichen zu können. Sie wäre todunglücklich, wenn sie erführe, daß – daß ich – von der – Schule fliege.«
Dr. Kant trat rasch fort von ihr, stellte sich ans Fenster und starrte ratlos in den leeren Schulhof. Von dem Seitengebäude kam eine Klasse der Kleineren vom Turnen, und das helle Jauchzen der Kinder drang zu ihm herauf.
Er entsann sich, daß er gerade Angela Martens niemals so von Herzen fröhlich gesehen hatte, immer lag etwas Bedrücktes über ihr.
Wer weiß, was für eine harte Jugend hinter dem Mädel lag. Nach ihrem letzten Geständnis kam es ihm doppelt irrsinnig vor, Angela zuzutrauen, daß sie heimliche Wege ging, vor allem unsaubere Wege.
Rasch kam er auf sie zu.
»Zweimal haben Sie mich bitter enttäuscht, Angela, gestern, als ich Sie sah – und ich hatte Sie für das wahrhaftigste Menschenkind gehalten…«
»Herr Doktor«, sagte Angela schluchzend, »gestern konnte ich nicht sprechen, aber heute kann ich es. Das heutige Vorkommnis trennt mich sowieso von dem weiteren Besuch der Schule. Ich habe bisher geschwiegen, aber aus einem ganz anderen Grund, als Sie anzunehmen scheinen.«
Auf einmal war das blasse, zuckende Mädchengesicht in flammende Glut getaucht, und der Kopf senkte sich wie unter einer schweren Last.
»Sie haben schon recht gesehen, Herr Doktor, ich befand mich in Gesellschaft eines Mannes in dem betreffenden Weinlokal, aber gegen meinen Willen, glauben Sie mir! Ganz außer mir geriet ich, als auch Sie – diesen Mann als einen Lebemann bezeichneten, denn ihnen glaube ich, und doch sträubt sich noch alles in mir, so daß ich ganz verzweifelt bin und nicht mehr weiß, was ich tun soll. Dieser Mann ist nämlich mein – Vater!«
Nichts hätte Dr. Kant mehr überraschen können als dieses Geständnis. Seine Hand hob sich, sank aber wieder zur Seite. Er hätte gern den in Scham gesenkten Kopf des Mädchens gestreichelt, aber er wagte es nicht.
Sein Herz war voll Mitleid, und er bat ihr im Innern alles ab, was er über sie gedacht hatte.
Freude goß sich wie ein helles Licht über sein gütiges Gesicht. Sie wußte nicht, was sie ihm mit ihrer Offenheit zurückgegeben hatte: den Glauben an seine Menschenkenntnis.
»Ich glaube« – er zwang sich zur Ruhe – »man wird sehr mild über Ihr Vergehen urteilen, denn sicher haben die Mädel sie in Gesellschaft Ihres Vaters gesehen, ohne zu wissen, wer er war. Und Sie haben den schlechten Eindruck durch Ihr Schweigen noch vertieft! Folgerichtig haben sich die Mädel dagegen aufgelehnt – vielleicht wurden Sie sogar gequält?«
Angela dachte an die entsetzlichen Stunden, die hinter ihr lagen, und ein schwaches, fast schattenhaftes Lächeln glitt über ihr Gesicht.
»Ich verzeihe meinen Kameradinnen alles, aber ich werde nie wieder einen Fuß in meine Klasse setzen. Ich kann die Schule niemals wieder betreten.«
»Gehen Sie für heute heim«, sagte er. »Ich schicke Susanne Poller mit Ihren Sachen hierher. Sie werden von mir hören.«
»Vielen Dank«, stammelte sie erlöst, und ehe er es sich versah, hatte sie ihre Lippen auf seine Hand gepreßt.
Schnell verließ er sie und suchte das Klassenzimmer auf. Eine tiefe Falte lag auf seiner Stirn. Er spürte sofort, daß die Stimmung unter den Mädchen umgeschlagen war, und auch das freute ihn, genau wie er vorher die Empörung auf Angela verstanden hatte.
Keine wagte aufzusehen, als er unschlüssig durch die Reihen ging. Zuerst schickte er Susanne Poller mit Angela Martens’ Sachen in das Lehrerzimmer.
Und nun wandte er sich an die ganze Klasse.
»Es gibt Situationen im Leben eines Menschen, wo er dem Punkt nahe gekommen ist, daß er sich nicht anders mehr zu helfen weiß, als durch eine Gewalttat die innere Spannung zum Reißen zu bringen.
Sie haben Angela Martens bitter Unrecht getan, meine Damen. Vorausschicken möchte ich noch, daß Ihre Kameradin keine von Ihnen verpetzt oder angegriffen hat. Aber« – er lächelte – »schließlich bin ich ja kein Dummkopf und habe in meiner langjährigen Lehrtätigkeit Menschen aller Art – und jeden Charakters kennengelernt. Sie dürfen auch in diesem Fall meiner Menschenkenntnis Glauben schenken. Ich verstehe auch Sie, denn Sie sahen den Ruf Ihrer Klasse durch eine Ihrer Kameradinnen gefährdet und lehnten sich dagegen auf. Wie Sie es taten, war aber nicht ganz richtig. Man verschießt keine Pfeile, die ein junges Menschenherz schwer treffen und es zum Bluten bringen. Vor allem darf man nicht urteilen, wenn man nicht ganz genau Bescheid weiß. Und nun will ich Ihnen gleich noch ein Bekenntnis machen. Ich stand unter dem gleichen Eindruck wie Sie, meine Damen, denn ich – ich hatte Angela Martens auch mit – mit einem Mann gesehen und ihn sofort als einen berüchtigten Lebemann erkannt. Heute habe ich nun zu meinem größten Bedauern erfahren müssen, daß dieser Mann – Angelas Vater ist.«
Betroffenheit malte sich in den Gesichtern der lauschenden Mädchen. Und als sie sich etwas gefaßt hatten, fuhr er abschließend fort:
»Damit hat das traurige Vorkommnis, das ich aus tiefstem Herzen bedaure, seine Erklärung gefunden, und Angela Martens’ Ehre ist wiederhergestellt. Wir wollen nun hoffen, daß sie in unsere Mitte zurückkehrt, denn ich würde eine meiner besten Schülerinnen und Sie eine treue, wertvolle Kameradin verlieren. Und nun wollen wir an die gemeinsame Arbeit gehen.«
Susanne Poller liefen die hellen Tränen über die Wangen.
Angela, dachte sie, liebe, gute Angela, auch ich hatte dich in Verdacht! Wenn ich das doch vorhin gewußt hättel.
Aufschluchzend legte sie sich mit dem Oberkörper auf die Bank und weinte fassungslos.
*
Bettina Martens war eben im Begriff, СКАЧАТЬ