Название: Die Freimaurer
Автор: Dieter A. Binder
Издательство: Bookwire
Жанр: Общая психология
Серия: marixwissen
isbn: 9783843800228
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Das Bild des Ritters
Exkurs zu Modellen der Hochgrade
Von der richtigen Erkenntnis ausgehend, dass die Freimaurerei sehr rasch eine „Modebeschäftigung“ geworden ist, hält Bernhard Beyer fest, wie sehr die männliche Exklusivität der englischen Maurerei auf dem Kontinent in Frage gestellt worden sei. Überdies hätte die französische Maurerei „schon frühzeitig die edle Einfachheit der englischen Rituale und der alten Tradition durch verschiedene neue Muster und Anhängsel übertüncht und zum glänzenden, mit großen Zeremonien ausgestatteten Amüsement verbildet“.132 Wenngleich hier Beyer, ganz Kind seiner Zeit und seines Umfeldes, denunziatorisch Entwicklungen, die er als Irrwege interpretiert, an den französischen Nachbarn weiterreicht, obwohl sie vielfach deutschen Ursprungs gewesen sind, soll hier das Aufbrechen der „edlen Einfachheit der englischen Rituale“ kurz im Hinblick auf die Hochgradsysteme, „Ritterspielereien“,133 wie sie etwa signifikant für die „Strikte Observanz“ gewesen sind, angesprochen werden.
LESSINGs Falk reagiert spöttisch auf diesen Wildwuchs, der die Freimaurerei des 18. Jahrhunderts zutiefst irritierte, letztlich wohl auch deshalb, weil man von der Vorstellung einer „reinen Lehre“ auszugehen schien.134
„Ernst: […] Der eine will Gold machen, der andere will Geister beschwören, der Dritte will die [Tempelritter]135 wieder herstellen – Du lächelst – Und lächelst nur? – […]
Falk: […] Man müßte sie vielmehr laut bekennen, und nur den gehörigen Punkt bestimmen, in welchem die [Tempelherren] die Freimaurer ihrer Zeit waren.[…]Sehen und fühlen alle Freimaurer, welche jetzt mit den [Tempelherren] schwanger gehen, diesen rechten Punkt: wohl ihnen. […] Erkennen und fühlen sie ihn aber nicht, jenen Punkt; hat sie der Gleichlaut verführt; hat sie bloß der Freimaurer, der im [Tempel] arbeitet, auf die [Tempelherren] gebracht; haben sie sich nur in das [rote Kreuz] auf dem [weißen Mantel] vergafft; möchten sie gern einträgliche [Komtureien], fette Pfründen sich und ihren Freunden zuteilen können;–“.
Peter Burke streicht die Bedeutung der „Ritterromane“ für das gesellschaftliche Bewusstsein um die Mitte des 18. Jahrhunderts hervor136 und zitiert dabei einen höchst bemerkenswerten Aspekt aus William ROBERTSONs „History of Charles V“ (1769): „Das „Rittertum […] das ja gemeinhin als eine wilde Institution gilt […], entwickelte sich ganz natürlich aus dem damaligen Gesellschaftszustand und hatte einen nachhaltige Einfluss auf die Verfeinerung der Sitten der europäischen Völker.“
Man könnte an dieser Stelle die Vermutung äußern, dass die Rezeption des Rittertums einer Feminisierung der Sitten, wie sie seit der frühen Neuzeit beobachtet werden kann,137 entgegentreten sollte. Bezogen auf das 19. Jahrhundert und die anhaltenden Begeisterung für das „Rittertum“ könnte man zu einem weiteren Schluss kommen: In dem Ausmaß, in dem die höfische Etikette ihre Rolle als Vorbild immer mehr einbüßte, sah sich die aufstrebende Bourgeoisie nach einem Ersatz um. Der Gentleman, der Gentleman-Mason wurde ins Ritterliche überhöht und konnte so die Folie für ein entsprechendes Ritual abgeben.
Allerdings, und dies ist in diesem Kontext das entscheidende Kriterium, ist der Aufstieg in das „Rittertum“ nicht mehr an die Zugehörigkeit zum Adel gebunden, sondern Bestandteil eines freimaurerischen Erziehungs- und Auswahlsystems. Man könnte hier also von einem „Adel des Geistes“ sprechen, wie dies auch heute im Zusammenhang mit einer spezifischen Klasse innerhalb des Souveränen Malteser-Ritter-Ordens geschieht.138 Verknüpft man die Hinwendung zu den ritterlichen Hochgraden mit dem Ideal des Gentlemans, kehrt man zu den Begriffen „a man of extraction“ und „great lineage“ zurück. Die beim Gentleman vorausgesetzte „gute Abstammung“ wird innerhalb des sozialen Netzes substituiert. Mit der Hinwendung zum „Rittertum“ partizipiert man an einer alten Tradition, die wesentlich zur Ausdifferenzierung der mittelalterlichen feudalen Gesellschaft beigetragen hat.139 Die Berufung auf die Templer Tradition, die bis heute ihre Attraktivität nicht verloren hat,140 oder auf König Arthurs Tafelrunde bzw. auf den Gral141 kann mit einem anderen Versuch gleichgesetzt werden, der zwar nicht unbedingt das Ritual, wohl aber die Phantasie angeregt hat: Mit dem Versuch einer freimaurerischen Geschichtserzählung, die in der Tradition von ANDERSONs Chronik das sagenhafte Alter der Maurerei belegen will.142 ANDERSON setzt bekanntlich bei ADAM ein und zieht eine kontinuierliche Linie über NOAH, das Zweistromland, Ägypten und SALOMONs Tempel nach Griechenland und Rom. Die restlichen Jahrhunderte bis hin zur Niederschrift verknüpfen die Christianisierung Europas, das Reich KARL MARTELLs und die gotischen Bauhütten schließlich mit WILHELM dem EROBERER und den englischen Königshäusern. In all diesen Versuchen143 geht es um zweierlei: Aus dem Alter des Bundes dessen Würde und damit die Würde seiner Mitglieder abzuleiten, wie dies in der Historiographie vor allem seit der Renaissance im Hinblick auf Herrscherhäuser zu geschehen pflegte, und die Traditionen anderer Kulturkreise und deren Initiationsriten dem innermaurerischen Diskurs zu eröffnen. Präzise hat Gottlieb IMHOF dazu aus freimaurerischer Sicht Stellung bezogen: „Es ist nicht zu bestreiten: die Analogien zwischen dem freimaurerischen Brauchtum und demjenigen, sowohl antiker Mysterienbünde, aber auch von Männerbünden bei den Primitiven der Jetztzeit sind oft geradezu beunruhigend. Aber was beweisen sie in Wirklichkeit? Trotz gegenteiliger Behauptung ist das Gebiet der Symbolik bei weitem nicht unbegrenzt. Im Wesentlichen haben wir es immer mit der Wechselwirkung gegensätzlicher Prinzipien zu tun, wie Gut und Böse, Kosmos und Chaos, Licht und Finsternis, Himmel und Hölle. […] Aber ihr Urgrund […] der Dualismus, der die Innen- wie die Außenwelt spaltet, ist stets derselbe.“144
Eindrucksvoll dokumentiert dies auch der „Kulturvergleich“ der „Rolle des Mannes“ von Gisela VÖLGER und Karin von WELCK, innerhalb dessen die Freimaurer aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet145 und mit unterschiedlichsten Männerbünden in Analogie gesetzt werden. Die Aneignung spezifischer Formen innerhalb eines Erziehungsmodells, wie dies innerhalb der Freimaurerei in seiner Rezeption des Rittertums geschieht, führt zurück zur These: Freimaurerei als Erziehung zum Gentleman.
Das Prinzip der Selbsterziehung
Der „raue Stein“ ist für „den Maurer Sinnbild seiner selbst“,146 im Ritual des 1. Grades und dessen Symbolik wird der Lehrling zur Arbeit an sich selbst aufgerufen. Zentrales Anliegen der Betrachtungen KNIGGEs über den „Umgang mit Menschen“ ist zunächst der „Umgang mit sich selber“.147 Die darin zum Ausdruck kommende Selbsterziehung und Selbstachtung wird aber ausdrücklich als sozialer Auftrag interpretiert, wodurch die Hinwendung zum Narziss verhindert wird: „Willst Du aber im Umgange mit Dir Trost, Glück und Ruhe finden, so mußt Du ebenso vorsichtig, redlich, fein und gerecht mit Dir selber umgehn wie mit Andern, also dass Du Dich weder durch Mißhandlung erbitterst und niederdrückest noch durch Vernachlässigung zurücksetzest, noch durch Schmeicheley verderbest.“148
Diese Position läuft also darauf hinaus, in der Selbsterziehung und Selbstwahrnehmung im Gleichklang mit dem Umfeld zu agieren, wobei KNIGGE ausdrücklich auf die Gefahr der Unduldsamkeit gegenüber anderen in der Selbsterziehung aufmerksam macht: „Gewöhnlich erlaubt man sich alles, verzeyt sich alles und Anderen nichts; gibt bey eigenen Fehltritten, wenn man sich auch dafür anerkennt, dem Schicksale oder unwiderstehlichen Trieben die Schuld, ist aber weniger duldend gegen die Verirrungen seiner Brüder.“149
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