Название: Die bedeutendsten Staatsmänner
Автор: Isabella Ackerl
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: marixwissen
isbn: 9783843802093
isbn:
Werke (Auswahl)
Krieg in Norwegen (1942)
Norwegens Freiheitskampf 1940–1945 (1948)
Mein Weg nach Berlin (1960)
Begegnungen mit Kennedy (1964)
Friedenspolitik in Europa (1968)
Notizen zum Fall G.
Über den Tag hinaus (Erinnerungen 1974)
Begegnungen und Einsichten. Die Jahre 1960–1975 (1976)
Links und Frei. Mein Weg 1930–1950 (1982)
Der organisierte Wahnsinn. Wettrüsten und Welthunger (1985)
Erinnerungen (1989)
ARISTIDE BRIAND
Aristide Briand, der erste Staatsmann, der den Gedanken einer europäische Union aufgegriffen hatte, wurde als Sohn des Besitzers einer Hafenkneipe mit dem Namen »Croix Verte« in Nantes geboren. Er zeichnete sich als Schüler nicht durch hervorstechenden Fleiß aus, aber seine schnelle Auffassungsgabe und sein brillantes Gedächtnis ließen ihn für ein Studium geeignet erscheinen, mit dem er mit 16 Jahren im Lycée in Nantes begann. Dort lernte er den Schriftsteller Jules Verne kennen, der seine brillante Auffassungsgabe hoch schätzte und ihn in seinem Roman »Zwei Jahre Ferien« als Vorbild für seine Hauptfigur Briant nahm, einen Anführer von Jugendlichen, der sich durch Intelligenz und Wagemut auszeichnet.
1883 begann Briand in Paris als Werkstudent Jura zu studieren und ließ sich nach seinem Examen in Saint-Nazaire als Anwalt nieder. 1892 musste er die Stadt wegen eines Skandals – er war mit einer verheirateten Frau in einer angeblich strafbaren Situation erwischt und vor Gericht gestellt worden – verlassen und ging nach Paris. Das Urteil gegen ihn wurde jedoch vom Kassationsgerichtshof aufgehoben.
In der französischen Hauptstadt schrieb er für das antiklerikale Journal »La Lanterne« und für die linken Zeitschriften »Le Peuple« und »Petite République«, doch es war die Politik, die ihn faszinierte und für die er sich begeisterte. Sein großes Vorbild wurde der Gewerkschaftsführer Fernand Pelloutier, der als »Theoretiker des Generalstreiks« bezeichnet wurde. Briand profilierte sich als glänzender Redner bei sozialistischen Versammlungen, er machte sich einen Namen als Teilnehmer bei Kongressen. Der Parteidisziplin wollte er sich allerdings nicht unterwerfen, dazu war er ein zu unabhängiger Geist und auch kein tief überzeugter Marxist. Dreimal, nämlich 1889, 1893 und 1898, versuchte er bei den Wahlen einen Parlamentssitz zu gewinnen, doch jedes Mal vergeblich.
Als sich die verschiedenen sozialistischen Gruppen Frankreichs auf Drängen der Internationale in einer Partei einigten, gehörte er mit Jean Jaurès, mit dem er 1904 die Zeitschrift »L’Humanité« gründete, zu den Mitinitiatoren. Doch bald beschritt er einen anderen Weg, der ihn in die Führungsschicht der bürgerlichen Dritten Republik führen sollte.
1901 wurde er als Vertreter des Departements Loire zum Mitglied der französischen Nationalversammlung gewählt und fand in der Volksvertretung das für ihn ideale Forum, um seine Vorstellungen zu artikulieren. Er wurde ein glänzender Vertreter des parlamentarischen Diskurses.
Seine erste große Aufgabe war die Erstellung eines Berichts über eine Gesetzesvorlage zur Trennung von Staat und Kirche. Von konsequenten liberalen Vorstellungen beseelt, ging er an diesen Auftrag heran, weder die religiösen Gefühle der Bevölkerung noch die Freiheit der Kultusausübung sollten angetastet werden. Es gelang ihm, sowohl die Rechten als auch die Linken zu beschwichtigen. Damals nannte ihn sein Kollege in der Kammer, Maurice Barrès, ein »Monstrum an Elastizität«. Seine Stärken waren ein hoch entwickeltes diplomatisches Geschick und seine überzeugende Bereitschaft zum Interessensausgleich. Elfmal wurde er in der Folge zum Präsidenten der Kammer gewählt.
1906 wurde Briand erstmals ins Kabinett berufen, und zwar als Kultusminister, wo er bei der Handhabung des von ihm nachhaltig beeinflussten Gesetzes der Trennung von Staat und Kirche getreu seinen liberalen Vorstellungen handelte. In den folgenden Jahren wurde Briand 26-mal mit einem Regierungsamt betraut, 15-mal leitete er das auswärtige Ressort, elfmal stand er als Ministerpräsident an der Spitze des Kabinetts.
In den Kriegsjahren 1915 bis 1917 Ministerpräsident, forderte er als Kriegsziele Frankreichs die Annexion des Rheinlandes und des Saargebietes. Noch bis zur Londoner Konferenz von 1921, die sich mit den deutschen Reparationszahlungen befasste, hielt er an den Bestimmungen des Versailler Vertrages fest. Ein Jahr später wollte er eine Verständigungspolitik (rapprochement) mit Deutschland einleiten, doch Alexandre Millerand, damals Präsident der Republik, desavouierte seine Politik, und Briand demissionierte.
1925, wieder zum Minister für auswärtige Angelegenheiten bestellt, nahm er seine Verständigungspolitik abermals auf. Nun versuchte er, in Europa ein System der kollektiven Sicherheit zu schaffen, in dem auch Deutschland seinen Teil leisten sollte. Es sollte sich freiwillig verpflichten, den Status quo, also den Vertrag von Versailles mit all seinen für Deutschland teils demütigenden Bedingungen, zu wahren.
Der erste Schritt zu einem solchen System war der Vertrag von Locarno, der am 16. Oktober 1925 unterzeichnet wurde. Dieser Vertrag garantierte die französisch-deutschen und belgisch-deutschen Grenzen und sah einen gegenseitigen Beistandspakt vor. Im Dezember 1926 erhielt Briand gemeinsam mit seinem deutschen Amtskollegen Gustav Stresemann den Friedensnobelpreis.
Schließlich schloss er am 27. August 1928 mit dem amerikanischen Staatssekretär Frank Billings Kellogg den viel zitierten Briand-Kellogg-Pakt, der den Krieg ächtete. Obwohl diesem Pakt 60 Staaten beitraten, hatte er nur moralischen Wert und keine ideologischen Konsequenzen.
Inspiriert von der paneuropäischen Idee des Österreichers Richard Coudenhove-Kalergi, legte Briand ein Memorandum über die Schaffung einer europäischen Union vor. 1927 wurde er Präsident der von Coudenhove-Kalergi gegründeten Paneuropa-Bewegung. 1929 präsentierte er beim Völkerbund einen Zollunionspakt zwischen Frankreich, Deutschland und den Nachbarstaaten, eine sehr weit gehende Vereinbarung, die auch die Sowjetunion einschließen sollte. Sein präzise ausgearbeiteter Vorschlag für eine europäische Konferenz, den er 1930 unterbreitete und der einen gemeinsamen Markt vorschlug, hatte wieder großen Erfolg.
Doch Europa und die Mächte waren noch nicht reif für eine gemeinsame Politik, Briands und damit Coudenhove-Kalergis Ideen scheiterten am Egoismus der Nationalstaaten, an der eklatanten Schwäche des Völkerbundes und an der Unmöglichkeit einer allgemeinen Abrüstung. Das nationale Interesse der einzelnen Staaten war noch immer stärker als die gemeinsamen Ziele, was auch beim Scheitern einer deutsch-österreichischen Zollunion von 1931 offenkundig wurde. Damit war Europa um eine Friedenshoffnung ärmer. Erst die Römischen Verträge von 1957 nahmen Briands Ideen wieder auf.
Nachdem Briand bei den Präsidentschaftswahlen von 1931 gegen Paul Doumer unterlegen war, zog er sich ins Privatleben zurück.
Der »pèlerin de la paix«, der »Wanderprediger des Friedens«, wie Aristide Briand genannt wurde, war zu dieser Zeit durch seine auf Ausgleich gerichtete Politik zwar visionär, aber nicht modern, denn sie entsprach nicht dem Zeitgeist des politischen Diskurses. Vertrauen statt Misstrauen gehörte noch nicht zum Vokabular der europäischen Politik. Wie sein deutscher Amtskollege Stresemann war auch Briand Freimaurer, in Paris gehörte er der Loge »Le Chevalier du Travail« an.
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