Gesammelte Erzählungen von Anatole France. Anatole France
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Название: Gesammelte Erzählungen von Anatole France

Автор: Anatole France

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027208852

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СКАЧАТЬ dann fühlte er sich frei und seelenvergnügt, spuckte in die schwieligen Hände, damit sie geschmeidiger wurden, und faßte von neuem die Griffe seines Handwagens.

      Die Sperlinge, die wie er arme Frühaufsteher waren und ihr Futter am Wege suchten, flatterten auf bei seinem Rufe –Kohl, Rüben, Wurzeln – und flogen vor ihm her.

      Eine alte Haushälterin kam heran und prüfte das Gemüse.

      »Ja, was war denn mit Ihnen los, Vater Crainquebille«, fragte sie, »man hat Sie ja so lange nicht gesehen. Sind Sie krank gewesen? Sie sehen etwas blaß aus.«

      »Tje«, erwiderte Crainquebille, »ich will Ihnen was sagen, Frau Mailloche, ich hab’ ‘n bißchen privatisiert.«

      Nichts in seinem Leben ist verändert, höchstens daß er häufiger als sonst ein Gläschen trinkt. Er hat das Gefühl, als sei immer Feiertag, und dann hat er ja auch die Bekanntschaft von mildtätigen Leuten gemacht.

      Ein bißchen angeheitert gelangt er abends in seinen Verschlag. Dann streckt er sich zufrieden aus, deckt sich mit den Säcken zu, die ihm sein Freund, der Kastanienverkäufer von der Ecke, geliehen hat und brummt vor sich hin:

      »Im Gefängnis ist es gar nicht so übel, man hat da alles, was man braucht, aber einerlei, zu Hause ist es doch besser.«

      Seine Zufriedenheit sollte nicht lange dauern. Er bemerkte bald, daß die Kunden ihn schnitten.

      »Ich habe heute recht schönen Sellerie, Madame Cointreau«, sagte er freundlich.

      »Brauche nichts«, erwiderte die Frau barsch.

      »Was, Sie brauchen nichts? Sie leben doch jetzt wohl nicht bloß von der Luft?« fragte Crainquebille erstaunt.

      Aber Madame Cointreau würdigte ihn keines Blickes und ging stolz in ihren Schlächterladen. Sonst hatten sich Meisterinnen und Mädchen um seinen Wagen gedrängt, der stets mit reichlicher Auswahl versehen war, jetzt drehten sie ihm alle den Rücken, sobald sie ihn sahen.

      Als Crainquebille zu dem Schusterladen kam, wo sein gerichtliches Abenteuer angefangen hatte, rief er:

      »Madame Bajard, Madame Bajard, Sie sind mir noch von neulich die fünfzehn Sous schuldig.«

      Aber Madame Bajard, welche an der Kasse thronte, hielt es unter ihrer Würde, ihn zu beachten.

      Die ganze Straße wußte, daß der alte Crainquebille aus dem Gefängnis kam, und alle taten, als ob sie ihn nicht kannten.

      Von hier aus hatte sich das Gerücht in dem ganzen Viertel verbreitet.

      Als Crainquebille gegen Mittag in eine andre Straße kam, sah er seine freundliche Kundin Madame Laure an dem Gemüsewagen des kleinen Martin stehen. Sie musterte gerade einen großen Kohlkopf. Ihre Haare glänzten wie eine Unmasse feiner goldener Fäden. Und Martin, der Knirps, dieser schmutzige Lausbub, schwor mit der Hand auf dem Herzen, daß es weit und breit keine bessere Ware gäbe, als die seine.

      Das gab Crainquebille einen Stich ins Herz. Er stieß seinen Wagen gegen Martins Karren und sagte mit klagender, gebrochener Stimme:

      »Das ist nicht schön von Ihnen, daß Sie mir untreu werden.«

      Wie sie selbst eingestand, war Madame Laure durchaus nicht als Herzogin geboren. Und ihre Kenntnisse vom grünen Wagen und Gefängnis hatte sie sich auch nicht gerade in der großen Welt erworben.

      Aber man kann in allen Lebenslagen ehrlich sein, nicht wahr? Jeder hat seine Portion Selbstgefühl, und man mag nichts zu tun haben mit einem Individuum, das gerade aus dem Gefängnis kommt.

      Daher antwortete sie Crainquebille nur mit einem verächtlichen Achselzucken und wandte sich ab.

      Der alte Mann zuckte schmerzlich zusammen, dann aber fuhr er auf und brüllte ihr nach:

      »Schanddirne, – liederliches Weibsbild!«

      Vor Schreck ließ Madame Laure ihren Kohlkopf fallen.

      »Scher’ dich weiter, du Lump«, rief sie außer sich vor Entrüstung, »so was kommt gerade aus dem Gefängnis heraus und will andere beleidigen.«

      Bei ruhigem Blut hätte Crainquebille Madame Laure niemals ihren Lebenswandel vorgeworfen. Er wußte nur zu gut, daß es in dieser Welt nicht so geht, wie man gern möchte, und daß man sich sein Handwerk nicht immer wählen kann.

      Für gewöhnlich kümmerte er sich überhaupt nicht darum, was seine Kunden taten. Aber heute war er außer sich. Er schimpfte hinter der Frau her:

      »Gemeine Person, Hurenmensch …«

      Ein Kreis von Neugierigen sammelte sich um die beiden, die immer ausfälliger wurden. Wahrscheinlich hätte die Schimpfszene noch lange fortgedauert, wenn nicht plötzlich ein Polizist aufgetaucht wäre und sie durch seine schweigende Unbeweglichkeit eingeschüchtert hätte.

      Leise murrend gingen die beiden auseinander.

      Nach diesem Auftritt aber war Crainquebille in seinem Viertel erst recht unmöglich geworden.

      Die Folgen.

      Und der alte Mann zog weiter und murmelte für sich hin:

      »Ganz sicher, daß sie so eine ist, – ja, sie ist so eine –«

      Aber im Grunde seines Herzens machte er ihr keinen Vorwurf daraus. Und deswegen verachtete er sie auch nicht. Im Gegenteil. Er bewunderte Madame Laure, weil sie sparsam war und es verstand, etwas für ihre alten Tage zurück zu legen. Früher hatten beide gern miteinander geschwatzt. Sie hatte ihm dann von ihren Eltern erzählt, die auf dem Lande wohnten; und beide hegten den großen Wunsch, einen kleinen Garten zu besitzen, um Gemüse darin zu ziehen und Geflügelzucht zu treiben.

      Madame Laure war eine gute Kundin gewesen, und als Crainquebille nun sehen mußte, daß sie ihren Kohl bei dem kleinen Martin kaufte, bei diesem elenden Knirps, diesem Lausbuben, da war ihm der Schreck in alle Glieder gefahren, und wie sie ihn obendrein noch so verächtlich behandelt hatte, da war ihm die Galle übergelaufen.

      Das Schlimmste war, daß Madame Laure nicht die einzige war, die ihn wie einen Aussätzigen behandelte.

      Alle taten, als kennten sie ihn nicht mehr.

      Die Schusterfrau, die Schlächtermeisterin, alle wandten sich verächtlich von ihm ab. Die ganze Gesellschaft in dem Viertel wollte nichts mehr von ihm wissen.

      Also bloß, weil er vierzehn Tage gesessen hatte, war er nun nicht mehr gut genug, Gemüse zu verkaufen! War das wohl gerecht? Hatte es Sinn und Verstand, einen alten braven Mann Hungers sterben zu lassen, einzig und allein, weil er mit einem »Putz« in Konflikt geraten war?

      Wenn er sein Gemüse nicht mehr los wurde, so konnte er sich nur hinlegen und krepieren.

      Das erbitterte den Alten.

      Nach seinem Streit mit Madame Laure hatte er Händel über Händel. Um die geringste Kleinigkeit stritt er. Mit den Kunden war er grob und schimpfte ungeduldig, wenn mal einer ein bißchen lange zwischen seinen Waren suchte.

      In СКАЧАТЬ