Gesammelte Erzählungen von Anatole France. Anatole France
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Название: Gesammelte Erzählungen von Anatole France

Автор: Anatole France

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027208852

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СКАЧАТЬ klopfte den Maître Joseph Aubaret auf die Schulter und meinte:

      »Es ist bewunderungswürdig, wie der Präsident Bourriche es versieht, sich aller eitlen Neugier zu enthalten und sich vor persönlichem Hochmut, der alles wissen will, zu bewahren.

      Wenn der Richter die widersprechenden Aussagen von dem Doktor Matthieu und dem Schutzmann Matra gegenüber gestellt hätte, so wäre er auf einen Weg des Zweifels und der Ungewißheit geraten.

      Die Methode, welche darin besteht, einen Fall nach allen Regeln der Kritik zu beleuchten, ist unvereinbar mit einer guten Verwaltung der Justiz.

      Wenn das Tribunal so unvorsichtig sein würde, eine derartige Methode zu verfolgen, so müßte ja sein Urteil von seinem eigenen Scharfsinn abhängen, der des öfteren gering ist – oder von der menschlichen Fehlbarkeit, die nie aufhört. Wo bliebe da die Autorität!

      Auch kann man nicht leugnen, daß die historische Methode ebenfalls unzulänglich ist, um dem Richter jene Gewißheit zu verschaffen, deren er bedarf.

      Man erinnere sich nur an Sir Walter Raleighs Abenteuer. Als Sir Walter Raleigh im Tower of London gefangen saß und eines Tages an dem zweiten Teil seiner » History of the world« arbeitete, entspann sich unter seinen Fenstern ein Streit. Er sah eine Weile zu und ging dann wieder an seine Arbeit mit der Überzeugung, die Streitenden sehr gut beobachtet zu haben.

      Als er aber tags darauf mit einem seiner Freunde über die Angelegenheit sprach, der bei dem Vorfall zugegen gewesen war und sich sogar an dem Streite beteiligt hatte, widersprach dieser ihm in allen Punkten.

      Da erkannte Raleigh die ungeheure Schwierigkeit, fern liegende Ereignisse in ihrer Richtigkeit zu erfassen, wenn es möglich war, daß er sich über das, was vor seinen Augen geschah, getäuscht hatte, und entmutigt warf er sein Manuskript ins Feuer.

      Wenn die Richter ebensolche Bedenken trügen wie Raleigh, so müßten sie wohl ihre ganze Gelehrsamkeit ins Feuer werfen. Aber dazu haben sie kein Recht. Sie würden damit die Justiz verleugnen und ein Verbrechen begehen.

      Man kann wohl darauf verzichten, – zu wissen, aber man darf nicht darauf verzichten, – zu richten.

      Diejenigen Leute, welche wollen, daß die Gerichtsbeschlüsse auf methodische Nachforschungen gegründet sind, müssen als gefährliche Sophisten und hinterlistige Feinde des Zivil-und Militärgerichtes betrachtet werden.

      Der Präsident Bourriche hat einen viel zu juristischen Sinn, als daß er sein Urteil von dem Verstand oder von der Wissenschaft beeinflussen ließe, deren Schlüsse ewigen Streit und Zweifel hervorrufen. Er gründet es auf bestimmte Dogmen und Traditionen, so daß seine Urteile an Autorität den Geboten der Kirche gleichen, sie sind sozusagen kanonisch.

      Sie sehen z. B., daß er die Zeugenaussagen nicht nach einer unbestimmten trügerischen Wahrscheinlichkeit ordnet, sondern nach innerlichen, permanenten, handgreiflichen Tatsachen.

      Er wägt sie nach dem Gewicht der Waffen. Gibt es ein einfacheres und weiseres Mittel?

      Das Zeugnis eines Schutzmannes erscheint ihm als unwiderlegbar. Der Mensch als solcher kommt hier gar nicht in Betracht, nur die Kategorie, der er angehört – die hochwohlöbliche Polizei – die heilige Hermandad.

      Bastien Matra, gebürtig aus Cinto-Monte (Korsika), erscheint ihm durchaus nicht als unfehlbar. Er weiß, daß der Mann weder eine besonders scharfe Beobachtungsgabe besitzt, noch daß er bei der Prüfung der Sachlage sehr genau und methodisch verfährt.

      In Wahrheit existiert überhaupt Bastian Matra in diesem Fall nicht für ihn, sondern nur der Schutzmann Nr. 64.

      Ein Mensch kann sich täuschen, denkt er sich. Peter und Paul können sich irren.

      Descartes und Gassendi, Leibniz und Newton, Bichat und Claude Bernard, die alle haben sich irren können. Wir alle irren uns, und zwar sehr häufig.

      Die Möglichkeit, sich zu irren, ist sehr groß und mannigfaltig. Die Wahrnehmung unserer Sinne und das Urteil unseres Verstandes sind oft nichts weiter als bloße Einbildungen und die Ursache von Ungewißheit und Zweifel.

      Man darf sich nicht auf das Zeugnis eines Menschen verlassen.

      Testis unus – testis nullus.

      Aber auf eine Zahl kann man sich verlassen.

      Bastien Matra von Cinto-Monte ist fehlbar – aber der Schutzmann Nr. 64 – wenn man von seiner Person als Mensch absieht – täuscht sich nicht.

      Darum hat das Gericht auch nicht gezögert, das Zeugnis des Doktor David Matthieu zu verwerfen, denn er ist nur ein »Mensch«, und es erkennt die Aussage des Schutzmannes Nr. 64 als richtig an, denn er ist eine »reine Idee«, ein Strahl Gottes, der zu uns herniederstieg.

      Wenn er auf diese Weise urteilt, so sichert der Präsident sich eine Unfehlbarkeit zu, und zwar die einzige, worauf ein Richter Anspruch erheben kann.

      Trägt ein Mensch, der als Zeuge figuriert, einen Säbel, so soll der Richter auf den Säbel hören, nicht auf den Menschen. Der Mensch ist unvollkommen und kann sich irren – ein Säbel nicht, er hat immer recht.

      Der Präsident Bourriche ist vollkommen in den Geist des Gesetzes eingedrungen.

      Die Gesellschaft ruht auf der öffentlichen Macht, und die öffentliche Macht muß als eine erhabene Institution der Gesellschaft respektiert werden. Die Justiz aber hat die Verwaltung der öffentlichen Macht.

      Der Präsident weiß, daß der Schutzmann Nr. 64 ein Teil des Fürsten ist – der Fürst regiert sozusagen in jedem seiner Offiziere.

      Die Autorität des Schutzmannes Nr. 64 zu untergraben, heißt so viel, als den Staat schwächen.

      Oder wie Bossuet in seiner göttlichen Sprache sagt: »Wenn man nur ein einziges Blatt der Artischocke ißt, so ißt man die Artischocke.«

      Alle Säbel des Staates haben dieselbe Richtung. Wollte man sie gegeneinander richten, so würde man die Republik umstürzen.

      Darum wurde auf die Aussage des Schutzmannes Nr. 64 der Angeklagte Crainquebille zu fünfzehn Tagen Gefängnis und fünfzig Francs Geldstrafe verurteilt.

      Mir ist, als hörte ich, wie der Präsident die lauteren und großen Beweggründe auseinandersetzt, die ihn zu diesem Urteil veranlaßt haben:

      »Ich habe dieses Individuum in Übereinstimmung mit dem Schutzmann Nr. 64 verurteilt, denn der Schutzmann Nr. 64 ist ein Teil der öffentlichen Macht.

      Damit Sie klar erkennen, meine Herren, wie klug ich gehandelt habe, so bitte ich, nehmen wir einmal an, ich hätte ein gegenteiliges Urteil gefällt.

      Sie werden sofort sehen, wie verrückt das gewesen wäre. Denn, wollte ich gegen die öffentliche Macht urteilen, so würde mein Urteil einfach nicht vollstreckt werden.

      Der Spruch eines Richters gilt nur, wenn er mit der öffentlichen Macht geht.

      Wohin kämen wir ohne unsere Polizei.

      Ich würde meiner Stellung schaden. Und überdies widersetzt der Geist der Gesetze sich solchem Urteil.

      Den СКАЧАТЬ