Gesammelte Werke. Franziska Gräfin zu Reventlow
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke - Franziska Gräfin zu Reventlow страница 8

Название: Gesammelte Werke

Автор: Franziska Gräfin zu Reventlow

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075837110

isbn:

СКАЧАТЬ und parteiisch, Papa konnte keinen Ärger vertragen, und die junge Meute stürmte fortwährend dagegen an, mit allen ihren Forderungen, Wünschen und Unbotmäßigkeiten.

      Jetzt ging jeder seinen Weg und dabei war Frieden. Ellen und Detlev saßen halbe Tage in den Obstbäumen oder lagen im Gras und lasen verbotene Bücher. Sie deklamierten sich gegenseitig die Räuber vor und stritten darum, wer den Faust besser verstände. Hier und da mußten sie auch alle der Schwester bei Gartenarbeiten helfen, und manche Vorübergehende blieben am Gitter stehen und sahen hinein, denn war das heranwachsende Geschlecht der Olestjernes vollzählig beisammen, so konnte man jederzeit ein stürmisches, weithinschallendes Gelächter hören, besonders wenn die »jungen Leute«, wie sie in liebevoller Respektlosigkeit ihre Eltern nannten, nicht dabei waren.

      In dieser Zeit gab es für Ellen viel Gelegenheit, unbemerkt zu entkommen, und das Herumtreiben hatte jetzt noch einen besonderen Hintergrund. Denn Ellen liebte, und alle ihre Gedanken gingen darauf hin, einem rothaarigen Primaner zu begegnen – an den nebelverschleierten Herbsttagen, wenn die junge Welt in den dämmerigen Gassen oder im Stadtpark auf- und abging. Ellen wußte, daß ihre Liebe unglücklich und hoffnungslos war, denn er stand auf der fernen, unerreichbaren Höhe des Erwachsenseins. Aber es war schon lähmende Seligkeit, ihn nur zu sehen, von ihm gegrüßt zu werden und dann abends an ihn zu denken, wenn sie im Bett lag.

      In der kleinen Stadt blieb nichts verborgen. Bald nachdem die Freifrau zurückgekehrt war, wurde sie von wohlmeinenden Bekannten darauf aufmerksam gemacht, daß ihre beiden Jüngsten sich eines schlimmen Rufes erfreuten. Nicht einmal Ladenklingeln und Fensterscheiben waren sicher vor ihnen, und was das Ärgste war, Ellen trieb sich mit Jungen in der Stadt herum. Nun wurde Ellen plötzlich aus allen Himmeln geschleudert; aber diesmal fand sie den Mut zu offener Auflehnung, und es gab eine heiße Szene zwischen ihr und der Mutter. »Zieht mir doch lieber gleich eine Zwangsjacke an«, schrie sie. Ellen hatte gar keine Ahnung, was das eigentlich für ein Ding wäre, aber sie bekam ihre Zwangsjacke. Man ließ sie nicht mehr aus den Augen, und mit dem heimlichen Ausreißen war es ein- für allemal vorbei.

      Dies Jahr durfte sie nicht einmal mit den Brüdern zum Schlittschuhlaufen. Wehmütig sah sie an Winternachmittagen in den beschneiten Garten hinaus und dachte an ihre unglückliche Liebe – jetzt war er wohl auf dem Eis, und ihr war jede Möglichkeit abgeschnitten, ihn auch nur zu sehen. Die Sehnsucht wurde immer brennender, sie zitterte und wurde rot, wenn Erik zufällig seinen Namen nannte. Die gärende Unruhe, die sie in sich fühlte, machte sich manchmal in überlauter Lustigkeit Luft und häufiger noch in wilden Wutausbrüchen.

      Ellen fand auch, daß man sie namenlos reizte. Von früh bis spät fuhr die Mutter sie an, jeder Blick sagte: Wozu bist du überhaupt auf der Welt?

      Und an Heftigkeit gab Ellen ihr nichts nach. Eine Zeitlang hörte sie schweigend zu, biß die Zähne zusammen, daß sie knirschten, dann stürzte sie hinaus und schlug die Tür zu. Mama war hinter ihr her, ehe sie sich's versah. Plötzlich hatte sie die zornig flammenden Augen dicht vor sich, fühlte einen brennenden Schlag im Gesicht: »Geh mir aus den Augen, ich hab's satt, mich mit dir zu quälen.«

      War sie dann allein im Zimmer, so wußte sie nicht, wo hinaus mit der Wut, die in ihr tobte, wußte nicht mehr, was sie tat. Dann rannte sie mit dem Kopf gegen die Wände, bis ihr die Funken vor den Augen sprühten und der Schmerz sie wieder zur Besinnung brachte.

      An solchen Tagen mußte sie oben bleiben und durfte sich nicht mehr vor der Mutter blicken lassen. Da lag sie dann auf dem Bett und spann endlose Pläne. Wieder und wieder malte sie sich aus, wenn sie nur erst erwachsen wäre und von zu Hause fort könnte. Die Zirkusgedanken hatte sie jetzt allmählich aufgegeben, es war doch wohl zu spät geworden. Aber das stand ihr immer noch fest, irgendwann einmal mußte sie sich freimachen von diesem unerträglichen Leben und in die Welt hinaus, in die unbekannte verheißungsvolle Welt.

      An einem Sonntagmorgen, als Ellen zum Frühstück hinunterkam, las Mama gerade einen Brief.

      »Nun ist alles in Ordnung«, sagte sie und legte ihn neben ihren Teller. »Du kommst Ostern in die Pension nach A..., Ellen.«

      Ellen nahm diese Nachricht mit dumpfer Gleichgültigkeit hin. Von der Pension war schon oft die Rede gewesen, aber sie hatte bisher nie recht daran geglaubt.

      Es waren nur noch wenige Wochen bis Ostern. Sie machte ihrer Umgebung die letzte Zeit noch so schwer wie möglich. Nur mit Detlev allein war es anders, da taute ihr ganzer Schmerz auf, daß sie fort sollte, von ihm und von der Heimat. Die beiden waren noch nie einen Tag getrennt gewesen, hatten jedes Erlebnis, jede Empfindung geteilt, seit sie denken konnten. Sie wußten es nicht zu fassen, daß sie jetzt voneinander gerissen wurden, daß wirklich einmal der letzte Tag käme. Aber er kam, und er ging vorüber – am Abend sollte Ellen mit ihrer Mutter abreisen.

      Nach Tisch schlichen sich die beiden Jüngsten hinauf in die alte Kinderstube. Beim Essen hatten sie Wein bekommen, ihre Köpfe brannten, – so hielten sie sich lange umschlungen und weinten ihre bittersten Tränen. – Zwei Jahre – zwei endlose Jahre voneinander getrennt sein und lernen müssen, gequält werden, – sie fühlten beide, daß etwas Unwiderbringliches vorüber war und nie wiederkommen würde. Als man sie rief, kamen sie mit roten, verschwollenen Augen. Dann gingen alle zusammen an die Bahn. Vor den anderen weinten sie nicht mehr und küßten sich nicht.

      Detlev stand mit zusammengebissenen Zähnen abseits von den Geschwistern auf dem Perron und ließ keinen Blick mehr von Ellen, bis der Zug mit ihr und der Mutter in die weite Marschebene hineinfuhr.

      »Ellen Olestjerne soll hereinkommen.«

      Sie kam, machte die drei vorschriftsmäßigen Knickse – einen an der Tür, dann in der Mitte des Zimmers, wo die großen Blumen im Teppich waren, und den letzten, als sie vor der alten Dame stand.

      Die Pröpstin des freiadligen Stiftes zu A... saß an ihrem Schreibtisch. Sie war schon über sechzig Jahre alt und kannte keine Ruhestunden. Ihr strenges, wie in Stein gehauenes Gesicht mit der hohen, blanken Stirn hatte einen Zug von eiserner Energie – sie hielt sich sehr gerade, nur in der weißen schmalen Hand, die auf der geschnitzten Stuhllehne lag, war etwas von der Müdigkeit des Alters.

      »Was sind das für Sachen, Ellen? Du hast Hedwig Vogt ins Gesicht geschlagen?«

      »Ja, weil sie mich geärgert hat, das lasse ich mir nicht gefallen.«

      Die Pröpstin faßte Ellen ums Handgelenk und führte sie ans Fenster, wo es etwas heller war.

      »Vor allem, mein Kind, mäßige dich in deiner Art zu reden.«

      Ellen wollte etwas sagen, aber sie kam nicht zu Wort, die gestrenge Stimme sprach immer weiter mit ihrem harten, scharfklingenden S.

      »Es schickt sich überhaupt nicht, so aufzubrausen. Mit solchem Benehmen kommst du mir hier nicht durch, Ellen. Wenn du meinst, daß dir unrecht geschieht, kannst du zu mir kommen und dich beschweren. Ihr seid keine Gassenjungen.«

      »Ich wollte, ich wäre einer«, fuhr Ellen endlich dazwischen. Sie war empört, daß sie sich nicht selbst ihrer Haut wehren sollte.

      »Was sagst du da?« die Stimme wurde immer strenger und das S immer schärfer. »Nimm dich in acht, Ellen, ich weiß, wes Geistes Kind du bist. Deine Mutter hat mit mir gesprochen, und wenn ich sehe, daß in Milde mit dir nicht auszukommen ist, so gibt es noch andere Mittel.«

      Mein liebes Kind – die Frau Pröpstin hat uns wieder geschrieben, daß Du sehr eigensinnig bist und Dich mit den anderen Mädchen schlecht verträgst. Wirst Du denn nie aufhören uns immer neuen Kummer zu machen? Ich habe die Frau Pröpstin gebeten, Dich in strenge Zucht zu nehmen, und wir verlangen von Dir, daß Du Dir jetzt СКАЧАТЬ