Gesammelte Werke. Franziska Gräfin zu Reventlow
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Franziska Gräfin zu Reventlow

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075837110

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СКАЧАТЬ den Fehdehandschuh auf, beging bei jedem Anlaß die größtmöglichen Ungezogenheiten, nahm die Strafe lachend hin und überbot sie durch noch ärgeres Benehmen. Im Schlafsaal gab es fast jeden Tag Skandal. Wenn Ellen sich Wasser holte, balancierte sie die blecherne Waschschüssel auf dem Kopf und behauptete, sie könnte kein Blech anfassen. Beim Mundspülen gurgelte sie nur in Melodien und sagte, es käme ganz von selber, sie könnte es nicht lassen. Und wenn alle im Bett lagen, fing sie an zu heulen wie ein wildes Tier in langgezogenen Tönen die halbe Nacht hindurch, so daß niemand schlafen konnte.

      »Ellen, sei ruhig«, schrie die Erste, die Aufsicht führen mußte.

      »Mein Gott, ich bin so traurig, du kannst mir doch nicht verbieten, zu weinen«, und sie heulte weiter. Die andern kamen um vor Lachen, und die Erste war machtlos dagegen. Sie konnte nur anzeigen, immer wieder anzeigen, und das war Ellen jetzt ganz gleichgültig, sie lebte in einem förmlichen Rausch von Auflehnung. Ein paarmal ging sie zur Pröpstin, um sich selbst anzuzeigen, wenn sie fand, daß man zu nachsichtig gegen sie war.

      »Miß Collins hat wohl vergessen zu melden, daß ich gestern in der Stunde gelacht habe.«

      Die Pröpstin geriet außer sich vor Zorn und verbot ihr schließlich, das Zimmer überhaupt noch zu betreten.

      Aber manchmal fühlte Ellen sich auch todunglücklich – sie stand jetzt wirklich ganz allein, selbst Editha wollte nichts mehr von ihr wissen, hatte sich immer mehr von ihr zurückgezogen und ging nur noch mit einer früheren Freundin, die Ellen nicht leiden konnte. Sie ballte heimlich die Hände, wenn sie die beiden zusammen sah, und ihre Dichtungen wurden immer verzweifelter: draußen heulte der Sturm, Eulen schrien in finstrer Nacht – alle schliefen, nur sie allein wachte mit ihrem zerrissenen Herzen, in dem die Leidenschaft wütete und die verratene Liebe. Manchmal wurden es auch Rebellengesänge: »Wie lange soll ich diese Schmach noch dulden – wie lange diese Ketten tragen noch!« oder: »Es kreist mein Blut in wildem schnellem Lauf – und alle Pulse hämmern laut. – Mein Stolz, mein Selbstgefühl bäumt, ach, sich auf. – Zuviel, zuviel habt ihr mir zugetraut.«

      Kurz vor Ostern kam noch die letzte Zeugnisverteilung. Das war immer ein feierlicher, öffentlicher Akt, dem viele Ehrenpersonen aus der Stadt beiwohnten und wo die Pröpstin eine Rede hielt. Diesmal ging es wie ein Gewitter über die fünfzig Kinder hin, von denen manche kaum mehr aufzusehen wagten.

      Während ihrer zweiunddreißigjährigen Amtsführung habe sie noch kein Jahr erlebt wie das letzte, – ein Geist des Aufruhrs ist in unsre Anstalt eingedrungen, – unlautre Elemente, die wir leider erst zu spät erkannt haben und die durch Leichtsinn und Gewissenlosigkeit ein schlimmes Beispiel gaben, – und dann erhob sich ihre Stimme immer lauter und strafender. – Derartige Elemente müssen schonungslos ausgemerzt werden – es sind Krebsschäden, die nur durch einen raschen Eingriff beseitigt werden können. –

      Ellen sah wohl, wie viele Blicke sich auf sie richteten, wenn auch nicht ihr Name genannt wurde. Sie wollte die Augen nicht niederschlagen und empfand es beinah wie einen Triumph: »Ja, mit mir seid ihr doch nicht fertig geworden.«

      An demselben Abend wurde sie zum Pfarrer gerufen, er sah sie lange ernst an und sagte dann: »Nein, Ellen, vor mir brauchen Sie sich nicht zu fürchten, ich glaube zu wissen, wie es in Ihrem Innern aussieht und daß Sie die Absicht haben, es von nun an anders werden zu lassen. Denken Sie an das Wort: es wird Freude sein im Himmel über einen Sünder, der Buße tut, vor neunundneunzig Gerechten. Vor allem lassen Sie den schlimmen Widerspruchsgeist und allen kindischen Trotz fahren, damit kommt man nicht durch die Welt, Ellen. – Ich habe trotz alledem gutes Zutrauen zu Ihnen, denn ich weiß, daß Sie im Grunde nicht schlecht sind. Sie machen es nur sich selbst und andern schwer. Aber Sie waren eine von meinen besten Schülerinnen und ich möchte auch, daß Sie einer von meinen besten Menschen werden. Ich will auch selbst mit Ihrer Mutter sprechen, die wohl einigen Grund hat, ungehalten über Sie zu sein.« – Damit gab er ihr die Hand, und ihr liefen große Tränen übers Gesicht.

      Als am nächsten Tage die Mutter kam, war Ellen weich wie Wachs. Und es ging viel besser ab, als sie gedacht hatte. Mama schien doch nicht ganz mit der Pröpstin einverstanden, sie sprach viel mit dem Pfarrer und war merkwürdig milde.

      Vor der Beichte versöhnten sich die Konfirmandinnen untereinander und suchten auch die Lehrerinnen auf, um in vollem Frieden mit aller Welt das Abendmahl zu nehmen. – Ellen schloß sich von diesem Brauch aus: was haben die mir zu verzeihen, wenn ich mit mir selbst und dem lieben Gott im reinen bin? Dann mußten sie alle einzeln zur Pröpstin hereinkommen, man murmelte auch dort ein paar Worte von Verzeihen und bekam einen Kuß auf die Stirn: – du bist mir eine liebe Schülerin gewesen, gehe hin in Frieden.

      Als Ellen kam, standen sie sich einen Augenblick gegenüber, beide in tödlichem Widerwillen, die alte Dame und das fünfzehnjährige Kind.

      »Hast du mir nichts zu sagen, Ellen Olestjerne?«

      »Nein.«

      Auf die einzelnen Worte, die nun folgten, konnte Ellen sich nachher nicht mehr recht besinnen. Die Pröpstin sprach eine Art Fluch über sie aus und wies dann gebieterisch mit ihrem aristokratischen, wohlgepflegten Zeigefinger nach der Tür.

      Später gingen die jungen Mädchen auf dem Gang hin und her, meist in ernsten Gesprächen, einige hatten auch große Sorge wegen der Kleider für morgen und wie sie das Haar tragen sollten. Trotz der Pröpstin war Ellen weich und froh gestimmt, das Wiedersehen mit der Mutter war überstanden und sie hatte Editha wieder, nach einer langen Unterredung.

      »Siehst du, ich mußte die letzte Zeit etwas Rücksicht nehmen. Du weißt, ich bin von Kind an hier, die Alte hat sozusagen Mutterstelle an mir vertreten und ist immer sehr nachsichtig gewesen. Sie verlangte einfach von mir, daß ich den Verkehr mit dir abbrechen sollte. Leicht ist es mir nicht geworden, aber du tatest ja immer, als ob es dir ganz gleich wäre.«

      »O Gott, nein, das war es nicht.« Sie umarmten sich, und Ellen war überselig.

      »Weißt du, wir wollen uns oft schreiben. Laß mich wissen, wie es dir zu Hause ergeht.«

      »Ja, und ich hab' noch eine Bitte –, schenk mir doch eine Locke von dir.«

      Ellen durfte sich selbst eine abschneiden, sie hatte schon eine ganze Edithasammlung bis zu weggeworfenen Stahlfedern, heimlich abgeschnittenen Plaidfransen und alten Schreibheften, aber die Locke kam in ein Medaillon, das sie immer unter dem Kleid tragen wollte.

      Die Osterglocken läuteten, und in weißen Kleidern mit langen Schleppen stiegen die Konfirmandinnen die hohen Steinstufen hinab, durch den dunklen, feuchtkalten Hausflur in die Kapelle.

      Als Ellen vor dem Pfarrer kniete, war ihr, als ob seine Stimme für sie einen ganz besonderen Klang hätte, der ihr allein galt, wie eine feierliche Heimlichkeit zwischen ihnen. – Ihre Seele war voller Ernst und wogte in einem frohen, morgenfrischen Gefühl. Mit diesem Tage wollte sie ja ein neues Leben anfangen, es kam ihr jetzt so leicht und hell vor, – wie wenn man nach einem mißglückten, zerfetzten Tag aufwacht und nun alles zurechtbringen will, was gestern nicht gelang.

      Andern Tags reiste sie mit ihrer Mutter ab. An der Treppe stand die Pröpstin und streckte ihr kalt die Hand zum Kuß hin. – Ah – zum letztenmal diese Treppe, zum letztenmal dies harte, blanke Gesicht mit den tiefgemeißelten Augenhöhlen, zum letztenmal dieser Sklavenhandkuß!

      Und dann das wehmütige Glück, in den Frühlingsabend heimzufahren, heimwärts, nach Nevershuus, zu den Geschwistern – und mit dem Versprechen, daß Editha sie nicht vergessen wollte.

      Marianne Olestjerne war bei ihrem Vater im Zimmer und staubte den mächtigen alten Schreibtisch ab. Mit bedächtigen, liebevollen СКАЧАТЬ