Gesammelte Werke. Franziska Gräfin zu Reventlow
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Franziska Gräfin zu Reventlow

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075837110

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СКАЧАТЬ jeder kam wieder an seinen Platz. Es war wohl zu sehen, sie tat das alles mit Liebe und langjähriger Gewohnheit, als ob jedes Stück Bedeutung und Leben hätte.

      Der Freiherr saß am runden Mitteltisch vor dem Sofa und trank seinen Morgenkaffee aus der großen Kopenhagener Tasse. Diese ganze Frühstunde ging vor sich wie eine heilige Handlung, die nicht unterbrochen und gestört werden durfte. Marianne sah zu ihm hinüber, während er die Zeitung durchsah und wieder hinlegte. Der Vater war für sie der Beste und Geliebteste von allen, das, worum sich ihr Tag und ihre Arbeit drehte.

      »Papa«, sagte sie etwas leise.

      »Was willst du, mein Kind?«

      »Papa, heute ist Ellens Geburtstag – willst du nicht wenigstens einen Augenblick hinübergehen, wenn sie ihre Geschenke bekommt?«

      Ein unwilliger Zug ging um seinen Mund, er schob den Sessel weg und ging durchs Zimmer. »Ich warte nur darauf, daß sie zu mir kommt.«

      »Das wagt sie nicht«, sagte die Schwester.

      »Unsinn, ich habe noch nie bemerkt, daß Ellen etwas nicht wagt.«

      »Du hast es ihr auch nicht leicht gemacht, Papa, seit sie wieder hier ist, hast du kein Wort mit ihr gesprochen. Das schüchtert sie ein und Mama –«

      »Ich dachte, das ginge jetzt besser? – Ich habe wahrhaftig die Lust verloren, mich drum zu kümmern.«

      »Nein, es geht nicht besser, lieber Vater, ich weiß ja selbst, wie schwer es mit Mama ist. Und Ellen ist noch so jung und hat nicht die Überlegung. – Wir andern haben dich gehabt, und Ellen braucht vielleicht mehr wie alle eine feste Hand, aber auch Liebe.«

      Er ging immer rascher, und Marianne fühlte seine Verstimmung aus jedem Schritt.

      »Ich weiß nicht, was sie will und was sie braucht, ich kann dies Kind nicht begreifen. Wie ist sie denn wiedergekommen – strahlend, daß sie nicht mehr so viel zu lernen braucht und ihre dummen Jungenstreiche mit Detlev fortsetzen kann. Keine Ahnung, daß sie sich schämt, kein Wort, daß es ihr auch nur leid tut, uns das alles angerichtet zu haben. Sie ist doch damals nur fortgekommen, weil ich sah, daß es mit ihr und Mama nicht gehen wollte – um ihr zu helfen. Aber sie hält alles, was man für sie tut, für Feindseligkeit und Bosheit und widerstrebt blind und unvernünftig. – Sag du ihr das, sprich einmal mit ihr. Wenn sie dann von selbst kommt, soll es gut sein.«

      Aber Ellen kam nicht. »Es nützt ja doch nichts«, war die Antwort auf alle Vorstellungen der älteren Schwester. – So wurde es ein melancholischer Geburtstag. Als die andern nach Tisch vor der Gartentür saßen, lief Ellen auf die Koppel hinaus. Was sollte sie da droben? Sie fühlte sich überflüssig, im Wege, ausgeschlossen. So warf sie sich ins Gras und weinte – ja, die Heimat, die hatte sie nun wieder, aber sonst war alles wie früher, täglicher Kampf und tägliche Quälerei, nur noch rettungsloser und verfahrener durch die unglückselige Pensionsgeschichte. Später kam Marianne mit Detlev, sie fand, daß doch etwas Festliches für Ellen geschehen müßte und wollte mit den beiden ihren Lieblingsweg nach Olrup gehen – es war ein kleines Dorf draußen am Meer.

      Ellen bewunderte ihre Schwester sehr – die hatte ihre ganze Jugend zu Hause verlebt und war nie unzufrieden, immer gleichmäßig in ihrer stillen Heiterkeit. Sie kamen darauf zu sprechen, auf die Eltern und alles.

      »Du mußt dir doch auch ziemlich viel gefallen lassen und darfst alles mögliche nicht«, meinte Ellen.

      »Aber es liegt mir auch meistens nicht so viel daran. Wenn Papa mir zum Beispiel verbietet, irgendein Buch zu lesen, so weiß ich, daß er seinen Grund dafür hat. Und es bleibt immer noch so viel Schönes, woran man sich freuen kann, daß das gar nicht in Betracht kommt.«

      »Ja, aber hast du jemals gesehen, daß Mama mir etwas aus einem vernünftigen Grund nicht erlaubt? Sie verbietet nur, um zu verbieten, oder weil sie alles überflüssig findet, was mir Freude macht. Sie sagt, ich wäre faul und wollte nichts tun, aber warum läßt sie mich nicht malen? Es ist das einzige, was ich mir wünsche und was mir Freude macht. Dann würde ich mit Vergnügen den ganzen Tag arbeiten. Aber sowie sie mich mit einem Skizzenbuch sieht, heißt es: laß doch das alte Geschmier, es kommt ja doch nichts dabei heraus.«

      Marianne zuckte die Achseln. »Mama ist nun einmal dafür, daß man nur nützliche Sachen tut, sie hat es auch nicht gern, wenn ich viel lese. Ich sage dir deshalb auch immer wieder, du solltest dich an Papa halten, der kann dir noch am ehesten helfen. Mir scheint immer, daß ihr Jüngeren ihn eigentlich gar nicht kennt.«

      »Er kümmert sich nicht viel um uns.«

      »Das würde er schon tun, wenn ihr nur wolltet. Ich habe dir doch gesagt, er wartet nur darauf, daß du kommst.«

      »Das kann ich nicht – ich kann einfach nicht. Wofür soll ich ihn denn um Verzeihung bitten? Daß dies infame Tier von Pröpstin mich nicht leiden konnte? Ich möchte ihr heute noch den Hals umdrehen.«

      »Ich auch«, fuhr Detlev ingrimmig dazwischen; die Pröpstin haßte er mit.

      Vor ihnen lag das Dorf mit seinen Strohdächern und dem niedrigen, stumpfen Kirchturm. Über den Heidehügel gingen sie zum Meer hinunter, und Marianne pflückte Blumen für Papas Schreibtisch. Dann saßen sie am Strand auf den großen Steinen, während die Sonne langsam ins Meer hineinrollte wie eine große brennende Kugel. Der Himmel loderte weithin auf, das Meer wurde rot, und die Heidehügel glühten. Allmählich losch alles wieder aus und nun wurde es rasch dunkel, die einzelnen Gestalten auf dem Deich sahen aus wie schwarze Silhouetten.

      »Wenn man das malen könnte,« sagte Ellen, »überhaupt malen können, alles, was es gibt.«

      Detlev lachte: »Immer noch Vogelbauer, Ellen! Du bist doch noch geradeso wie früher.«

      »Ja, aber ich werde meine jetzigen Vogelbauer doch noch einmal zusammenkriegen, darauf könnt ihr euch verlassen.«

      Sie gingen jetzt rasch den Deich entlang und sprachen von der großen Sturmflut vor acht Jahren. Es war die lange gerade Strecke, wo damals der Deich beinah gebrochen und nur einen Meter breit stehengeblieben war. Wie da die haushohen Wellen herüberschlugen und die Menschen, die sich hinauswagten, wie Papierfetzen herumflogen. – Dann kam das rote Deichwärterhaus mit dem kleinen, sonnenverbrannten Garten, der Bootschuppen, das Dock, wo alte Schiffe zum Ausbessern lagen. Dicht beim Hafen begegneten sie vielen Spaziergängern, immer die gleichen, die jeden Abend hier herausgingen, all die bekannten Gesichter aus der kleinen Stadt. Das Grüßen nahm kein Ende, hier und da mußten sie auch stehenbleiben und ein paar Worte sprechen, bis sie endlich in die schmalen Hafenstraßen einbogen, über den Markt unter dem Rathausbogen durch und schließlich die dunkle Kastanienallee zum Schloß gingen.

      Ein paar Tage später, als Ellen zur Stadt war, ging die Mutter in ihr Zimmer hinauf: »Ich muß doch einmal sehen, was sie da immer treibt, wenn sie allein ist«, dachte sie. – Ellen hatte vergessen wegzuräumen, da standen drei Bilder von Editha mit Blumen davor, auf dem Tisch lag ein langer, angefangener Brief an die Freundin, der bittren Weltschmerz atmete und endlose Klagen über Ellens elendes Los. Und daneben ein dickes, ledernes Buch mit selbstgeschriebenen Gedichten, das die Mutter noch nie gesehen hatte. Sie nahm es mit ins Wohnzimmer, setzte ihre Brille auf und las den ganzen Nachmittag. Als Ellen nach Hause kam, warf Mama ihr das Buch vor die Füße. »Du hättest es verdient, daß ich es dir um die Ohren schlage. Was ist das für ein unerhörtes Zeug? Schämst du dich denn nicht, so was zusammenzuschmieren? Das hört jetzt auf, verstanden? – Und was du da an deine Editha schreibst – du meinst wohl, daß dir arges Unrecht geschieht, wenn du nicht all deinen verrückten Einbildungen folgen sollst. СКАЧАТЬ