Gesammelte Werke. Franziska Gräfin zu Reventlow
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Franziska Gräfin zu Reventlow

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788075837110

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СКАЧАТЬ um eine Vermahnung zu bekommen, aber er schalt nicht, suchte sie nicht zu beschämen oder zu demütigen wie die Pröpstin, er fand jedesmal ein gutes Wort und ein verstehendes Lächeln. Dafür war Ellen auch in seinen Stunden die Aufmerksamkeit selbst und lernte die längsten Psalmen auswendig, um ihm Freude zu machen.

      Mit Editha war sie immer noch viel zusammen und schwärmte sie in namenloser Hingebung an. Sie hatte das Herz voller Anbetung und den Kopf voller Verse, bei Tisch, in den Stunden und abends im Bett, immer fand sie wieder neue Reime zusammen, um die Freundin zu besingen. Editha war die Schönste, die Beste, die Unvergleichliche. Wenn sie abends im Schlafsaal das Haar aufmachte, hing es wie ein dichter Mantel um sie her, die Brauen lagen gleich zwei breiten, schwarzen Strichen über den dunklen, schweren Augen. Und ihre Hände und Füße, die so klein und zierlich waren – man konnte kaum begreifen, daß Editha sie wie andere Menschen gebrauchen konnte.

      Für die alte Vorsteherin gab es viele schwere Stunden. Seit die beiden so eng befreundet waren, schien eine ganze Horde von Teufeln in dem ehrwürdigen alten Gebäude zu spuken. Die ganze erste Klasse war außer Rand und Band, trotz Konfirmationsstunden und quälender Gewissensfragen. Es kam vor, daß den Lehrerinnen Salz ins Bett gestreut wurde, so daß sie die ganze Nacht nicht schlafen konnten, oder dem Kandidaten wurden alle Knöpfe vom Mantel geschnitten und der Hut von oben bis unten mit Kreide bemalt, was dann niemand getan haben wollte. Oder Ellen und Editha wetteten, ob man Tinte trinken und vom höchsten Schrank herunterspringen könnte. Und sie tranken wirklich Tinte und sprangen von den Schränken herunter auf die Fliesen, daß die andern leichenblaß wurden vor Schreck.

      Anfang Februar war Edithas Geburtstag. Ellen träumte eine Zeitlang davon, der Freundin ihre gesammelten Gedichte zu schenken, mit Druckschrift und schön gebunden. Sie schienen ihr aber schließlich doch nicht gut genug, und so wollte sie denn lieber ein Gedichtbuch kaufen. Wer sie gemacht hatte, war ja einerlei, wenn nur recht viel von Liebe drin stand. Es war nicht so einfach, eins zu bekommen, denn das Taschengeld wurde ihr regelmäßig für Strafen abgezogen, und alle Einkäufe gingen durch die Hand der Vorsteherin.

      Ellen zerbrach sich nicht lange den Kopf darüber, sie borgte die kleine Summe zusammen, obgleich Geldleihen streng verboten war, und überredete eine von den letzten Neuen, das Buch auf ihren Namen kommen zu lassen. Es war eine Sammlung von 450 Gedichten.

      Dann lag es eine Nacht unter ihrem Kopfkissen, und sie dachte in fieberhafter Seligkeit daran, wie Editha es morgen an ihrem Platz finden würde.

      Als Ellen vor der ersten Stunde ihre Bücher zusammensuchte, legten sich plötzlich zwei Hände um sie und es ging wie ein Feuerstrom durch ihr Herz; Editha küßte sie auf den Mund. »Das war lieb von dir, kleine Ellen, ich hab' mich so gefreut.«

      In der Arbeitsstunde um Mittag fehlten die beiden Unzertrennlichen. Zufällig kam die Klassenlehrerin herein und fragte nach ihnen, aber niemand hatte sie gesehen. Mademoiselle geriet in Aufregung, suchte und fragte durchs ganze Haus. Um Gottes willen, wo konnten die beiden sein, es war ihnen ja alles zuzutrauen. Die ganze Klasse mußte mitsuchen und es entstand ein förmlicher Tumult. Endlich entdeckte man sie oben im Schlafsaal der Kleinen, auf zwei der entlegensten Betten lagen sie und lasen sich Gedichte vor. Sie machten nicht einmal Miene aufzustehen und wollten sich halb totlachen, als die Mademoiselle wutbleich vor ihnen auftauchte. Dann wurden sie in die Klasse hinuntergeschickt. Das Buch, in dem sie gelesen hatten, nahm die Lehrerin an sich und ging damit zur Pröpstin. Die alte Dame unterzog es einer genauen Prüfung, während sie sich den ganzen Vorfall berichten ließ. Auf dem ersten Blatt stand eine lange Widmung in Versen von Ellens Hand. Wie kam Ellen zu dem Buch, das gestern erst eine andre bestellt hatte? Nun folgte ein Verhör auf das andre, nur Ellen wurde nicht vorgerufen.

      Statt dessen erschien die Vorsteherin nach Tisch selbst in der Klasse, um sie vor allen andern niederzuschmettern. Sie war in großer Toilette, weil sie nachmittags an Hof gehen wollte, die lange Seidenschleppe knisterte wie eine zornige, schwarze Schlange hinter ihr her.

      Ellen stand da, beide Hände in den Schürzenlatz gesteckt und sah ihr gerade in die Augen. Sie wollte zeigen, daß sie sich nicht fürchtete, während die alte Dame mit harten, zischenden Worten auf sie einsprach:

      »Mit dir, Ellen Olestjerne, werde ich von jetzt an nicht mehr unter vier Augen reden, denn du verdienst diese Rücksicht nicht mehr. Du hast meine Geduld nun bald ein Jahr lang auf eine harte Probe gestellt; ich will jetzt nicht davon reden, daß du dich von Anfang an gegen jede Zucht und Ordnung aufgelehnt, dich auch heute noch wieder mit Editha, die ja leider ganz unter deinem Einfluß steht, lachend über alle Regeln hinweggesetzt hast, nur das eine will ich dir sagen: für ehrlich wenigstens habe ich dich bis jetzt gehalten, bis zu dem Augenblick, wo ich erfuhr, auf was für Schleichwegen du dir dieses Buch verschafft hast. Jetzt weiß ich, daß du selbst vor einem gemeinen Betrug nicht zurückschreckst – du, ein Mädchen aus guter, hochgeachteter Familie – eine Konfirmandin. – Und ich sage dir noch einmal, zum letztenmal: halt ein auf der abschüssigen Bahn, die du wandelst. Geh in dich, ehe es zu spät ist, sonst wirst du dermaleinst mit bittrer Reue an meine Worte zurückdenken.«

      Dann wandte sie sich zu den anderen: »Ellen Olestjerne hat sich eines gemeinen Betruges schuldig gemacht – sie hat den Namen einer Mitschülerin mißbraucht, um sich ein Buch zu verschaffen, das sie nicht bezahlen konnte, und noch zwei andre veranlaßt, ihr Geld zu borgen, um ihre Schuld wenigstens für den Augenblick zu decken. Ihr habt sie von jetzt an als ehrlos zu betrachten und ich warne jede, die noch mit ihr verkehrt.«

      Damit verließ sie das Zimmer und die schwarze Seidenschlange raschelte ihr nach.

      Ellen wanderte auf drei Tage in Arrest. Da saß sie in der dämmerigen Turmstube, machte lange Gedichte auf Editha und wartete, wie ihr Schicksal sich entscheiden würde. Als sie am nächsten Sonntag der Reihe nach zur Pröpstin hineinkamen, um ihre Zeugnisse vorzulegen, sagte die verhaßte Stimme:

      »Ellen Olestjerne, deine Eltern sind von dem Vorgefallenen benachrichtigt. Du kannst noch bis Ostern hierbleiben, weil ich ihnen nicht die Schande antun will, dich vor der Einsegnung fortzuschicken.«

      Es war doch ein arger Schrecken, als die kalte, unerbittliche Tatsache plötzlich vor ihr stand: fortgejagt – und die Eltern. – Wie in einem bösen Traum ging Ellen hinaus, an den andern vorbei, ohne irgend etwas zu sehen, die Treppe hinauf, oben am letzten Gangfenster blieb sie stehen und legte das Gesicht an die Scheiben. Sie hatte Todesangst vor zu Hause – heute wußten sie es vielleicht schon. Es war nicht auszudenken, wie eine erdrückende Last wälzte es sich von allen Seiten über sie her. Dazwischen glänzte wohl auch etwas Helles, Freudiges auf: heimkommen – fort aus diesen dumpfen Schulstuben, aus der moderigen Kerkerluft. Heimatsvisionen kamen, das Schloß, die sonnigen großen Zimmer, wo abends die Spatzen vor den Fenstern in den Ulmen schwätzten, der sommerliche Garten mit seinem starken Fliederduft – Detlev, die Geschwister alle – und nun schluchzte sie vor Heimweh. Ja sie wollte nach Hause, nur nach Hause, wie schlimm es auch werden mochte.

      Am Montagmorgen kam Ellen noch halb verschlafen hinunter. Vor ihrem Schrank stand Fräulein Blumener, die Wirtschaftsdame, mit der turbanartigen, punktierten Haube und räumte die Sachen auf.

      »Was soll das?«

      »Fragen Sie nicht so unverschämt – Sie bekommen Ihren Schrank jetzt da oben auf der Treppe, damit die andern nicht mehr wie nötig mit Ihnen in Berührung kommen. Wer so lügt und trügt wie Sie, muß sich auch darauf gefaßt machen, daß man ihn danach behandelt.«

      Ellen lachte, um ihre Wut zu verbergen, und machte ihr hochmütiges Gesicht. Nachher schrieb sie mit Riesenbuchstaben auf die Innenseite der Schranktür:

      Ich habe nie das Knie gebogen – den stolzen Nacken nie gebeugt.

       17. Februar 1885

      Das brachte СКАЧАТЬ