Gesammelte Werke. Franziska Gräfin zu Reventlow
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Franziska Gräfin zu Reventlow

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

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isbn: 9788075837110

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СКАЧАТЬ von Gras und Blumen hineinsah. Dahinter breiteten die Kastanienbäume ihre grünen Gewölbe mit den weißen Blütenkerzen bis auf den Boden nieder. – Ellen und Detlev saßen sich gelangweilt gegenüber, platzten manchmal zur Unzeit in Gelächter aus und widerstrebten aus tiefstem Herzen jedem Wort, das die schwarze, glattgescheitelte Lehrerin sagte. Kaum war die Stunde zu Ende, so rannten sie wie kopflos davon und mußten zehnmal zurückgerufen werden, um das Tintenfaß, ihre Bücher oder sonst etwas wegzuräumen. Dann stürzten sie zu den Hütten und warteten auf Geerd.

      Jeder Tag brachte neue Gedanken, neue Pläne und Taten. Sie gruben Kanäle, legten Inseln drunten im Graben an und befuhren das schlammige, grüne Wasser in einem alten Backtrog oder auf Bretterflößen. Das war die stolze Flotte, die von fernen Gestaden unermeßliche Schätze brachte und mehr wie einmal strandete.

      Jeden Monat wurden die Ämter und Würden neu verteilt, so waren sie abwechselnd Könige, Minister und hohe Kirchenfürsten in prunkvollen Gewändern aus farbigem Glanzkattun, mit Kronen und Bischofsmützen aus Goldpapier. Dann legten sie sich Namen und Wappen bei, und jeder erdachte sich eine verwickelte Sage über die Abstammung seines Geschlechtes, die mit gemalten Anfangsbuchstaben und absonderlichen Ungeheuern geschmückt, niedergeschrieben und in der Bundeslade aufbewahrt wurde, neben den langen Papierrollen mit Gesetzen.

      Dann ging der Sommer herum, das Moos an den Hütten vermoderte, und draußen mußte die Arbeit ruhen. Dafür gab es nun Reichstage, Kunstausstellungen von selbstgemalten Bildern, glänzende Mohufeste mit Prozessionen durch das ganze Schloß und Turniere im Rittersaal. Grüngestrichene, hölzerne Gartenstühle waren die stolzen Rosse, die sich hoch aufbäumten, während die Recken sich mit höhnischen Reden zum Kampf herausforderten und mit eingelegter Lanze aus dem Sattel zu heben suchten.

      An einem Sonntagabend im Winter saßen die drei Kinder allein im Eßzimmer.

      Es war heute nichts Rechtes mehr anzufangen, Ellen mußte noch für morgen lernen, und Geerd sprach ein paarmal davon, jetzt nach Hause zu gehen. Aber jedesmal suchte Detlev wieder etwas Neues hervor, um ihn festzuhalten. Schließlich wühlte er den ganzen Bücherschrank durch und kam mit einem Stoß von alten Bilderbüchern wieder, die von irgendeiner Großmutter stammten. Sie blätterten darin herum und sahen gelangweilt auf all die ausländischen Tiere, Pflanzen und Völkertrachten.

      »Jetzt kommen Eingeweide und Gerippe«, kündigte Geerd an. Ellen sah über ihre biblische Geschichte weg:

      »Was ist das für ein Buch, das haben wir noch nie gesehen, glaube ich?«

      »Es lag auch ganz zuunterst«, sagte Detlev.

      »Eure Mutter hat es wohl vor euch versteckt, da sind Sachen drin, die ihr noch nicht sehen dürft.«

      Geerd wollte das Buch zumachen, aber nun fielen die beiden darüber her.

      »Was dürfen wir nicht sehen? – Gib doch her. – Was ist denn das, ein Embryo? – Weißt du das, Geerd?«

      »Ja, ich weiß schon – das ist ein Kind, ehe es geboren wird. Du bist auch mal einer gewesen.«

      Die Geschwister sahen die Illustrationen an und versanken in staunendes Schweigen. Dann wollten sie sich totlachen.

      »Gibt es denn schon Kinder, ehe sie geboren sind?«

      »Seid doch nicht so albern«, sagte Geerd und fing an, ihnen mit wissenschaftlichem Ernst den Zusammenhang zu erklären. Die Kinder hörten auf zu lachen, es erwachte zum erstenmal die Ahnung in ihnen, daß das Leben auch drohende, dunkle Tiefen barg, und es schien ihnen seltsam und entsetzlich.

      Von diesem Abend an drehten sich ihre Gedanken und Gespräche fast ausschließlich um das große Geheimnis, das sie zu begreifen suchten und doch nicht ganz begriffen. Sie nahmen es alle drei sehr ernst – die ganze Welt verwandelte sich ihnen in einen Abgrund von unausdenkbaren Greueln, sie schämten sich ihrer Mitmenschen und verachteten sie. »Wie waren die nur imstande – fast alle Erwachsenen«, sagte Geerd – »sich mit solchen sinnlosen Widerwärtigkeiten abzugeben? Die Verheirateten, um Kinder zu bekommen, das ging ja wohl nicht anders, aber die übrigen? Zum bloßen Vergnügen? – Aber wie konnte ihnen das Vergnügen machen? Und warum bekamen die keine Kinder?«

      So drängte sich ihnen Rätsel auf Rätsel, und alle wußte Geerd auch nicht zu lösen.

      »Woher weißt du eigentlich das alles?« fragten sie einmal.

      »Von meiner Mutter – sie sagt mir alles, was ich wissen will.«

      Ellen und Detlev waren sehr erstaunt und beneideten ihn um seine Mutter. Bei ihnen war das ganz anders, sie gingen beinah schuldbewußt herum, seit sie so viel erfahren hatten, und zitterten, daß die Eltern es merken könnten.

      Das Königreich geriet darüber mehr und mehr in Vergessenheit, wenigstens waren sie nicht mehr mit demselben Eifer dabei wie früher, und als die schöne Zeit wiederkam, machten sie lieber weite Spaziergänge miteinander. Der Mutter war es ein Dorn im Auge, daß Ellen immer nur mit den Jungen zusammen sein wollte, aber Geerd und Detlev ließen nicht nach, bis sie mitdurfte.

      »Meinetwegen diesen einen Sommer noch«, sagte sie schließlich, »aber dann hat es ein Ende. Dann muß sie wirklich einmal anfangen, ein vernünftiges Mädchen zu werden.«

      Davon war bis jetzt noch wenig zu merken, immer war es gerade Ellen, die mit zerrissenen Kleidern, mit Schrammen und Beulen heimkam oder schlammbedeckt und bis an den Hals durchnäßt. Woher hatte das Kind nur diese unbändige Wildheit im Leibe? Kein Baum war ihr zu hoch, kein Graben zu breit, und wurde sie dafür gescholten, so brach sie jedesmal in schmerzliche Verwünschungen aus, daß sie kein Junge war.

      Trotz all dieser Bitternisse war es noch ein wunderbar schöner Sommer, den die drei Freunde zusammen verlebten. Lange Nachmittage lagen sie draußen am Strand in dem kurzen, harten Deichgras, wenn die Luft so klar war, daß man die Inseln deutlich sehen konnte und weitum nichts hörte, wie den langgezogenen, sehnsüchtigen Schrei der Seevögel. Und der Rückweg durch den grünen Koog, wo es große Gefahren und Hindernisse mit Gräben und losgerissenen Bullen gab. Oder sie gingen weit in die Heide hinein zum »Galgenberg«. – Vor vierzig Jahren sollte dort die letzte Hinrichtung gewesen sein, jetzt stand nur noch ein einziger alter Pfosten da. Die Kinder saßen im roten Heidekraut und schauderten, wenn eine Krähe aufflog. Oft sprachen sie dann von ihrem späteren Leben – Geerd sollte zum Herbst auf eine andere Schule, und das war ein furchtbarer Schlag für sie alle. Wie sollten sie ohne einander fortleben, bis sie groß waren und tun konnten, was sie wollten. Denn dann wollten sie wieder zusammenkommen, das stand fest.

      »Ja, und du wirst wohl auch später einmal heiraten müssen, Ellen, und Kinder kriegen«, sagte Geerd manchmal. Ellen sträubte sich wütend dagegen, es war ein schrecklicher Gedanke, daß sie eine Frau werden sollte, sie suchte sich dann durch doppelte Kraftleistungen hervorzutun und redete wilde Zukunftspläne. Sie dachte immer noch daran, einmal fortzulaufen zu den Zigeunern, hatte sich heimlich beim Tischler Kniestelzen machen lassen und übte sich in Purzelbäumen, um bereit zu sein, wenn der Augenblick kam. Ach, und dann im grünen Wagen von Jahrmarkt zu Jahrmarkt, konnte es wohl etwas Schöneres geben? Oder wenn das nicht ging, als Schiffsjunge verkleidet zur See gehen; kein Mensch hielt sie für ein Mädchen, wenn sie Detlevs Kleider anhatte.

      »Ellens Vogelbauer«, sagte der Bruder überlegen, wenn sie so sprach, und dann lachten die beiden Jungen sie aus. Ellen arbeitete nun schon seit mindestens zwei Jahren daran, einen ungeheuren Käfig für ihre Kanarienvögel zu bauen, der immer wieder mißlang, und jedesmal versuchte sie es dann auf andere Weise. Einmal hatte sie schon einen zustande gebracht aus zerspaltenen Zigarrenkisten, aber es war so dunkel darin, daß die Vögel melancholisch wurden und nicht mehr СКАЧАТЬ