Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr. Franz Werfel
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Читать онлайн книгу Historische Romane: Die vierzig Tage des Musa Dagh, Verdi, Das Lied von Bernadette, Eine blassblaue Frauenschrift und mehr - Franz Werfel страница 127

СКАЧАТЬ voll roter Beeren stand, die im leblosen Mondlicht die stumpfe Farbe von Siegellacktropfen hatten. Iskuhis Worte kamen gepreßt und befangen:

      »Ich möchte dich nur fragen, ob es dich nicht stören wird, wenn ich mich morgen in deiner Nähe aufhalte ...«

      »Nichts auf der Welt tut mir wohler als deine Nähe, Iskuhi ...«

      Er unterbrach sich, dachte nach und preßte ihre Hand gegen seine Wange:

      »Und doch, es würde mich nicht nur stören, sondern peinigen, dich in Gefahr zu wissen.«

      »Die Gefahr ist überall, wo wir sind, Gabriel. Ein paar Stunden früher oder später, das ist doch gleichgültig ...«

      »Hast du nicht gerade morgen die Pflicht, bei Howsannah und dem Kindchen auszuharren? Wer kann sagen, was bis zum nächsten Abend hier geschehen sein wird?«

      Ihr schwacher Körper streckte sich voll entschlossener Festigkeit:

      »Wer kann sagen, was bis zum nächsten Abend hier geschehen sein wird? Gerade deshalb erkenne ich keine andere Pflicht mehr an, als ... Howsannah und das Kind haben damit nichts zu tun. Sie sind mir gleichgültig.«

      Gabriel beugte sich dicht über Iskuhi, um in ihre Augen einzudringen, die ihm groß entgegenschmolzen. Ein seltsamer Gedanke durchzitterte ihn. Vielleicht war das, was ihn jetzt zu ihr hinzog, keine gewöhnliche Liebe, nicht das, was ihn noch immer mit Juliette verband, sondern weit mehr und auch weniger als Liebe. Er fühlte all seine Sinnen- und Seelenkräfte gesteigert und glückselig gemacht, ohne daß ihn Begehren ablenkte. Vielleicht war es die unbekannte Liebe der Blutsverwandtschaft, die ihn durch Iskuhis Blick wie ein mystisches Quellwasser erquickte, nicht der Wunsch, eins zu werden in der Zukunft, sondern die Gewißheit, in der Vergangenheit eins gewesen zu sein. Er lächelte in ihre Augen hinein:

      »Ich habe gar keine Todesgefühle, Iskuhi! Es ist verrückt, aber ich bringe es nicht im entferntesten fertig, mir vorzustellen, daß ich morgen nicht mehr leben könnte. Ich halte das für kein schlechtes Vorzeichen. Und du, was meinst du?«

      »Der Tod muß doch kommen, Gabriel. Es gibt doch gar keinen anderen Ausweg für uns ...«

      Er hörte den Doppelklang aus ihren Worten nicht heraus. Eine unglaublich sichere Fröhlichkeit entfaltete sich in ihm:

      »Man soll nicht zu weit denken, Iskuhi! Ich denke an nichts als an den morgigen Tag. Mit dem Abend beschäftige ich mich nicht. Weißt du, daß ich mich eigentlich auf morgen freue?«

      Iskuhi erhob sich, um nach Hause zu gehen:

      »Ich wollte von dir nur ein Versprechen haben, Gabriel. Etwas, das auf der Hand liegt. Wenn es soweit sein sollte und keine Hoffnung mehr besteht, bitte, dann erschieße mich und dich! Es ist die beste Lösung. Ich kann ohne dich nicht leben. Doch ich möchte auch nicht, daß du ohne mich lebst, keinen Augenblick! Darf ich mich also in deiner Nähe aufhalten morgen?«

      Nein! Sie mußte ihm das Wort geben, daß sie sich während des Tages nicht aus dem Zelt fortrühren werde. Er aber gab ihr das Wort, daß er sie, wenn alles verloren sei, zu sich rufen oder holen werde, um mit ihr zu sterben. Er lächelte bei diesem Versprechen, denn in seiner Seele glaubte tatsächlich nicht die leiseste Regung an das Ende. Deshalb auch fürchtete er für Juliette und Stephan nichts. Als er aber die Arbeit bei den Geschützen wieder aufnahm, wunderte er sich selbst über seinen Lebensglauben, den die furchtbarste Wirklichkeit von allen Seiten im drohenden Halbkreis höhnisch widerlegte.

      Der Kaimakam, der Jüsbaschi aus Antakje, der rothaarige Müdir, der Bataillonskommandant der aus Aleppo gesandten vier Kompanien und zwei andere Offiziere hielten nach Sonnenuntergang im Selamlik der Villa Bagradian Kriegsrat. Das Empfangszimmer erstrahlte im vollen Kerzenlicht wie bei Juliettens Notabeln-Abenden. Die Offiziersdiener räumten die Reste der Mahlzeit ab, welche die Herren in diesem Salon eingenommen hatten. Durch die offenen Fenster drangen Trompetensignale und die Feierabendgeräusche einer rastenden und menagierenden Truppe. Da man bei diesen Teufelsarmeniern auf unvorhergesehene Streiche gefaßt sein mußte, hatte der Kaimakam für das Hauptquartier eine Bedeckungsmannschaft angefordert, die nun den Park, den Obst- und Gemüsegarten des Hauses durch ihr Zeltlager verwüstete.

      Die Beratung der Offiziere und Beamten dehnte sich schon ziemlich lange aus, ohne daß eine volle Übereinstimmung erreicht worden wäre. Es handelte sich um nichts Geringeres als um die Frage, ob die angeordnete Erstürmung des Damlajik im Morgengrauen wirklich gewagt werden sollte. Der Kaimakam mit der mißvergnügten Hautfarbe und den schwarzbraunen Augensäcken war innerhalb dieses Kriegsrates die zögernde und widerstrebende Persönlichkeit. Er begründete seine unentschlossene Haltung mit dem Umstand, daß der Etappengeneral von Aleppo auf Wunsch des Wali zwar ein ganzes Infanteriebataillon gesandt habe, daß aber die versprochenen Maschinengewehre und Gebirgskanonen nicht eingetroffen seien. Der Kolagasi (Stabshauptmann) aus Aleppo erklärte dieses Versäumnis damit, daß diese Waffengattungen allesamt mit den abkommandierten Divisionen aus Syrien verschwunden seien und daß sich in ganz Aleppo kein Maschinengewehr finde. Der Kaimakam gab den Herren zu bedenken, ob es nicht vorteilhafter wäre, mit der Aktion noch einige Tage zu warten und Seine Exzellenz Dschemal Pascha telegrafisch um Überlassung der notwendigen Angriffswaffen dringend zu ersuchen. Die Offiziere aber hielten diesen Vorschlag für unmöglich, da die Umgehung der Instanzen den unberechenbaren Dschemal erbittern und zu einem Gegenstreich aufreizen könnte. Der Jüsbaschi aus Antakje schob den Stuhl zurück und nahm einen Zettel zur Hand. Seine Finger zitterten, weniger, weil er erregt, als weil er ein Kettenraucher war:

      »Effendiler«, begann er mit einer leisen und heiseren Stimme, »wenn wir auf Artillerie und Maschinengewehre warten wollen, so bleibt uns nichts übrig, als hier zu überwintern. Mit dergleichen sieht es bei der Feldarmee so schlecht aus, daß wir uns mit unseren Ansprüchen nur lächerlich machen würden. Ich werde mir erlauben, dem Kaimakam die Stärke unserer Truppen noch einmal ins Gedächtnis zu rufen ...«

      Ohne jede Betonung las er die Zahlen von seinem kleinen Zettel ab:

      »Vier Kompanien aus Aleppo: sind rund tausend Mann. Zwei Kompanien aus Alexandrette: sind fünfhundert Mann. Die aufgefüllte Garnison von Antakje: sind vierhundertundfünfzig Mann. Das bedeutet fast zweitausend Gewehre regulärer Infanterie. Die Regimenter der Front dürften nicht annähernd diese Stärke haben. Weiter, die zweite Linie: vierhundert Saptiehs aus Aleppo, dreihundert Saptiehs aus unserer eigenen Kasah und vierhundert Tschettehs aus dem Norden, das sind wiederum elfhundert Mann. Dazu kommen in dritter Linie noch die zweitausend Moslems der verschiedenen Dörfer, die wir bewaffnet haben. Alles in allem werden wir also mit einer Truppe von rund fünftausend Gewehren angreifen ...«

      Der Jüsbaschi unterbrach seinen Bericht, um eine Tasse Kaffee hinunterzustürzen und eine neue Zigarette anzuzünden. Diese Pause benützte jemand, um einen Einwurf zu machen.

      »Die Armenier besitzen immerhin zwei Geschütze.«

      Die eingefallenen Wangen des Majors hatten sich belebt und seine gelbliche Stirn schimmerte feucht:

      »Diese Geschütze sind vollkommen wertlos. Denn erstens fehlt ihnen die Munition, und zweitens kann niemand mit ihnen umgehen. Drittens aber werden wir sie sehr schnell wiederbekommen.«

      Der Kaimakam, der müde oder gelangweilt in seinem Fauteuil zurückgesunken saß, hob die Augen:

      »Unterschätzen Sie diesen Bagradian nicht, Jüsbaschi! Ich bin dem Mann nur ein einziges Mal begegnet, im Bade. Dort hat er sich merkwürdig frech benommen.«

      Der junge Müdir mit den Sommersprossen und fabelhaften Fingernägeln mischte sich vorwurfsvoll ins Gespräch:

      »Es СКАЧАТЬ