Название: Martin Eden
Автор: Джек Лондон
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788026884491
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Endlich hatte er das Weib getroffen – das Weib, aus dem er sich bisher so wenig gemacht hatte, weil es ihm nicht gegeben war, an Weiber zu denken, wenn er auch davon geträumt hatte, ihnen einmal in der Zukunft zu begegnen. Er hatte neben ihr bei Tische gesessen. Er hatte ihre Hand in der seinen gefühlt, hatte ihr in die Augen geblickt und den Schimmer einer schönen Seele gesehen – die doch nicht schöner war als die Augen, aus denen sie leuchtete, oder der Körper, der ihr Form verlieh. Er dachte nicht an ihren Körper als solchen, was neu für ihn war, denn bei den Frauen, die er bisher gekannt, hatte er an nichts anderes gedacht. Aber mit ihr war es ganz anders. Er konnte sich nicht vorstellen, daß ihr Körper den Krankheiten und Schwächen des Fleisches unterworfen war. Ihr Körper war eher wie ein Gewand ihres Geistes. Er war eine Ausstrahlung ihres Geistes, eine reine, schöne Kristallisierung des Göttlichen in ihrem Wesen. Dies Gefühl des Göttlichen erschreckte ihn. Es riß ihn aus seinen Träumen und brachte ihn zu ernstem Nachdenken. Nie zuvor hatte er auch nur in Gedanken einen Hauch des Göttlichen empfunden, nie hatte er an das Göttliche geglaubt. Er war stets Freidenker gewesen und hatte in aller Gutmütigkeit über die »Himmelslotsen« und ihr Gerede von der Unsterblichkeit der Seele gespottet. Ein Leben nach dem Tode hatte er geleugnet; es gab nur den Augenblick, das Jetzt, und dann ewige Finsternis. Was er aber in ihren Augen gesehen hatte, war die Seele – die unsterbliche Seele, die nie sterben konnte. Kein Mann, den er bisher gekannt hatte, und keine Frau hatten ihm je eine Botschaft von der Unsterblichkeit gebracht. Sie aber hatte es getan. Sie hatte sie ihm zugeflüstert im ersten Augenblick, als sie ihn angeschaut. Während er durch die Straßen schritt, stand ihr Gesicht lebhaft vor ihm, blaß und ernst, süß und voller Gefühl, mit einem Lächeln, so mitleidsvoll und sanft, wie nur die seligen Geister lächeln können, und so rein, wie er es nie für möglich gehalten. Ihre Reinheit traf ihn wie ein Schlag. Sie erschreckte ihn. Er hatte Gutes und Böses gekannt, aber an Reinheit als Wesensausdruck hatte er nie gedacht. Und jetzt hatte er bei ihr eine Reinheit gesehen, die der höchste Grad von Güte und Unschuld war, und deren Summe das ewige Leben ausmachte.
Und sofort spornte sein Ehrgeiz ihn an, nach diesem ewigen Leben zu greifen. Er war nicht einmal würdig, ihr das Schuhband zu lösen – das wußte er; es war ein Wunder und ein phantastisches Spiel des Schicksals, das ihm an diesem Abend ermöglicht hatte, sie zu sehen, mit ihr zusammen zu sein und zu sprechen. Es war Zufall, nicht sein Verdienst. Er verdiente ein solches Glück nicht. Er war ganz religiös gestimmt. Er war bescheiden und demütig, von der Erkenntnis seiner eigenen Kleinheit und Unwürdigkeit erfüllt. Es war die Stimmung, die Sünder zum Beichtstuhl treibt. Er war von seiner Sünde überzeugt. Aber wie die Geringen und Demütigen, wenn sie Buße tun, einen strahlenden Schimmer ihrer eigenen künftigen Größe sehen, so sah auch er einen Schimmer dessen, was er durch ihren Besitz erreichen würde. Dieser Gedanke an ihren dereinstigen Besitz war jedoch dunkel und verschwommen und hatte nichts mit der Art Besitz zu tun, die er bisher gekannt hatte. Sein Ehrgeiz hob sich in wahnsinnige Höhen, und er sah, wie er gemeinsam mit ihr sich zu diesen Höhen emporkämpfte, seine Gedanken mit ihr teilte und sich mit ihr über schöne, edle Dinge freute. Es war ein Besitz der Seele, von dem er träumte, von aller irdischen Plumpheit gereinigt, eine geistige Kameradschaft, der seine Gedanken keine Form verleihen konnten. Er dachte überhaupt nicht. Das Gefühl trat an die Stelle des Denkens, und nie gekannte Stimmungen ließen ihn beben und zittern, bis er entzückt auf einem Meer von Gefühlen trieb, die, selbst erhaben und geläutert, ihn auf die höchsten Zinnen des Lebens führten.
Er schwankte wie ein Betrunkener und murmelte laut und begeistert: »Bei Gott! Bei Gott!«
An einer Straßenecke sah ihn ein Schutzmann mißtrauisch an und bemerkte seinen rollenden Seemannsgang.
»Wo hast du dir den geholt?« fragte der Schutzmann. Da war Martin Eden auf die Erde zurückgekehrt. Sein Organismus war wie ein leichtflüssiger Stoff, der sofort alle Winkel und Ritzen füllen konnte. Der Anruf des Schutzmanns brachte ihn sofort zu sich, und er erfaßte die Situation klar.
»Der ist nicht schlecht, was?« antwortete er lachend. »Ich wußte gar nicht, daß ich laut redete.«
»Du wirst bald anfangen zu singen«, meinte der Schutzmann.
»Nein, das tue ich nicht. Gib mir ein Streichholz, und dann fahre ich mit der nächsten Straßenbahn nach Haus.«
Er zündete sich seine Zigarette an, sagte gute Nacht und ging weiter. »Dem hab' ich wohl einen Schrecken eingejagt«, murmelte er. »Der Blaue dachte, ich sei betrunken.« Er lächelte und dachte nach. »Das war ich wohl auch,« fügte er hinzu, »aber ich hätte nicht gedacht, daß man das von einem Frauengesicht werden könnte.«
Er stieg in eine Straßenbahn, die nach Berkeley ging. Sie war überfüllt mit jungen Burschen und Männern, die sangen und lärmten und hin und wieder ein Gebrüll ausstießen. Er betrachtete sie mit Interesse. Es waren Studenten. Sie besuchten dieselbe Universität wie Ruth, gehörten derselben sozialen Klasse an wie sie, kannten sie vielleicht, sahen sie jeden Tag, wenn sie Lust dazu hatten. Er wunderte sich, daß sie keine Lust dazu hatten, daß sie heute hinausfuhren, um sich zu belustigen, statt in einem ehrerbietigen, bewundernden Kreis um sie zu sitzen. Seine Gedanken gingen weiter. Er bemerkte einen jungen Mann mit zusammengekniffenen Augen und hängenden Lippen. Das ist ein Mistkerl, dachte er. An Bord eines Schiffes würde man ihn einen Schleicher, einen Waschlappen, ein Klatschweib genannt haben. Er, Martin Eden, war ein besserer Mann als dieser Bursche. Der Gedanke ermutigte ihn. Es war, als ob er ihn ihr näherbrachte. Er begann sich mit den anderen Studenten zu vergleichen. Er war sich seines Muskelmechanismus bewußt und war überzeugt, daß er ihnen in körperlicher Beziehung überlegen war. Aber ihre Köpfe waren mit einem Wissen gefüllt, das sie befähigte, so zu sprechen, wie sie zu sprechen pflegte. Dieser Gedanke entmutigte ihn. Aber wozu hat man denn einen Kopf? fragte er sich heftig. Was die getan hatten, konnte er auch tun. Sie hatten das Leben in Büchern studiert, während er genug zu tun gehabt hatte, das Leben selbst zu studieren. Sein Kopf war genau so mit Wissen gefüllt wie die ihren, es war nur eine andere Art von Wissen. Wie viele von ihnen konnten wohl einen Taljenreepknoten machen, am Ruder stehen oder Wache gehen? Sein Leben lag vor ihm ausgebreitet in einer ganzen Reihe von Bildern, Bildern von Gefahr, Kühnheit, Mühsal und Fleiß. Er erinnerte sich seiner Fehlschläge bei seinen Versuchen, sich Wissen zu verschaffen. Soviel hatte er jedenfalls doch gewonnen: sie mußten später auch hinaus ins Leben und die Tretmühle durchmachen, wie er es getan. Schön! Während sie damit beschäftigt waren, konnte er die andere Seite des Lebens aus Büchern lernen.
Als der Wagen die schwach bebaute Zone durchfuhr, die Oakland und Berkeley trennte, hielt er Ausschau nach einem wohlbekannten zweistöckigen Gebäude, das an der Straßenfront das stolze Schild »Higginbothams Bar-und Kassageschäft« trug. An dieser Ecke stieg Martin Eden aus. Er starrte einen Augenblick auf das Schild. Es verkündete ihm mehr als die Buchstaben selbst. Es war gerade, als ob er hinter diesen Buchstaben eine kleinliche, egoistische und tückisch berechnende Persönlichkeit sähe. Bernard Higginbotham war mit seiner Schwester verheiratet, und er kannte ihn gut. Er öffnete die Haustür mit einem Drücker und stieg die Treppe hinauf zum zweiten Stock. Hier wohnte sein Schwager. Das Geschäft befand sich unten. Ein Duft von welkem Gemüse hing in der Luft. Auf dem dunklen Vorplatz stolperte er über einen Spielzeugwagen, den eines von seinen zahlreichen Neffen oder Nichten hatte stehenlassen, und fiel mit einem Krach, der im ganzen Hause widerhallte, gegen eine Tür. »Der Knicker!« dachte er. »Er ist zu geizig, um für zwei Cent Gas zu brennen. Lieber kann sich sein Pensionär den Hals brechen.«
Schließlich fand er den Türgriff und betrat ein erleuchtetes Zimmer, in dem seine Schwester und Bernard Higginbotham saßen. Sie war dabei, ein paar alte Hosen ihres Mannes zu flicken, und er rekelte seinen mageren Körper auf einem Stuhl, während seine Füße in ganz ausgetretenen Filzpantoffeln von einem zweiten Stuhl herunterbaumelten. Er blickte mit einem Paar dunkler, unzuverlässiger, stechender Augen СКАЧАТЬ