Название: Martin Eden
Автор: Джек Лондон
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788026884491
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»Wie lange müßte ich lernen, um auf die Universität kommen zu können?«
Sie lächelte ermutigend über seinen Lerneifer und sagte: »Das hängt davon ab, was Sie schon gelernt haben. Sie haben nie ein Gymnasium besucht? Natürlich nicht. Aber haben Sie die Gemeindeschule ganz durchgemacht?«
»Es fehlten zwei Jahre, als ich abging«, erwiderte er. »Aber ich war immer sehr gut in der Schule.«
Im nächsten Augenblick ärgerte er sich so über seine Prahlerei, daß er die Stuhllehne packte, bis die Fingerspitzen ihm förmlich brannten. Da bemerkte er, daß eine Frau ins Zimmer trat. Er sah, wie das Mädchen vom Stuhl aufstand und der Eintretenden entgegeneilte. Sie küßten sich und kamen dann Arm in Arm auf ihn zu. Das muß ihre Mutter sein, dachte er. Sie war eine hochgewachsene blonde Frau, schlank, stattlich und schön. Ihre Kleidung war so, wie er sie in einem solchen Hause erwartet hatte. Seine Augen hingen mit Entzücken an den anmutigen Linien. In ihrer Tracht erinnerte sie ihn an Frauen, die er auf der Bühne gesehen hatte. Dann erinnerte er sich, daß er ähnlich gekleidete Damen in die Londoner Theater hatte hineingehen sehen. Er hatte ihnen nachgesehen, bis der Schutzmann ihn in den Sprühregen vor der Markise geschoben hatte. Gleich darauf machten seine Gedanken einen Sprung nach dem Grand Hotel in Yokohama, wo er auch vom Bürgersteig aus große Damen gesehen hatte. Dann begann Yokohama selbst mit seinem Hafen in tausend Bildern vor seinen Augen zu erscheinen. Aber er löste sich schnell von diesem Kaleidoskop der Erinnerung, in dem Bewußtsein, daß er jetzt seine ganze Geistesgegenwart nötig hatte. Er wußte, daß er aufstehen mußte, um vorgestellt zu werden, und so erhob er sich denn beschwerlich und stand da, mit Hosen, die sich an den Knien beutelten, mit hängenden Armen und zusammengebissenen Zähnen, bereit, die bevorstehende Prüfung über sich ergehen zu lassen.
Zweites Kapitel
Der Weg ins Speisezimmer war ein böser Traum für ihn. Er stolperte und stieß sich, machte entschlossen einen Schritt vorwärts und blieb wieder stehen, und zuweilen schien ihm fast, als würde er nie hineingelangen. Schließlich aber war er drinnen und wurde neben SIE gesetzt. Der Überfluß an Messern und Gabeln jagte ihm Schrecken ein. Sie drohten mit unbekannten Gefahren, und er starrte sie benommen an, bis ihr Glanz der Hintergrund für eine Reihe von Bildern aus der Back wurde, wo er und seine Kameraden saßen und Salzfleisch mit dem Taschenmesser und den Fingern aßen oder dicke Erbsensuppe mit Blechlöffeln in sich hineinschaufelten. Er konnte geradezu den Geruch von verdorbenem Fleisch spüren und das Schmatzen der Essenden zum Knarren der Hölzer und Ächzen der Schoote hören. Er sah die Kameraden essen und kam zu dem Ergebnis, daß sie wie Schweine aßen. Nun, er wollte sich hier schon zusammennehmen. Er wollte kein Geräusch machen. Er wollte ununterbrochen auf sich achten.
Er ließ seinen Blick über den Tisch schweifen. Ihm gegenüber saßen Arthur und Arthurs Bruder Norman. Er dachte daran, daß es ihre Brüder waren, und fühlte warme Freundschaft für sie. Wie alle in dieser Familie sich liebten! Er dachte wieder daran, wie SIE und ihre Mutter sich geküßt hatten und ihm Arm in Arm entgegengekommen waren. In seiner Welt zeigten Eltern und Kinder ihre Gefühle nicht so. Es war eine Offenbarung von den Höhen des Lebens, die man in dieser hoch über der seinen liegenden Welt erreichen konnte. Dieser kleine Einblick in eine neue Welt hatte ihm das Schönste gezeigt, das er je gesehen. Es machte einen tiefen Eindruck auf ihn, und sein Herz strömte über vor mitfühlender Zärtlichkeit. Sein ganzes Leben hatte ihn nach Liebe gehungert. Sein Wesen brauchte Liebe. Sie war eine Lebensbedingung für seinen Organismus. Und dennoch hatte er sie entbehren müssen, aber er war hart dabei geworden. Er hatte selbst nicht gewußt, daß er Liebe brauchte, und auch jetzt wußte er es nicht. Er sah nur ihr Wirken, und das durchschauerte ihn tief und erschien ihm herrlich und erhaben.
Er freute sich, daß Herr Morse nicht anwesend war. Es war schwer genug, mit ihr, ihrer Mutter und ihrem Bruder Norman bekannt zu werden. Arthur kannte er schon ein wenig. Der Vater, das wußte er, hätte dem Faß den Boden ausgeschlagen. Ihm schien, daß er sich noch nie im Leben so abgemüht hätte. Die schwerste Arbeit war Kinderspiel dagegen. Winzige Schweißtropfen traten ihm auf die Stirn, und sein Hemd war durchnäßt, weil er sich bemühte, soviel Ungewohntes auf einmal zu tun. Er mußte essen, wie er noch nie gegessen hatte, mußte mit seltsamen Geräten hantieren und dabei verstohlene Blicke auf die anderen werfen, um zu sehen, wie sie mit jedem neuen Dinge umgingen; er mußte die Flut von Eindrücken bewältigen, die über ihm zusammenschlug und in seinem Bewußtsein gesichtet und geklärt werden sollte. Dazu fühlte er eine heftige Sehnsucht nach ihr, eine Sehnsucht, die die Form dumpf nagender Rastlosigkeit annahm, und spürte einen heftigen Drang, sich emporzuschwingen zu der Höhe des Lebens, auf der sie sich befand. Immer wieder verirrten sich seine Gedanken in unklaren Plänen, wie er sich auf ihre Höhe schwingen könnte. Wenn sein Blick heimlich zu Norman, der ihm gerade gegenüber saß, oder zu den anderen glitt, um herauszubekommen, welches Messer oder welche Gabel bei einer bestimmten Gelegenheit zu gebrauchen war, so nahm das Gesicht des Betreffenden seine Gedanken in Anspruch, und er versuchte mechanisch zu erraten, was er – stets im Verhältnis zu ihr – war.
Dann mußte er wieder sprechen, hören, was zu ihm gesprochen wurde, und was die anderen unter sich sprachen, und, wenn nötig, antworten mit einer Zunge, die die unangenehme Neigung hatte, durchzugehen, und stets gezügelt werden mußte. Und um seine Verwirrung noch zu vermehren, war der Diener da, eine beständige Drohung, die sich lautlos hinter ihn schlich, ein unheimlicher Spion, der ihm unangenehme Rätsel aufgab, die er stets sofort lösen mußte. Während der ganzen Mahlzeit bedrückte ihn der Gedanke an die Spülkummen. Immer wieder, unaufhörlich mußte er darüber nachdenken, wann sie in die Erscheinung treten und wie sie aussehen würden. Er hatte von diesen Dingen gehört und wußte, daß er sie im Laufe weniger Minuten sehen sollte, daß er mit höheren Wesen bei Tische saß und sie wie diese benutzen sollte. Und das Wichtigste von allem: auf dem Grunde seiner Gedanken und doch stets dicht an der Oberfläche lag die große Frage, wie er sich diesen Leuten gegenüber benehmen sollte. Welche Haltung sollte er einnehmen? Mit diesem Problem kämpfte er andauernd und furchtsam. Da waren feige Einwendungen, die ihn Komödie spielen lassen wollten, und noch feigere, die ihm sagten, daß ein solcher Versuch mißlingen mußte, daß seine Natur sich nicht dazu eignete, und daß er sich zum Narren machen würde. Während des ersten Teiles des Essens rang er mit sich, wie er sich verhalten sollte, und war sehr still. Er wußte nicht, daß er durch sein Schweigen Arthur Lügen strafte, der am Tage zuvor gesagt hatte, er würde einen Wilden mit zu Tisch bringen, daß sie aber keine Angst zu haben brauchten, denn es sei ein interessanter Wilder. Martin Eden hätte sich nicht vorstellen können, daß ihr Bruder sich eines solchen Verrats schuldig machte, zumal er ja ebendiesem Bruder bei einer schlimmen Prügelei geholfen hatte. Und so saß er denn bei Tische, bedrückt durch seine eigene Unwürdigkeit und doch zugleich von allem, was um ihn her vorging, bezaubert. Zum erstenmal erkannte er, daß Essen etwas anderes als eine nützliche Funktion war. Er hatte keine Ahnung, was er aß. Es war eben Essen. Er stillte seinen Schönheitsdurst an diesem Tisch, wo Essen eine ästhetische Funktion war. Aber es war auch eine geistige Funktion. Sein Geist war angestachelt. Er hörte Worte, die keinen Sinn für ihn hatten, und andere Worte, die er nur in Büchern gefunden hatte, und die keiner der Männer oder Frauen seiner Bekanntschaft imstande gewesen wären auszusprechen. Wenn er diese Worte von den Lippen dieser wundervollen Familie – ihrer Familie – aussprechen hörte, als ob es das Natürlichste von der Welt wäre, wurde er von Entzücken durchbebt. Die Romantik und Schönheit, das Erhabene, von dem er in Büchern gelesen hatte, wurde hier Wirklichkeit. Er befand sich in dem seltsamen, seligen Zustand, in dem ein Mann seinen Traum aus den Winkeln der Phantasie herausspazieren und Wirklichkeit werden sieht. Noch nie hatte er auf solchen Höhen des Lebens gestanden, und er hielt sich selbst im Hintergrund, lauschend, beobachtend und sich freuend, während er einsilbig Ja und Nein antwortete. Er mußte sich Mühe geben, daß er ihren Brüdern nicht dieselbe Ehrerbietung wie ihr und ihrer Mutter erwies. Aber er sagte sich, daß das unmöglich sei, СКАЧАТЬ