Название: Martin Eden
Автор: Джек Лондон
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788026884491
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Mit einem bitteren Lachen ließ er sich auf das Bett fallen und zog sich die Schuhe aus. Er war ein Narr. Er hatte sich von dem Gesicht und den weichen Händen eines Weibes berauschen lassen. Und plötzlich sah er ein neues Bild auf der schmutzigen geweißten Wand. Er sah sich selbst vor einer finsteren Arbeiterkaserne stehen. Es war eine Nacht im Osten Londons, und vor ihm stand Margey, eine kleine Fabrikarbeiterin von fünfzehn Jahren. Er hatte sie nach dem »Bohnenfest« heimbegleitet. Sie wohnte in der finsteren Kaserne, die schlechter war als ein Schweinekoben. Er reichte ihr die Hand zum Abschied, und sie hob ihm das Gesicht entgegen, damit er sie küßte. Aber er wollte sie nicht küssen. Er fürchtete sich irgendwie vor ihr. Da aber schloß sich ihre Hand mit fieberhaftem Druck über der seinen. Er fühlte, wie die harte Haut ihrer Hand gegen die seine scheuerte, und eine Woge innigen Mitleids wallte in ihm auf. Er sah den sehnsüchtigen, hungrigen Ausdruck in ihren Augen, und eine zurückgedrängte wilde Lebensgier verwandelte plötzlich die kleine, unterernährte Gestalt aus einem Kinde in ein erwachsenes Weib. Da schlang er mit unendlicher Nachsicht die Arme um sie, beugte sich zu ihr hinab und küßte sie auf den Mund. Er konnte noch den kleinen Freudenschrei hören, den sie ausstieß, und er fühlte, wie sie sich wie eine Katze an ihn klammerte. Arme Kleine! Er starrte auf das Bild dessen, was vor langer, langer Zeit geschehen war. Das Blut rollte schneller durch seine Adern, wie es in jener Nacht getan, als sie sich an ihn klammerte und sein Herz vor Mitleid schwoll. Die Umgebung war grau gewesen, schmutzig grau, und ein feiner Staubregen hatte den grauen Bürgersteig noch grauer und schmutziger gemacht. Plötzlich aber erstrahlte die Wand, das Bild verschwand, und statt seiner leuchtete IHR blasses Antlitz mit seiner goldenen Haarkrone, fern und unerreichbar wie ein Stern.
Er nahm den Browning und den Swinburne vom Stuhl und küßte die Bücher. Sie hat mich angespornt, dachte er. Wieder warf er einen Blick in den Spiegel und sagte dann laut, mit tiefem Ernst:
»Martin Eden, gleich morgen früh gehst du in die Volksbibliothek und liest darüber nach, wie man sich zu benehmen hat. Verstanden?«
Er drehte das Gas aus, und die Federn krächzten unter seinem Körper.
»Aber du darfst nicht mehr fluchen, Martin. Hörst du, Alter, du darfst nicht mehr fluchen«, sagte er laut.
Dann schlief er ein und hatte Träume, die sich an Kühnheit nur mit den Träumen eines Opiumrauchers messen konnten.
Fünftes Kapitel
Am nächsten Morgen erwachte er aus seinen rosigen Träumen in einer Atmosphäre von Dampf, Seifengeruch und schmutziger Wäsche, einer Atmosphäre, die unter den schreienden Disharmonien eines zerquälten Lebens zitterte. Als er sein Zimmer verließ, hörte er ein Plätschern von Wasser und ein gereiztes, von einem Schlage gefolgtes Schelten: seine Schwester ließ ihren Zorn an einem ihrer vielen Kinder aus. Das Schreien des Kindes durchbohrte ihn wie ein Messer. Er war sich bewußt, daß das alles, ja selbst die Luft, die er einatmete, unendlich niedrig und widerwärtig war. Wie anders, dachte er, ist doch die Atmosphäre von Schönheit und Ruhe in dem Heim, in dem Ruth wohnt. Dort ist alles Geist, hier Materie, elende Materie.
»Komm her, Alfred!« rief er dem weinenden Kinde zu und griff gleichzeitig in die Hosentasche, wo er sein Geld hatte. Er hatte es stets dort lose, überlegen und gleichgültig, wie er immer und überall im Leben war. Dann steckte er dem kleinen Burschen ein Fünfundzwanzig-Cent-Stück in die Hand und hielt ihn einen Augenblick in seinen Armen, bis er aufgehört hatte zu schluchzen. »So, jetzt läufst du hin und kaufst dir Malzbonbons, und gib deinen Geschwistern auch etwas ab. Aber paß auf, daß du die kriegst, die am längsten anhalten.«
Seine Schwester hob ihr warmes rotes Gesicht vom Waschzuber und sah ihn an.
»Zehn Cent wären mehr als genug gewesen«, sagte sie. »Aber das sieht dir ähnlich, kein Begriff von Geldeswert. Das Kind überfrißt sich ja nur.«
»Laß nur, Trudel,« sagte er gutmütig, »das Geld reicht schon noch. Wenn du nicht so viel zu tun hättest, würde ich dir einen Gutenmorgenkuß geben.«
Er wäre gern liebevoll zu seiner Schwester gewesen, die gut war und ihn, wie er wußte, auf ihre Art liebte. Aber sie war gleichsam mit den Jahren immer weniger sie selbst geworden, und es war schwer, aus ihr klug zu werden. Die schwere Arbeit, die vielen Kinder und das ewige Schelten des Mannes hatten sie verändert. Ihm schien plötzlich, als wäre über ihr ganzes Wesen etwas von dem gekommen, was über dem welken Gemüse, dem übelduftenden Seifenwasser und dem schmutzigen Kleingeld lag, das sie am Ladentisch einnahm.
»Geh hinein und frühstücke«, sagte sie verdrießlich, obwohl sie sich innerlich über seine Bemerkung freute, denn von all ihren Brüdern war er immer ihr Liebling gewesen.
»Aber deshalb will ich nun doch einen Kuß von dir haben«, sagte sie in einem Anfall von Zärtlichkeit.
Mit Daumen und Zeigefinger strich sie sich den Seifenschaum zuerst vom einen Arm und dann vom andern. Er legte die Arme um ihren starken Leib und küßte ihre naßkalten Lippen. Sie bekam Tränen in die Augen, nicht weil sie so viel dabei fühlte, sondern weil sie von der ewigen Anstrengung geschwächt war. Sie schob ihn von sich, aber nicht, ehe er ihre tränengefüllten Augen gesehen hatte.
»Nimm dir selbst das Essen aus dem Ofen«, sagte sie hastig. »Jim wird jetzt auch aufgestanden sein. Ich mußte selbst wegen des Essens früh aufstehen. Aber mach', daß du aus dem Hause kommst, sobald du kannst. Tom ist gegangen, und kein anderer kann den Wagen fahren als Bernard. Das wird nicht angenehm.«
Martin ging schweren Herzens in die Küche, während das Bild ihres roten Gesichtes und ihrer vernachlässigten Person sich wie ätzende Säure in sein Hirn fraß. Sie könnte ihn vielleicht lieben, wenn sie nur Zeit dazu gehabt hätte, sagte er bei sich. Aber sie arbeitete sich tot. Bernard Higginbotham war ein Tier, daß er sie sich so abrackern ließ. Andererseits hatte er doch gefühlt, daß nichts Schönes in dem Kuß gewesen war. Es war richtig, es war an sich etwas Ungewöhnliches. Seit vielen Jahren hatten sie sich nur geküßt, wenn er von einer Fahrt zurückkam oder eine Fahrt antreten sollte. Aber der Kuß hatte nach Seifenschaum geschmeckt, und er hatte bemerkt, daß ihre Lippen so seltsam schlaff waren. Es war kein schneller, kräftiger Druck von Lippe zu Lippe gewesen, wie ein Kuß sein sollte. Sie hatte ihn geküßt wie ein müdes Weib, das solange müde gewesen ist, daß sie zu küssen vergessen hat. Er dachte daran, wie sie als junges Mädchen gewesen war, als sie nach hartem Tagewerk in der Wäscherei ganze Nächte hindurch tanzen konnte und sich nicht im geringsten fürchtete, direkt vom Ball an die Plackerei des neuen Tages zu gehen. Und dann dachte er an Ruth und an die kühle Süße, die über ihren Lippen sein mußte, wie sie über ihrem ganzen Wesen lag. Ihr Kuß mußte wie ihr Händedruck oder wie ihr Blick sein, fest und freimütig. In Gedanken wagte er es, sich ihre Lippen auf den seinen vorzustellen, und so lebhaft war seine Einbildungskraft, daß ihm in Gedanken schwindelte und er ein Gefühl hatte, als triebe er dahin durch Wolken von Rosenblättern, die sein Hirn mit ihrem Duft füllten.
In der Küche fand er Jim, den andern Pensionär, der sehr langsam und widerstrebend, mit einem müden, schlaffen Ausdruck in den Augen, Grütze aß. Jim war ein Klempnerlehrling, dessen schwaches Kinn und zu Ausschweifungen СКАЧАТЬ