Ein Fall aus jüngerer Vergangenheit ist der Kielverlust der CHEEKI RAFIKI, einer Beneteau First 40.7, während einer Atlantiküberquerung im Mai 2014, bei der alle vier Besatzungsmitglieder ihr Leben verloren. Ursache waren vorausgegangene Schäden durch mehrere Grundberührungen, die im Lauf der Zeit zu einer zunehmenden Schwächung geführt hatten.
Ein Kielverlust mit oft tödlichen Folgen für die Crew ist kein ganz ungewöhnliches Ereignis. Die britische Unfalluntersuchungsbehörde MAIB (Marine Accident Investigation Branch), die auch das Unglück der CHEEKI RAFIKI untersucht hat, nennt 72 weitere Fälle von Kielverlust für den Zeitraum von 1984 bis 2013. Nähere Angaben dazu finden sich im dritten Kapitel dieses Buches. Yachtkonstrukteure äußern manchmal den Verdacht, dass die Bootsbauer eine Yacht nicht exakt nach den in den Zeichnungen vorgegebenen Spezifikationen fertigen. Einige Bootsbauer lassen schlicht und einfach bei der Herstellung des Rumpfes ein paar Gewebelagen weg und sparen so eine Menge Arbeit und Kosten ein. Vermutlich ist der unerfahrene Eigner einer Regattayacht noch froh, dass sein Boot so wenig wiegt oder zumindest leichter ist als erwartet. In der Regattaszene gilt das Motto: Leichter – leichter – leichter!
Irgendwann kommt der Punkt, wo fehlende strukturelle Festigkeit zur Verringerung der Geschwindigkeit führt und zusätzlich die Gefahr besteht, den Kiel zu verlieren oder andere strukturelle Schäden auftreten. Ein weiteres Credo der Regattasegler ist, an den Enden Gewicht zu sparen. Aber die Enden sind bei einer Kollision am ehesten betroffen, zum Beispiel beim Ansteuern eines Liegeplatzes. Bei manchen modernen Yachten halten die Enden nicht einmal den leichtesten Kollisionen in normalem Gebrauch stand.
Olin Stephens sagt schlicht und einfach dazu: »Eine Yacht muss so stark wie möglich gebaut sein.«
Leichtdeplacementyachten haben bei der Rumpfkonstruktion einen sehr kleinen Sicherheitsspielraum. Deshalb muss die vom Konstrukteur vorgeschriebene Fertigung des Laminates strikt eingehalten werden. Im Jahr 2000 stellte ein Yachtbauer in England eine 10,6 Meter lange One-Design-Regattayacht vor, bei der die Rumpfstärke beim Kiel 30 bis 40 Prozent weniger betrug als bei anderen Yachten der gleichen Klasse. Zwei Bootsbauer hatten diese Klasse ins Leben gerufen und beide verwendeten die Kiele und Kielbolzen des gleichen Herstellers, der sich dafür verbürgte, dass die gelieferten Teile absolut identisch waren. Der zweite Bootsbauer fertigte Yachten, die 500 Kilogramm leichter waren als die vom Konkurrenten. Man konnte an der überstehenden Länge der Kielbolzen deutlich erkennen, dass die Laminatstärke des Rumpfes im Bereich des Kiels dünner war als beim Konkurrenten. Die Sache kam ans Tageslicht, als außen am Rumpf über die ganze Länge und Breite des Kielansatzes Risse auftraten – was sofort Schadenersatzforderungen auslöste. Es war offensichtlich, dass sich der Rumpf bei Belastung verbog und der Kiel nicht stabil integriert war. Diese Bewegungen bestätigten sich bei Testfahrten: Der Fuß des Salontisches war an die Kielbolzen geschraubt und somit konnte man deutlich die Querbewegungen des Kiels bei Halsen oder Wenden sehen.
Um die Stärke des Rumpfes am Kiel festzustellen, muss man mit einem dünnen Bohrer ein Loch bis auf den Kiel oder den Kielflansch bohren. So kann man sicher und exakt die Rumpfstärke an dieser wichtigen Stelle messen. Das Loch wird anschließend sorgfältig mit Epoxidharz gefüllt. Aus der Zeichnung oder vom Konstrukteur selbst kann man die vorgesehene Rumpfstärke in der Nähe des Kiels erfahren. In der Regel sollte sie nicht geringer sein als der Durchmesser der Kielbolzen.
Ein interessanter Hinweis für Eigner von Regattayachten: Die leichtere und dann reparierte Yacht war nie so schnell wie die von Anfang an stabilere des Konkurrenten. Vermutlich liegt das daran, dass das Ziel, durch Gewichtsminderung schneller zu sein, wegen des Verlusts an struktureller Festigkeit nicht erreicht werden konnte. Es wurde darauf hingewiesen, dass Werften nicht immer die vom Konstrukteur vorgegebenen Spezifikationen einhalten und dem Käufer eine Yacht ausliefern, die nicht exakt seinen Erwartungen entspricht. Deshalb ist es bei Serienyachten wie Einzelbauten ratsam, einen erfahrenen und vertrauenswürdigen Gutachter mit der Bauaufsicht zu beauftragen.
Olin Stephens ist von uns gegangen, aber an seine Yachtentwürfe wird man sich noch lange aufgrund ihrer Stärke und bewundernswerter Seetüchtigkeit erinnern und kann heute noch viel von ihnen lernen.
2. Stabilität von Yachten bei großen, brechenden Wellen
ANDREW CLAUGHTON
Ursachen von Kenterungen
Was bringt eine Yacht zum Kentern? Segeljollen und leichte Klassenboote mit festem Ballastkiel wie die J 24 können allein durch den Winddruck in den Segeln aufs Wasser gedrückt werden. Entsprechendes passiert bei größeren Yachten, wenn sie unter Spinnaker in den Wind schießen. Der Aufschießer kann so fürchterlich sein, dass der Mast bis aufs Wasser gedrückt wird. Dann lässt aber der anluvende Einfluss des Spinnakers nach, und die Yacht kann sich wieder aufrichten. Erfahrungen zeigen, dass in flachen Gewässern Böen allein eine Yacht nicht zum Kentern bringen können. Dasselbe gilt für hohe und steile Wellen. Der Wellenanstieg, der eine Jolle oder ein Klassenboot zum Anluven zwingt, kann den Wind bei der Verursachung einer Kenterung unterstützen. Die konventionelle Stabilität einer Yacht ist dagegen so angelegt, dass selbst Wind und Wellen sie nicht zum Kentern bringen können, egal wie hoch und steil sie sind.
Kenterungen kommen einzig und allein durch brechende Wellen zustande. Wird eine Yacht seitlich von einer hinreichend großen Welle erfasst, liegt es an der außergewöhnlichen Steilheit und dem Aufprall des jetähnlichen Sturzbaches der brechenden Welle, dass der Mast bis aufs Wasser gedrückt wird (siehe Bildfolge Seite 28).
An diesem Punkt entscheidet die positive Stabilität der Yacht über ihr weiteres Schicksal. Entweder richtet sie sich wieder auf, oder sie setzt die Drehung bis zum Kopfstand fort, wo sie dann eventuell für einige Augenblicke verharrt, bis die nächste Welle ihr einen Schlag versetzt und sie wieder auf die Beine stellt. Ist der Sturzbrecher hoch genug oder sein Auftreffen zeitlich genau angepasst, wird aus der Drehung eine volle Durchkenterung um 360°. Das haben mehrfach Segler bestätigt, die solch unglückliche Erfahrungen bei Sturm oder in Grundseen gemacht haben.
Wie hoch müssen brechende Wellen sein, damit sie solch einen Fall verursachen? Unglücklicherweise fällt die Antwort nicht gut aus. In den Modellversuchen, in denen das Problem untersucht wurde, hat sich gezeigt, dass einige Yachten von einer brechenden Welle, deren Höhe 30 % der Rumpflänge erreichte, zum Kentern gebracht wurden und dass Wellen, deren Höhen 60 % der Rumpflänge betrugen, ohne Schwierigkeiten alle getesteten Yachten verschütteten.
Weder durch die Formgebung des Rumpfes noch durch die Positionierung des Ballasts kann die Kentersicherheit einer Yacht wesentlich verbessert werden, wohl aber kann die manchmal lebensnotwendige Zeitspanne bis zu ihrem Wiederaufrichten verkürzt werden.
Die Breite beträgt gewöhnlich annähernd ein Drittel der Länge der Wasserlinie und wird oft als Richtwert herangezogen. Konkret in Zahlen bedeutet das: Wenn eine 10-Meter-Yacht an der falschen СКАЧАТЬ