Название: BLACK STILETTO
Автор: Raymond Benson
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Black Stiletto
isbn: 9783958351639
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Unglücklicherweise war Mutter nicht gerade die beste Hausfrau der Welt. Sie verbrachte nur wenig Zeit mit Putzen oder damit, das Haus in Schuss zu halten. Ich hatte nicht bemerkt, wie schnell sich sein Zustand verschlechtert hatte, bis ich mit der High-School fertig war, aufs College ging und Anfang der Achtziger zu Besuch nach Hause kam. Zu dieser Zeit hatte Mutter begonnen, mehr als gewöhnlich zu trinken. Aber sie schien trotzdem okay zu sein. Sie war keine Säuferin, zumindest nicht in meiner Gegenwart. Und ich konnte auch wenig dagegen tun. Aber sie trieb Sport, ging Joggen und sah fit aus. Mutter besaß einen Sandsack, der im Keller an der Decke hing, und ich schwöre, dass sie jeden Tag hinunter ging und ihn für eine halbe Stunde bearbeitete. Sie mochte vielleicht eine Alkoholikerin sein, aber das hielt sie nicht davon ab, im Training zu bleiben.
Während ich mir so vorstellte, wie sie auf den Sandsack einschlug, immer und immer wieder, Tag für Tag, erschien mir diese Black-Stiletto-Sache nicht mehr ganz so abwegig.
Nun, jedenfalls fuhr ich von Onkel Thomas' Büro aus direkt zu dem Haus. Ein Zu-Verkaufen-Schild stand immer noch im Vorgarten, doch offenbar hatte Mrs. Reynolds es ausgetauscht. Das alte Schild war alt und verrostet gewesen, weil es schon ein paar Jahre draußen stand.
Ja, das Haus war hässlich. Es hätte in den Neunzigern bereits einen neuen Anstrich gebrauchen können, und wir schrieben jetzt 2010. Die Maklergesellschaft kümmerte sich darum, den Rasen zu mähen, aber überall sprießte das Unkraut. Die Jalousien an den Fenstern waren eingeschlagen. Das Dach hatte Löcher. Kein Wunder, dass es sich nicht verkaufte. Ich musste wirklich meinen Arsch hochkriegen und jemanden für ein paar Reparaturen anstellen.
Ich benutzte den Schlüssel meiner Mutter an der Vordertür. Drinnen roch es modrig, so wie es alte Häuser eben tun. Es war leer, denn wir hatten die meisten Möbel und Mutters Sachen vor langer Zeit weggebracht. Jetzt war nichts mehr da, außer einem fleckigen Teppich und ein oder zwei Stühlen.
Mrs. Reynold hatte ein paar Werkzeuge in der Küche deponiert, weshalb ich mir eine Taschenlampe schnappen konnte, bevor ich in den Keller ging. Der Keller war dunkel, kalt und feucht. Ich knipste die einzelne Glühbirne an der Decke an und bemerkte so etwas wie Tierköttel auf dem Betonboden. Eichhörnchen wahrscheinlich, hoffentlich keine Ratten. Ein paar leere Pappkartons lagen herum. Mutters Sandsack hing noch immer in der Mitte des Raums. Ich lief zu der fraglichen Wand und untersuchte sie. Für mich sah sie wie eine ganz normale Wand aus. Sie war Teil des Fundaments, direkt unter der Treppe. Da gab es keine Tür. Nur zwei Flecken aus Dichtungsmasse. Einer auf Augenhöhe, der andere ein paar Zentimeter darunter. Sie schienen alt und trocken und bündig mit dem Beton. Ich berührte einen davon und spürte, wie die Masse etwas nachgab. Mit den Fingerspitzen kratzte ich sie von der Wand – tatsächlich war es ein Stück Putz! Diese verspachtelten Flecken verdeckten etwas, denn darunter befanden sich Schlüssellöcher. Schnell holte ich die Schlüssel aus der Schatulle und steckte einen davon in das obere Schloss. Er ließ sich leicht herumdrehen. Auch der zweite graue Schlüssel funktionierte, und sobald die Tür unverschlossen war, sprang der Rahmen um einen halben Zentimeter auf, und ich konnte ihn mit den Fingerspitzen öffnen.
Ich glaube, ich habe aufgehört zu atmen, als ich mit der Taschenlampe in die kleine, schrankartige Öffnung leuchtete.
An der hinteren Wand hingen zwei Kostüme. Zwei Ausführungen des berühmtesten Kostüms der Welt, würde ich mal sagen.
Black Stiletto.
Ich trat hinein und berührte sie.
Beide Teile, sowohl die Hosen als auch die Oberteile, waren aus dünnem schwarzen Leder gefertigt. Eines der Kostüme bestand aus einem etwas dickeren Material als das andere, aber ansonsten waren sie identisch. Darunter standen kniehohe schwarze Stiefel. Ein Rucksack lag daneben. Die einzelne Maske war dafür gemacht, nur den oberen Teil des Kopfes zu verdecken, mit Öffnungen für die Augen, aber mich erinnerte sie schon immer an diese Sado-Maso-Geschichten, die man in Sex-Shops sah. Der Black Stiletto haftete schon immer etwas Domina-artiges an, und das lange, bevor dieser Look in den Medien populär wurde.
Das legendäre Messer – das Stiletto – steckte in seiner Scheide und hing direkt neben den Kostümen an der Wand.
Verrückt. Einfach unglaublich.
Auf Regalbrettern, die an der Seite des Wandschranks angebracht waren, stapelten sich Zeitungen, Fotografien und Comic-Hefte in Schutzfolien. Black-Stiletto-Comics – nicht viele, aber ein paar der ersten Ausgaben. Ich schätzte, dass die mittlerweile einiges an Wert haben mussten. Offenbar hatte sie diese gekauft, als sie das erste Mal erschienen waren.
In einem anderen Fach lag ein Holster mit einer Pistole darin. Ich nahm sie heraus und schaute sie mir genauer an. Ich hatte nicht viel Ahnung von Waffen, aber ich wusste, dass das so eine Art halbautomatischer Waffe sein musste. Eine Smith & Wesson, wie man der seitlichen Gravur entnehmen konnte. Neben dem Holster standen Schachteln mit Munition in dem Regal.
Und dann waren da noch die kleinen Bücher. Tagebücher. Eine ganze Reihe davon. Jedes von ihnen war mit einer Jahreszahl versehen, beginnend mit 1958.
Heilige Scheiße!
Was hatte ich da entdeckt? Was hatte meine liebe Mutter mir hier vermacht?
Wer zum Teufel war meine Mutter überhaupt?
Ich nahm das erste Tagebuch an mich und ging nach oben. Ich brauchte frische Luft. Das war alles ein bisschen viel auf einmal.
Draußen setzte ich mich auf die hölzerne Veranda und hielt das Buch in der Hand. Was würde ich erfahren, wenn ich es las? Vielleicht die Wahrheit über meinen Vater? Mom hatte mir immer erzählt, dass seine Name Richard Talbot und er zu Beginn des Vietnamkrieges gestorben war. Ich hab ihn nie kennengelernt. Das Seltsame an der Sache war, dass es nirgendwo im Haus Bilder von ihm gab. Überhaupt keine. Ich wusste nicht einmal, wie er aussah. Als ich als Teenager meine Mutter danach fragte, meine sie nur, dass sie es nicht mehr ertragen hatte, sein Gesicht zu sehen, nachdem er gestorben war. Sie hatte alle Fotografien vernichtet. Ich fragte sie über seine Familie – meine Großeltern oder irgendwelche Onkel, Tanten oder Cousins väterlicherseits – und sie antwortete, dass es keine gab. Das Gleiche bei ihrer Familie. Wir waren ganz allein.
Ich nahm das alles für bare Münze.
Ich blätterte durch das Tagebuch und hatte Angst, es zu lesen.
Meine Mutter war die Black Stiletto.
Ich war immer noch nicht darüber hinweg. Das war groß. Größer als alles, was ich mir vorstellen konnte. In etwa damit vergleichbar, die Wahrheit über das Attentat auf JFK herauszufinden oder die Identität des Green River Killers zu lüften. Black Stiletto war eine weltberühmte Legende, eine internationale Ikone für die Macht der Frau. Und niemand wusste, wer sie war, außer sie selbst. Und nun ich.
Ihre Existenz war der Ursprung für Mythen gewesen, so wie bei dem Pin-up-Model Betty Page, die in den Fünfzigern für Nacktfotografien und -filme posierte und dann plötzlich verschwand. In den Achtzigern und Neunzigern wurde Page von der Popkultur »wiederentdeckt«, und ihre Bilder tauchten überall auf – doch die Frau selbst war nicht ausfindig zu machen. Die Medien schlachteten ohne ihre Erlaubnis ihre Aufnahmen in Filmen, Comics und Magazinen aus, und dann gab sie sich schließlich zu erkennen. Das gealterte ehemalige Model lebte ruhig und zurückgezogen, ohne etwas von der medialen Aufmerksamkeit rund um ihre Person СКАЧАТЬ