Kindheit, Jugend und Krieg. Theodor Fontane
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Название: Kindheit, Jugend und Krieg

Автор: Theodor Fontane

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027225842

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СКАЧАТЬ des folgenden Jahres zu den blutigen Schlachten bei Grochow und Ostrolenka. Die Namen von damals prägten sich mir so tief in die Seele, daß ich, als ich ein Menschenalter später in den zufällig mir zu Händen kommenden Briefen der Rahel Levin den Namen Skrzynecki und Rybinski begegnete, wie auf einen Schlag den Insurrektionskrieg von 30 und 31, einen der erbittertsten, die je ausgefochten wurden, wieder vor Augen hatte. Kein anderer Krieg, unsere eigenen nicht ausgeschlossen, hat von meiner Phantasie je wieder so Besitz genommen wie diese Polenkämpfe, und die Gedichte, die an jene Zeit anknüpfen (obenan die von Lenau und Julius Mosen), und dazu die Lieder aus Holteis »Altem Feldherrn« sind mir bis diese Stunde geblieben, trotzdem die letztren poetisch nicht hoch stehen. Viele Jahre danach, als ich dicht am Alexanderplatz eine kleine Parterrewohnung inne hatte, stellte sich allwöchentlich einmal ein Musikantenehepaar vor meinem Fenster auf, er, blind, mit einer Klapptuba, sie, schwindsüchtig, mit einer Harfe. Und nun spielten sie: »Fordere niemand, mein Schicksal zu hören« oder: »Denkst du daran, mein tapferer Lagienka«. Ich schickte ihnen dann ihren Obolus hinaus und ließ sie's noch einmal spielen, und noch jetzt, ich muß es wiederholen, zieht, wenn ich die Lieder höre, die alte Zeit vor mir herauf, und ich verfalle in eine unbezwingbare Rührung. Ich erzähle das so ausführlich, weil ich – in gewissem Sinne zu meinem Leidwesen und jedenfalls in einem Widerstreit zu den poetischen Empfindungen, die mich damals beherrschten und auch jetzt noch beherrschen – die Bemerkung daran knüpfen muß, daß ich vielfach nur mit geteiltem Herzen auf Seite der Polen stand und überhaupt, aller meiner Freiheitsliebe unerachtet, jederzeit ein gewisses Engagement zugunsten der geordneten Gewalten, auch die russische nicht ausgeschlossen, in mir verspürt habe. Freiheitskämpfe haben einen eigenen Zauber, und ich danke Gott, daß die Geschichte deren in Fülle zu verzeichnen hat. Was wäre aus der Welt geworden, wenn es nicht zu allen Zeiten tapfere, herrliche Menschen gegeben hätte, die, mit Schiller zu sprechen, »in den Himmel greifen und ihre ewigen Rechte von den Sternen herunterholen«. So hat denn alles Einsetzen von Gut und Blut, von Leib und Leben zunächst meine herzlichsten Sympathien, obenan die Kämpfe der Niederländer, neuerdings die Garibaldischen. Aber noch einmal, es läuft, mir selber verwunderlich, ein entgegengesetztes Gefühl daneben her, und solange die Revolutionskämpfe des sicheren Sieges entbehren, begleite ich all diese Auflehnungen nicht bloß mit Mißtrauen (zu welchem meist nur zuviel Grund vorhanden ist), sondern auch mit einer größeren oder geringeren, ich will nicht sagen in meinem Rechts-, aber doch in meinem Ordnungsgefühle begründeten Mißbilligung. Ein Zwergensieg gegen Riesen verwirrt mich und erscheint mir insoweit ungehörig, als er gegen den natürlichen Lauf der Dinge verstößt. Ich kann es nicht leiden, daß ein alter Schäfer eine Kur ausführt, die Dieffenbach oder Langenbeck nicht zustande bringen konnten. Jeder hat ein ihm zuständiges Maß, dem gemäß er siegen oder unterliegen muß, und in diesem Sinne blicke ich auch auf sich gegenüberstehende Streitkräfte. Ich verlange von 300.000 Mann, daß sie mit 30.000 Mann schnell fertig werden, und wenn die 30.000 trotzdem siegen, so finde ich das zwar heldenmäßig und, wenn sie für Freiheit, Land und Glauben einstanden, außerdem auch noch höchst wünschenswert, kann aber doch über die Vorstellung nicht weg, daß es eigentlich nicht stimmt. Ich habe nichts dagegen, dies mich stark beherrschende Gefühl, das mich mehr als einmal von der meine Sympathie fordernden Seite auf die schlechtere Seite hinübergeschoben hat, als philiströs oder subaltern oder meinetwegen selbst als moralisches Manko gekennzeichnet zu sehen, es kommt mir nicht auf Feststellung dessen an, was hier zu loben oder zu tadeln ist, sondern lediglich auf Aufklärung über einen bestimmten inneren Vorgang und demnächst darüber, ob sich solche Gefühlsgänge, sie seien nun richtig oder falsch, auch wohl sonst noch in einer auf freies Empfinden Anspruch machenden Seele vorfinden mögen .

      Ein Jahr lang dauerte der polnische Insurrektionskrieg, während welcher Zeit ich mich zu einem kleinen Politiker herangelesen hatte. Namentlich in Herzählung der alle vier Wochen im Oberkommando wechselnden polnischen Generale kam mir niemand gleich, was natürlich für meine Bescheidenheit nicht sehr förderlich war. Doch stand es wohl nicht allzu schlimm damit; in all meiner Eitelkeit war ich doch immer zunächst bei der Sache.

      Herbst 31 sah sich die Revolution besiegt, aber ein neuer schlimmerer Feind war inzwischen heraufgestiegen und näherte sich von Osten her unsern Grenzen: die Cholera. Vorbereitungen zur Abwehr derselben wurden getroffen, natürlich (wie immer) auch bewitzelt, und als der alte Geheimrat Rust Absperrungsmaßregeln vorschlug, erschien eine Berliner Karikatur, die den alten Rust bei vollkommenster Porträtähnlichkeit als Sperling (aber mit einem doppelten r geschrieben) darstellte. Darunter stand: »Passer rusticus, der gemeine Landsperrling.« Indessen, es half zu nichts; es blieb bei der Absperrung, und auch nach Swinemünde hin wurde Militär detachiert, um dort einen Kordon zu ziehen. Im Sommer eben genannten Jahres (1831), an einem glühendheißen Tage, traf ein Bataillon vom Kaiser-Franz-Regiment bei uns ein. Die Grenadiere hatten von Wollin her einen viermeiligen Marsch durch sandige Kiefernheide machen müssen und kamen ziemlich marschmüde an, trotzdem sie sich, während der Bootfahrt von einem Flußufer zum andern, wieder erholt hatten. Wir Jungens standen am Bollwerk und staunten die schönen großen Leute an, an die zunächst Quartierbilletts verteilt wurden. Mein Freund Oskar Thompson und ich hatten uns etwas vorgedrängt und studierten die Achselklappen.

      »Hast du es raus?« fragte ich.

      »Ja«, sagte Thompson, »es ist ein R und heißt Rex.«

      »Unsinn. Du mußt doch wissen Kaiser Franz. Kaiser und Rex geht nicht.«

      »Na, denn sage was Besseres.«

      »Es heißt Franciscus Imperator. Es ist ein F und ein I ...«

      »Nein, mein junger Freund«, sagte jetzt, sich rasch umwendend, der die Kompanie führende Hauptmann, ein sehr gütig aussehender Herr mit goldner Brille, »es ist kein I, sondern eine römische I und es heißt: Franz der Erste.«

      Mir schoß das Blut in die Stirn, und ich zog mich, unsicher, ob ich ihm vielleicht danken müsse, verlegen zurück. Gleich danach aber sah ich, wie der Hauptmann einen jungen Offizier, der kaum zwanzig sein mochte, heranrief und mit diesem ein paar Worte wechselte. Dieser junge Offizier wurde bald der Liebling aller Damen und ein Gegenstand ihrer lebhaften Neugier. Er hieß von Witzleben und war der Sohn des Obersten von Witzleben, der, damals in Dresden wohnend, unter dem Namen A. W. Tromlitz seine im Walter-Scott-Stil gehaltenen Romane schrieb. Er (Tromlitz) war als Schriftsteller sehr gefeiert, mehr als wir uns das heute denken können, sein Sohn aber wurde später mein besonderer Gönner, eine Gönnerschaft, der er in dem von ihm redigierten Militärwochenblatt in anerkennenden Worten über meine die Kriege von 1864, 66 und 70 behandelnden Bücher Ausdruck gab. Er ist darin als Militär einzig dastehend geblieben, weil die militärischen Fachleute gegen die Schreibereien eines »Péquin« ein für allemal eingenommen sind. Ob sie darin recht haben? Ich glaube nicht, wenigstens nicht ganz. Alle diese Dinge liegen mir jetzt weit zurück, und der Wert oder Unwert dessen, was ich damals über unsre Kriege geschrieben habe, bedeutet mir nicht viel mehr. Ich darf auch hinzufügen, daß ich, auf jedem Gebiete, für Autoritäten bin, also, was so ziemlich dasselbe sagen will, das Urteil von Fachleuten bevorzuge. Trotzdem können auch Fachleute zu weit gehen, wenn sie Verständnis für ihre Sache für sich ausschließlich in Anspruch nehmen. Es gibt konventikelnde Leineweber, die die Predigt eines Oberkonsistorialrats sehr wohl beurteilen können, und es gab immer Farbenreiber, die sich sehr gut auf Bilder verstanden. In neuerer Zeit sind Auktionskommissarien an ihre Stelle getreten. Es liegt auf militärischem Gebiete nicht viel anders, wenn es überhaupt anders liegt, dessen sind die Revolutionskriege, die seit hundert Jahren geführt werden, ein beredter Zeuge. Heute noch Kellner oder Friseur und nach Jahr und Tag ein Schlachtenlenker. Und was in praxi hundertfältig geleistet wird, das kann doch auch auf theoretischem Gebiete nicht zu den Unmöglichkeiten zählen. Ich nenne hier einschaltend nur den Namen Bernhardi. Gewiß, die Laienschaft hat sich zunächst zu bescheiden, aber sie darf doch gelegentlich mitsprechen, ja selbst Vorzüge für sich in Anspruch nehmen: größere Freiheit und unbefangeneres In-Rechnung-Stellen außermilitärischer Faktoren, vor allem der sogenannten Imponderabilien. Im letzten ist Kriegsgeschichtsschreibung doch nichts anderes als Geschichtsschreibung überhaupt und unterliegt denselben Gesetzen. Wie verläuft es? Ein reiches СКАЧАТЬ