Kindheit, Jugend und Krieg. Theodor Fontane
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Kindheit, Jugend und Krieg - Theodor Fontane страница 25

Название: Kindheit, Jugend und Krieg

Автор: Theodor Fontane

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9788027225842

isbn:

СКАЧАТЬ unruhiger, und als wir bis an die ersten Häuser von Ahlbeck gekommen waren, wandte sich der Kutscher in den Fond des Wagens hinein und fragte, ob wir nicht vor dem Dorfkruge halten und das Wetter abwarten wollten. Aber meine Mutter in der ihr eigenen Resolutheit wollte davon nichts wissen. »Nur zu.« Und so ging es denn weiter. Zunächst zwischen den Häusern und Hütten hin und dann wieder in den jenseits des Dorfes sich fortsetzenden Wald hinein. Das Wetter hielt sich noch immer, und erst als wir wieder im Freien und schon in Nähe des zwischen den Dünen gelegenen, mehrerwähnten Kirchhofs waren, hörten wir ein dumpfes Rollen und sahen, wie sich etliche, vereinzelt umherstehende Kiefern im Winde zu beugen begannen. Es war sicher, das Losbrechen war nur noch eine Frage von Minuten. »Vorwärts.« Aber die Pferde konnten kaum noch, und immer langsamer mahlte der Wagen in dem tiefen Sande. Trotzdem schien alles gut für uns ablaufen zu sollen, das Unwetter gab uns erneuert eine Frist, und als wir unser Haus und die Kirche schon in Sicht hatten, war noch kein Tropfen Regen gefallen. Im selben Augenblicke jedoch, wo wir hielten, gab es Blitz und Schlag zugleich, so mächtig, daß wir erschreckt in unsere Sitze zurückfielen; es mußte ganz in der Nähe eingeschlagen haben, und wolkenbruchartig stürzte der Regen auf uns nieder.

      In der Gehilfenstube, soviel sahen wir wohl, war Licht, aber niemand kam, um uns behilflich zu sein, und zu rufen oder mit der Peitsche zu knipsen, konnte bei dem Wetter, das tobte, nicht viel helfen. Ich sprang also vom Bock und half meiner Mutter und den Geschwistern, so gut es ging, aber trotzdem, als wir kaum zwei Minuten später in den dunklen Hausflur eintraten, waren wir total durchnäßt und stapften auf den Fliesen umher, um den Regen abzuschütteln. Aus der Küche kam jetzt eins der Mädchen, einen Blaker in der Hand. »Gott, Madame ...« Aber unser in seine Whistpartie vertiefter Vater erschien noch immer nicht und wurde erst sichtbar, als meine Mutter, die mit einem Male klar in der Sache sah, die zur Gehilfenstube führende Tür hastig aufriß und mit nicht mißzuverstehender Ausgesprochenheit hineinrief: »Guten Abend, Louis; wir sind da.«

      »Nun, das ist ja gut; eben muß es eingeschlagen haben.«

      Und während er diese Betrachtungen anstellte, legte er die letzten Trumpfkarten auf den Tisch und sagte: »Drei Trick, macht einen Rubber von sieben; Doktor, Sie geben.«

      An Begrüßung war nicht zu denken, und meine Mutter zog sich empört in ihre Stube zurück.

      Und nun sollten wir zu Bett gebracht werden; ich bat aber, aufbleiben zu dürfen, was mir auch gewährt wurde. Das Gewitter – eins von den ganz schweren, wie sie sich auf Inseln einstellen, wo der einschließende Wassergürtel sie festhält – nahm inzwischen seinen Fortgang. Mich fröstelte, und ich wußte nicht recht, wo ich hin sollte. Da stahl ich mich unbemerkt wieder nach vorn in die Stube, wo die vier Whistspieler noch immer saßen und dann und wann in ihrer Spielerregung so scharf auf die Tischkante schlugen, daß die Glasmanschetten auf den Messingleuchtern schwirrten und klirrten. Die Lichter waren fast schon niedergebrannt. »Ich denke noch einen Rubber.« Und dabei fuhr mein Vater mit dem Daumen über die Seitenwand der wieder zusammengerafften Karten. »Nimm ab, Werkenthin.« Ein greller Schein leuchtete durch die Ritze der Fensterladen, und mir war, als müsse der Blitz zwischen die Spieler fahren. Das Wetter war aber schon im Schwinden, und ich ging in meine Kammer, wo meine Geschwister bereits schliefen. Was eine halbe Stunde später drüben auf der andern Seite des Flurs zur Sprache kam, lag mir zum Glück außer Hörweite.

      Wenn ich nicht irre, war es in demselben Jahre, daß die Herbsttage mit starkem Sturm einsetzten, und als wir Kinder eines Abends auf Schemeln und Fußbänken in der Küche saßen, um uns an dem großen Herdfeuer zu warmen, erschien mit einem Male mein Vater und sagte: »Nun wird es Ernst; der Wind steht gerade auf die Molen, und kein Tropfen Wasser kann heraus. Bleibt es so, so können wir morgen Kahn fahren, oder vielleicht sitzen wir auch auf dem Dach.« Er glaubte es alles selber nicht recht, aber etwas, was vom Alltäglichen abwich, in Sicht zu stellen, war ihm ein besonderes Vergnügen, und wir Kinder waren, wenigstens in diesem Stück, alle so sehr nach ihm geartet, daß wir ihm Dank dafür wußten und unsere Mutter nicht begriffen, die von solcher Phantasiebelastung nie was wissen wollte.

      »Können wir untergehen?« fragte ich.

      »Ja, mein lieber Junge, wer will so was sagen. Möglich ist alles. Übrigens ist es ein Glück, daß unsere Küste den Alluvialcharakter hat, kein ewiges Rumoren in der Erde, nichts Feuerspeiendes. Andre Gegenden sind schlimmer daran. In Caracas, einer südamerikanischen Stadt, deren Einwohnerzahl nicht genau feststeht, hat neulich eine Welle eine französische Brigg gepackt und von der Reede her auf den großen Marktplatz der Stadt gestellt. Und dann zog sich die Welle wieder zurück und ließ die Brigg genau da, wo sie stand, so daß die Bewohner von Caracas hinaufsteigen und den französischen Kapitän besuchen konnten. Das ist aber nur, weil da alles vulkanisch ist; gerade da, wo das Schiff vor Anker lag, ging es los, eine sogenannte Eruption.« Er sprach dann noch eine Weile so weiter und hinterließ uns in einem sehr aufgeregten Zustande. Dann und wann, wenn ein Windstoß kam, fielen große Stücke Ruß aus dem Rauchfang auf den Herd, und wenn dann die glimmenden Scheite aufflackerten und auseinanderflogen, fuhren wir zusammen, und ich meinerseits dachte: Wenn es hier doch vielleicht vulkanisch wäre!

      Wie die Nacht verging, weiß ich nicht mehr, aber das weiß ich, daß wir am andern Tage sehr enttäuscht am Frühstückstisch saßen. Der Wind, ein richtiger Nordwester, war ganz nach Westen herumgegangen, die Stauung hatte aufgehört, und das Wasser im Strom stand nicht viel höher als gewöhnlich. Es blieb uns also nichts anderes übrig, als unsere Mappen zu packen und unsern Schulgang ganz alltäglich zu Fuß anzutreten, während wir doch mit Sicherheit darauf gerechnet hatten, in einem Boot in die Schule fahren und unterwegs bei Bäcker Woltermann unsere Frühstücksbrötchen kaufen zu können. Ein kleiner romantischer Hang saß uns allen tief im Geblüt und blieb uns auch für manches weitere Jahr. 1848, wo wir Kinder doch alle schon erwachsen waren, kriegten wir noch einmal einen starken Anfall von dieser Lust am Abenteuerlichen. Wir lebten damals im Oderbruch und verfolgten die durch die Märztage auch in der Provinz Posen heraufbeschworenen Vorgänge. Eines Tages hieß es: »Die Polen kommen; sie stehen schon südlich von Küstrin und wollen auf Berlin zu, um mit dem Berliner Volk zu fraternisieren.« Ich hielt es eigentlich für Unsinn, trotzdem regte mich die Nachricht angenehm auf, meine Geschwister noch viel mehr, und alle Stunden gingen wir auf die höchstgelegene Bodenstube, um von dort aus Ausschau zu halten. Als es zuletzt hieß, »sie kommen nicht«, waren wir eigentlich traurig; Konfederatka, rote Schärpe, Übungsversuche im Französischen, all das wäre doch mal was anderes gewesen.

      Ach Gott, wie einem die Tage

       Langweilig hier vergehn,

       Nur wenn sie einen begraben,

       Bekommen wir was zu sehn ...

      Es liegt eine furchtbare Wahrheit in der Einsamkeits-und Verlassenheitsstimmung dieser Heinischen Strophe. Wir wenigstens waren damals ihrer Wahrheit untertan.

      Zwei Jahre später, Anfang Januar 32, hatten wir wieder ein am Strom spielendes Ereignis. Aber diesmal war es keine Sturmflut, sondern ein kleines Eisabenteuer. Die Tage nach Weihnachten waren ungewöhnlich milde gewesen, und das Eis, das schon Anfang Dezember das Haff überdeckt hatte, hatte sich wieder gelöst und trieb in großen Schollen, die übrigens den Bootverkehr nach der Insel Wollin hinüber nicht hinderten, flußabwärts dem Meere zu. Silvester war wie herkömmlich gefeiert worden, und für den zweiten Januar stand ein neues Vergnügen in Sicht, von dem ich mir ganz besonders viel versprach: Mein Freund Wilhelm Krause, der schon als Schüler und Pensionär des bekannten Direktors von Klöden die Gewerbeschule besuchte, mußte am 3. Januar wieder in Berlin sein, und seitens seines Vaters, des Kommerzienrats, war mit einigen Freunden verabredet worden, dem liebenswürdigen Jungen bis nach dem jenseitigen Ufer hinüber, von wo dann die Fahrpost ging, das Geleit zu geben. In einem sichren Eisboote wollte man zwischen den Schollen hindurch die Partie machen, alles in allem acht Personen: erst zwei Bootsleute, dann der Kommerzienrat und sein Sohn, dann Konsul Thompson und Sohn und schließlich mein Vater und ich. Ich freute mich ganz ungeheuer darauf. СКАЧАТЬ