Название: Kindheit, Jugend und Krieg
Автор: Theodor Fontane
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9788027225842
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»Ih, Herr Konsul, so schlimm wird es ja woll nich kommen.«
»Ja, so schlimm wird es ja woll nich kommen ... das klingt ganz gut, aber daraus kann ich mir keinen Trost nehmen. Oskar ...«, und dabei nahm er seinen Jungen bei der Schulter, »wir zwei bleiben hier; Onkel Krause ist ein Windhund, der kann es riskieren. Und du, Bruder, wie steht es mit dir?« Diese Schlußworte richteten sich an meinen Vater, der ohne weiteres erklärte, Thompson habe recht. In diesem Augenblick aber traf ihn ein so wehmütiger Blick aus meinen Augen, daß er ins Lachen kam und hinzusetzte: »Nun gut, wenn der Kommerzienrat dich mitnehmen will, meinetwegen ... ich bin der schwerste von euch allen ... und von Verpflichtung kann keine Rede sein, eher das Gegenteil ...« Und bei diesem Entscheide blieb es.
Einer der Bootsleute, mit einem acht oder zehn Fuß langen Brett auf der Schulter und einem Tau um den Leib, ging vorauf, an dem nachschleifenden Tauende aber hielt sich der Kommerzienrat mit der Linken, während er seinen Jungen an der andern Hand führte; gleich dahinter folgte der zweite Bootsmann, ähnlich ausgerüstet, aber statt des Taus mit einer Eispieke, dran ich mich hielt. So ging es los. Es war zauberhaft und wohl eigentlich nicht sehr gefährlich. Die beiden Bootsleute waren immer vorauf und erfüllten mich mit dem angenehmen Gefühl, »wenn die überfrorne Stelle den Bootsmann getragen hat, dich trägt sie gewiß.« Und das war richtig. Freilich kamen Stellen, wo der Strom so stark ging, daß nicht einmal Schülbereis das Wasser bedeckte, aber solche freie Strömung war immer nur zwischen zwei verhältnismäßig nahe liegenden Eisschollen, so daß das Brett, das der Bootsmann trug, vollkommen ausreichte, einen Übergang von einer Scholle zur anderen zu schaffen. War er drüben, so reichte er mir die lange Piekenstange oder richtiger hielt die Stange so, daß sie mir als ein Geländer diente. Kurzum, ich empfand nur soviel von Gefahr, wie nötig war, um den ganzen Vorgang auf seine höchste Genußhöhe zu heben, und als ich, nach dem Frühstück drüben, wieder glücklich zurück war, betrat ich das Bollwerk wie ein junger Sieger und schritt in gehobener Stimmung auf unser Haus zu, wo meine Mutter, die von einem sehr erregten Gespräch zu kommen schien, schon im Flur stand und mich erwartete. Sie küßte mich mit besonderer Zärtlichkeit, dabei immer vorwurfsvoll nach dem Vater hinübersehend, und fragte mich, ob ich noch etwas wolle.
»Nein«, sagte ich, »es gab Eierpunsch und Waffeln, und ich wollte auch welche für die Geschwister mitbringen; aber mit einem Male gab es keine mehr.«
»Ich weiß schon. Du bist deines Vaters Sohn.«
»Da hat er ganz gut gewählt«, sagte mein Vater.
»Meinst du das wirklich, Louis?«
»Nicht so ganz. Es war nur eine façon de parler.«
»Wie immer.«
Was wir in der Welt erlebten
Das waren so die Dinge, die uns die Stadt erleben ließ, aber auch was draußen in der Welt geschah, war für uns da, nicht zum wenigsten für mich. Ich hatte von früh an einen Sinn für die politischen Vorgänge, wie sie mir unsere Zeitung vermittelte. Bis zu meinem zehnten Jahre freilich blieb mir diese Lektüre, wenn nicht absichtlich, so doch tatsächlich vorenthalten, was denn zur Folge hatte, daß mir die geschichtlichen Ereignisse der zwanziger Jahre: die Freiheitskämpfe der Griechen, samt dem sich anschließenden russisch-türkischen Kriege, lediglich durch eine Jahrmarktsschaubude zur Kenntnis kamen. Alle diese augenblendenden, immer wieder in Gelb und Rot und nur ganz ausnahmsweise (wenn es Russen waren) in Grün auftretenden Guckkastenbilder taten aber, trotz aller ihrer Gröblichkeit und Trivialität oder vielleicht auch um dieser willen, ihre volle Schuldigkeit an mir und prägten sich mir derart ein, daß ich über die Personen, Schlachten und Heldentaten jener Epoche besser als die Mehrzahl meiner Mitlebenden unterrichtet zu sein glaube. Griechische Brander stecken die türkische Flotte in Brand, das Bombardement von Janina (mit einer platzenden Riesenbombe im Vordergrund), Marco Bozzaris in Missolunghi, General Diebitsch Sabalkanskis Einzug in Adrianopel, die Schlacht bei Navarino – all das steht in einer Deutlichkeit vor mir, als wär ich mit dabei gewesen, und läßt es mich nicht bedauern, meine früheste zeitgeschichtliche Belehrung aus einem Guckkasten erhalten zu haben.
Von Sommer 1830 an trat aber die Zeitung an die Stelle des durch Beleuchtungskünste verschönten und vergrößerten Gustav Kühnschen Bilderbogens, und ich sehe mich noch am Bollwerk stehen und auf das Anlegen der »Kronprinzessin Elisabeth«, des von Stettin kommenden Dampfers, warten, der täglich die Zeitungen mitbrachte. Mein Vater war natürlich auch mit an der Landungsbrücke, meist in Gesellschaft von Freunden. Waren es nun Freunde von der »milderen Observanz«, das heißt solche, von denen keiner nach dem in ziemlicher Nähe gelegenen Spielpavillon hinüberlugte, so unterließ ers nicht, sich sofort in die Neuigkeiten zu versenken, waren aber umgekehrt etliche von den entschlosseneren Freunden zugegen, also von denen, deren Gedanken in derselben Richtung gingen wie die seinigen, so tat er nur einen flüchtigen Blick in die Zeitung und übergab mir dann diese, mit der ich nun in fliegender Eile nach Hause stürmte. Der Gehilfe, den wir damals hatten, war mein guter Freund und brannte auf Neuigkeiten nicht viel weniger als ich, ja, hätte am liebsten gleich selbst gelesen. Es war aber immer Mittagstunde, wo ziemlich viel zu tun für ihn war, und so fiel mir denn nicht bloß die Wonne des Lesens, sondern sogar die des Vorlesens zu. Hinter dem Rezeptiertische, wo man sich vor Enge kaum drehen konnte, war doch noch nahe dem Fenster ein freier Winkel geblieben, in dem ein eingesessener Binsenstuhl gerade Platz hatte. Da ließ ich mich nun nieder, während ich die Füße zugleich auf einen etwas vorgezogenen Kasten stemmte, von außen her aber, wo die dichtbelaubten Kastanien standen, fielen die Lichter und Schatten auf das aufgeschlagene Blatt. Und nun begann die Lektüre, die sich durch den ganzen Sommer hin fast ausschließlich auf das unter der Überschrift »Frankreich« Stehende beschränkte. Polignacs Ordonnanzen interessierten mich wenig. Als dann aber die französische Flotte unter Admiral Duperré vor Algier erschien und die Beschießung anhob und dann General Berthézène mit seiner Division den Kirchhof in Nähe der Stadt angriff und nahm und der Dey mit seinem Harem um freien Abzug bat, da kannte mein Entzücken keine Grenze, das auch nicht voll mehr erreicht wurde, als ich hörte, daß Karl X. gestürzt und Louis Philipp König geworden sei. Von großem Eindruck auf mich war erst wieder die Nachricht, daß in Brüssel bei Aufführung der »Stummen von Portici« die Revolution ausgebrochen sei, und zwar gerade bei der Stelle: »Dem Meertyrannen gilt die wilde Jagd«; ich fand dies unbeschreiblich schön, vielleicht in der dunklen, für eine Poetennatur immerhin schmeichelhaften Vorstellung, daß hier ein Lied eine politische Tat geweckt oder gezeitigt habe.
Das war der Sommer 30. Aber was war der Sommer gegen den Winter! Ende November brach in Nachwirkung СКАЧАТЬ