Название: Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik
Автор: Andreas Suchanek
Издательство: Bookwire
Жанр: Книги для детей: прочее
Серия: Das Erbe der Macht
isbn: 9783958343696
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Er hatte ein paar schlichte Leuchtkugeln in die Höhe steigen lassen, die den Raum erhellten. Vier an der Zahl, mehr ließen sich nicht erschaffen. Die dafür notwendige Essenz floss unaufhörlich, aber behäbig aus ihm heraus. Ihm blieb ausreichend Zeit, über sein Leben nachzudenken. Bisher war er zweimal in Wut ausgebrochen und einmal in stilles Weinen. Irgendwann hatte mal jemand zu ihm gesagt, dass man gemeinsam lebte, doch alleine starb. Er hatte gelacht. Bei den Lichtkämpfern war das anders. Sie stritten zusammen gegen das Böse. Die meisten kamen dabei um. Folglich gab es so etwas wie Einsamkeit nicht.
Eine naive Aussage.
Er vegetierte seit Wochen in einer Zelle dahin, und niemand schien es bemerkt zu haben. Wie nahe standen sie sich wirklich, wenn der Austausch keinem aufgefallen war? Das Leben zog vorbei, Nähe wurde oberflächlich. So musste es sein.
Er hatte also alleine gelebt.
Und nun starb er alleine.
Erst wenn das Aurafeuer über sie alle hinwegbrannte, würden sie merken, dass er hier war, nicht unter ihnen. Vielleicht reichte die Zeit noch aus, das Castillo zu retten. Möglicherweise auch nicht. Doch seine Pflicht hatte er dann getan, hatte alles versucht, die Lichtkämpfer vor Schaden zu bewahren.
Er kroch zu den Spiegelscherben. Gleich zu Beginn hatte er in ihnen eine Chance zu sehen geglaubt. Er musste nur die Glasteile verflüssigen und wieder mit einem Kontaktzauber verweben. Erfolglos. Einen Kontakt mit irgendwem dort draußen herzustellen, blieb unmöglich. Dann hatte er darüber nachgedacht, mit den Splittern seine Pulsadern zu öffnen, um den Tod zu beschleunigen. Auch ein normaler Tod löste das Aurafeuer aus, da in diesem Augenblick der Schutz um das Sigil brüchig wurde. Schamerfüllt musste er jedoch feststellen, dass sein Selbsterhaltungstrieb ihn davon abhielt.
Dann also auf die langsame Art.
Er griff nach einer der großen Scherben, die das Licht des schwebenden Feuers spiegelten und sein Antlitz zurückwarfen. Eines seiner Augen war zugeschwollen, das Gesicht eine einzige schwammige Masse, von Rissen und Blutergüssen bedeckt. Die Haare hingen in fettigen Strähnen bis auf seine Schultern hinab, ein Vollbart zog sich über Wangen und Kinn. Er konnte die Bauchmuskeln kaum anspannen, so viele Prellungen hatte die Kreatur ihm zugefügt. Aus jedem Schlag, jeder Verletzung, die der Wechselbalg voller Freude seinem Körper angetan hatte, hatte er Wut und Hass herauslesen können, die die Kreatur gegen die Lichtkämpfer hegte. Warum? Das hatte er nie erfahren.
Neben den physischen Attacken hatte das Ding ihn auch verhöhnt und das Äußere von Personen angenommen, die ihm nahestanden. Er vertrieb diese Gedanken sofort wieder. Nicht eine Sekunde wollte er daran zurückdenken, welche Worte die Kreatur ihm ins Ohr geflüstert hatte, während sie ihm eine weitere Wunde zufügte.
»Mein Aurafeuer wird sie warnen«, flüsterte er heiser. »Sie werden dich finden und töten. Dafür sorge ich.«
Zitternd ließ er die Scherbe fallen.
Er hatte mit einem Heilzauber seine Hände wieder gerichtet und die Wunden oberflächlich versorgt, trotzdem schmerzte jede Bewegung der Finger, jede Anspannung der Handmuskeln. Er war kein Heiler. Natürlich bekam jeder Lichtkämpfer einen Grundkurs in Heilmagie verpasst, doch das ging nicht über Stabilisierungsmaßnahmen hinaus. Die meisten interessierten sich eher für Attacken und Abwehr. Ihm war es da ähnlich ergangen.
Wie viel Zeit mochte vergangen sein?
Immer wieder sah er durch den Kontaktstein Schlaglichter dessen, was dort draußen geschah.
Leonardo in einer Blutlache.
Das Turmzimmer.
Der Weg zu einem neuen Ziel, eine weitere Attacke.
In seinem Geist leuchtete die tödliche Sigilklinge wie ein Fanal. Die Kreatur hatte die Waffe bis vor Kurzem hier drinnen versteckt. Der Raum war – wie er mittlerweile wusste – durch Suchzauber nicht aufspürbar. Wer oder was sich darin auch befand, es tauchte auf keiner Karte auf, konnte nicht geortet werden.
»Wie habt ihr das geschafft, du und die Schattenfrau?«
Von dem Augenblick an, als er nachts aus dem Bett geschleift worden war und Stunden später in Gefangenschaft wieder erwachte, hatte er sich das gefragt. Der Raum musste seit langer Zeit existieren. Doch woher wusste sie davon? Und wie war die Kreatur überhaupt hierher gelangt?
Fragen, die andere würden beantworten müssen.
Er ließ die Kugeln kreisen, versank im warmen Schein des Lichts. Seine Gedanken trieben ab. Bilder aus der Vergangenheit kamen auf. Familienfeiern, das Erwachen seines Erbes, der Beginn seines Kampfes als Lichtkämpfer. Eine neue Welt hatte ihn aufgenommen. Sie alle bekamen zu Beginn in aller Deutlichkeit vermittelt, dass der Kampf gegen das Böse auch Opfer brachte. Wer das nicht begriff, tat es spätestens, wenn einer der anderen starb.
Trotzdem blieb der Gedanke zu sterben weit weg. Sie halfen den Nimags, taten Gutes und hatten eine Menge Spaß. Diese Leichtigkeit vertrieb jede Angst.
»Wie dumm wir doch sind.«
Je näher das Ende kam, desto öfter fragte er sich, ob er den Weg als Lichtkämpfer beschritten hätte, hätte er die Wahl gehabt. Das Erbe erschien, es stellte keine Fragen. Die Verantwortung wurde aufgebürdet, ob man dazu bereit war oder nicht. Die meisten fügten sich einfach ein, er ebenfalls. Immerhin war es toll, plötzlich über Magie zu gebieten. Der Preis kam später.
Er schluckte.
Seine Gedanken drehten sich im Kreis. Er wollte nicht mehr denken. Mit ausgebreiteten Armen stellte er sich unter die schwebenden Kugeln und ließ sie rotieren. Jede Bewegung zog ihm weitere Essenz ab. Er ließ sie kleiner werden und größer, bildete Formen aus. Immer mehr seiner Kraft floss ab. Das Ende näherte sich mit gewaltigen Schritten.
Sein Blick fiel noch einmal auf die Wand.
Er hatte das Feuer dazu genutzt, einen Abschiedsbrief auf den Stein zu brennen. Zusammengesetzt aus schwarzem Ruß standen die Worte dort geschrieben, die er an seine Freunde und die übrigen Lichtkämpfer richten wollte. Natürlich hatte er sie verfestigt, damit sie nicht einfach herabrieselten oder durch sein Aurafeuer unleserlich wurden. Seine letzte Chance, noch einmal über den Abgrund von Leben und Tod hinweg eine Nachricht zu schicken.
Die Kugeln begannen zu rotieren, immer schneller.
Es war paradox. In jedem Kampf war man froh darüber, wenn die Essenz ausreichte und man keine Gefahr lief, ein Aurafeuer auszulösen. Doch heute, hier und jetzt, wollte er genau das tun. Während sonst jeder Zauber zu viel der eigenen Kraft fraß, schien es heute einfach nicht voranzugehen.
Zu viele Gedanken.
Er stellte sich in die Mitte des Raumes, hielt die Arme weiterhin ausgebreitet. Seine Gedanken wurden zur Atmung, alles andere verwehte. Er wurde eins mit seinem Körper, seinen Wunden, der Magie. Alles, was er hätte sagen können, war gesagt. Alles, was er hätte denken können, war gedacht. Das Letzte, was er jetzt noch tun konnte, stand bevor.
»Lebt wohl.«
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