Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik. Andreas Suchanek
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СКАЧАТЬ Während der Essenzstab den Unsterblichen über dem Boden hielt, malte sie mit dem rechten Zeigefinger Heilsymbole in die Luft. Tomoe wartete nicht länger, sie folgte beiden in Richtung Krankenflügel.

      Johanna seufzte. »Wer von euch hat ihn gefunden?«

      »Ich«, sagte Chloe. »Die Sigilklinge war hier, daher hat der Zauber auf das Büro gedeutet. Er konnte mir noch etwas sagen.«

      »Ja?«

      Sie schluckte. »Wechselbalg.«

      Clara trat an Leonardos Schreibtisch und schaute suchend umher.

      »Und ich habe mich schon gefragt, wer ihn derart überrascht hat«, flüsterte die Rätin. »Jemand in der Gestalt eines Freundes könnte das. Warum haben wir nicht früher daran gedacht?«

      Sie sprach mehr zu sich selbst, doch Chloe antwortete trotzdem. »Nun ja, der Kristallschirm verhindert, dass eine solche Kreatur hier eindringen kann, oder?«

      »In der Tat«, bestätigte Johanna. »Der Gedanke liegt fern, aber kein Schutz ist perfekt. Irgendwie hat der Wechselbalg ein Schlupfloch gefunden.«

      Clara schaute mit gerunzelter Stirn unter den Tisch.

      Chloe sah zu der Freundin hinüber, sprach jedoch weiter mit Johanna. »Wenn der Wechselbalg jemanden ersetzt hat, dann muss derjenige aber noch hier irgendwo sein. Andernfalls hätte es ein Aurafeuer gegeben.«

      »Nicht, wenn die Originalperson mit der Sigilklinge getötet wurde.«

      »Ha«, konterte Chloe, »die befand sich bis vor wenigen Tagen aber noch nicht in unserem Besitz. Keine Ahnung, wie lange der Austausch schon läuft, doch es deutet ja alles auf einen größeren Zeitraum hin.«

      »Das ist richtig«, stimmte Johanna zu. Mit verschränkten Armen ging sie auf und ab, den Blick mal auf Chloe, mal ins Nichts gerichtet. »Die Kreatur kann den Austausch auch nicht außerhalb des Castillos vorgenommen haben. Die Desillusionierungsschleier hätten sie beim Durchschreiten der Grundstücksgrenzen enttarnt.«

      »Einer von uns ist also hier irgendwo gefangen«, überlegte Chloe. »Aber wie kann man einen Lichtkämpfer im Castillo gefangen gehalten, ohne, dass es jemandem auffällt?«

      »Das ist noch nicht alles«, erklärte Johanna. »Die Ordnungsmagier haben schließlich Befragungen durchgeführt. Ein Wahrheitszauber wirkt auch bei einem Wechselbalg. Wir hätten ihn enttarnen müssen. Es gab jedoch vor langer Zeit jene, die über eine ganz besondere Fähigkeit verfügten. Sie konnten die Gedanken eines Magiers vollständig kopieren.« Die Unsterbliche wollte noch etwas sagen, kam aber nicht mehr dazu.

      »Wir haben ein Problem«, unterbrach Clara. Die Freundin stand erhobenen Hauptes neben dem Tisch. »Ich habe alles abgesucht, doch er ist nicht hier.«

      »Wovon sprichst du?«, fragte Johanna.

      »Leonardos Kontaktstein«, erklärte sie. »Als Theresa ihn herausgebracht hat, habe ich seinen Hals gesehen. Da hing kein kobaltblauer Stein.«

      »Bist du sicher?«, wollte Chloe wissen.

      »Absolut.«

      Johannas Körper war plötzlich angespannt wie eine Bogensehne. »Clara, hast du auf sein Handgelenk geachtet?«

      »Ähm, nein, wieso?«

      »Du meinst die Manschette?«, fragte Chloe. »Die hatte er nicht an, warum?«

      Johanna erbleichte. »Darum ging es also. Mit dem Kontaktstein kann man das Permit in der Manschette benutzen.«

      Natürlich wusste Chloe, dass ein magisches Permit Zugang zu versiegelten Bereichen gewährte. »Wohin will der Wechselbalg?«

      »Das Archiv.« Die Unsterbliche fuhr sich fahrig durchs Haar. »Die Kreatur will in das Archiv. Das muss es sein.« Sie rannte davon.

      Chloe machte sich nicht die Mühe, ihr zu folgen. Niemals würden sie in die heiligen Hallen der Archivarin vordringen können.

      »Wen, meinst du, hat das Ding kopiert?«, fragte Clara.

      »Keine Ahnung.« Hoffentlich niemanden von uns.

      Chloe warf einen letzten Blick auf die schmierige Blutlache am Boden. Mit der Freundin zusammen verließ sie das Büro.

      13. Die geheime Fähigkeit

      »Beinahe hätte ich dem arroganten Sack eine gefeuert.« Chris machte vor der Couch im Turmzimmer seine Liegestütze. Vermutlich, um seine Wut zu kanalisieren. »Echt jetzt, Eliot Sarin ist ein blödes A…«

      »Wir haben es verstanden«, stoppte Max den Redefluss. »Immerhin bist du vollständig rehabilitiert. Es dürfte ziemlich schwer sein, sich selbst mit gefesselten Händen von hinten auszuknocken.« Er ließ ein Kaugummi platzen, dieses Mal zuckte sogar Chloe zusammen.

      »Kannst du das heute ausnahmsweise lassen?«

      »Sorry«, gab er geknickt zurück. »Unsere Nerven sind wohl nicht die besten. Hat Johanna mit der Archivarin gesprochen?«

      »Vermutlich«, warf Clara dumpf ein. Sie befand sich im hinteren Bereich des Raumes, zwischen den Bücherregalen. »Ah, da ist es ja.« Sie kam mit einem ledergebundenen Büchlein hervor. »Schaut euch das an.« Sie legte es auf dem Tisch ab.

      Sofort standen Chris, Kevin, Max und Chloe neben ihr.

      »Vor einigen Wochen habe ich Tomoe dabei geholfen, für ihre Vorlesung in ›Abwehr dunkler Kreaturen jeder Art‹ ein wenig zu recherchieren. Während dieser Arbeit bin ich auf das hier gestoßen.« Sie schlug eine bestimmte Seite auf.

      Sie war überschrieben mit Der Wechselbalg – Zwischen Mythos und Wahrheit. Jemand hatte eine Tuschezeichnung angefertigt, die oben auf der Seite prangte. Sie zeigte ein Wesen mit ledriger Runzelhaut, langen spitzen Ohren und scharfen Zähnen.

      »Sympathisches Kerlchen«, kommentierte Chris.

      Clara hatte bereits einige Zeilen überflogen. »Hier steht, dass nur die ältesten Wechselbälger dauerhaft eine feste Form annehmen konnten. Ob es überhaupt noch welche gibt, ist fraglich. Nun ja, wir wissen jetzt, dass es so ist. Früher kämpften diese Kreaturen auf der Seite der Schattenkrieger, wurden von Lichtkämpfern verfolgt und getötet.«

      »Getötet«, echote Max.

      »Na ja, damals war auch unsere Fraktion oft ein wenig … martialisch«, gestand Clara. »Jedenfalls wurden fast alle Wechselbälger ausgerottet. Die verbliebenen, die es heute noch gibt, können die Form ändern, aber nur sehr lückenhaft. Daher verbergen sie sich oft als Bettler in kalten Ländern, dick vermummt, damit niemand die Fehler im Äußeren erkennt. Jene von damals jedoch konnten Menschen bis ins kleinste Detail nachbilden. Die allerersten vermochten angeblich sogar die Erinnerungen und so auch den Charakter nachzustellen. Dafür entnahmen sie dem Original in regelmäßigen Abständen etwas Blut. Der Wechselbalg besitzt ein eigenes Sigil, das jedoch nur minimal Essenz produziert. Zauber kann er nicht wirken, es sei denn, er kopiert einen Magier. Dann nimmt die Essenz dessen Farbe an, ebenso die Spur.«

      »Das СКАЧАТЬ