Название: Gesammelte Werke
Автор: Isolde Kurz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962812515
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Dieses Beispiel von Seelenwanderungsglauben war mir bei der entschiedenen Kirchlichkeit des dortigen Landvolks höchst befremdlich. Aber ein genauer Kenner des italienischen Mittelalters wies mich daraufhin, dass die Lunigiana, zu der unser Küstenstrich gehört, jahrhundertelang ein Hauptsitz der Häresie gewesen und dass die Kirche nur die Ketzer, aber nicht die Ketzerei ausrotten gekonnt, mit deren zum Volksaberglauben herabgesunkenen Überresten sie sich augenscheinlich abfindet.
Jahre später begegnete ich der gleichen Vorstellung noch einmal in fast noch groteskerer Gestalt. Mein Nachbar, der Bauer Mansueto, fragte mich eines Morgens beim Aufbinden der Reben an meiner Rebenlaube mit etwas unsicherem Ton, ob ich schon von der großen Schlange gehört hätte. Ich hatte noch nichts gehört. Auf der Villa des verstorbenen Generals X., die etwa einen Kilometer von meinem Hause entfernt lag, sei eine Schlange von gewaltigen Maßen erschienen, »groß und dick wie ein Mensch«, sie stehe wie ein solcher völlig aufrecht und schaue mit grässlich funkelnden Augen durch die Gitterstäbe des Gartens. Halb Forte de’ Marmi ströme nach der Villa X. hinaus, um die gespenstige Schlange zu sehen. Er sei auch draußen gewesen, der Anblick sei unheimlich. Man habe die Finanzsoldaten mit ihren Gewehren hingeschickt, und diese hätten Schuss auf Schuss auf das Untier abgegeben. Aber wenn der Rauch sich verziehe, so stehe sie aufrecht nach wie vor unter den Pinien und schaue die Leute höhnisch an. Er rate mir dringend, wenn ich es nicht glauben wolle, selber zu gehen und mich zu überzeugen.
Diesen Rat hätte ich natürlich gerne befolgt, aber ich hatte damals meine Mutter schon leidend im Häuschen droben, die sich zu erregen pflegte, wenn ich sie auf mehr als zehn Minuten allein ließ. Von der meerwärts gelegenen Gartentür aus konnte ich aber unten am Strand lange Züge von Menschen auf dem Hin- und Herweg sehen, die sich begegneten und gestikulierend stehenblieben. Auf einem Sandhügel, wenige Schritte von meiner Haustür, saß ein uraltes Bettelweib, die rief ich an: O Großmutter! Habt Ihr auch die Schlange gesehen? – Sie bejahte düster und heftig. Che sia lù? (Ist wohl er es?) setzte sie lauernd hinzu. Er? Was für ein Er? fragte ich verwundert. Lù’! lù’! il generale! – Aber gute Nonna, wie käme denn der General in die Schlange? – Lo saprà lù’! (Das wird er wissen), war die noch düstrere Antwort.
Als ich meiner Patientin dieses Wunder erzählte, gab sie mir Urlaub, um den Tatbestand zu ergründen. Ich begab mich an den Strand hinunter und hielt zunächst eine Gruppe der Zurückkehrenden auf. – Die Schlange, freilich. Es war die reine Wahrheit. Sie hatten sie alle gesehen. Fürchterlich sah sie aus. Aufrecht stand sie wie ein Mensch. Sie stand auf dem Schwanz. Und die Augen funkelten. – Und die Soldaten mit den Gewehren? – Ja, auch die! Es hatte alles seine Richtigkeit. Ob ich denn die Schüsse nicht gehört hätte? – Ich hatte nichts gehört und ging nun weiter, um selbst zu hören und zu sehen. Da stieß ich auf den einäugigen Armando, einen geweckten und verwegenen Burschen, der so halb und halb in meinen Diensten stand, weil ich ihn zuweilen mit gröberer Arbeit beschäftigte und während meiner Abwesenheit mein Haus von ihm bewachen ließ.
Kommen Sie auch die Schlange sehen? rief er mir zu. – Jawohl, sagte ich, wie steht’s denn damit?
Er lachte aus vollem Halse: Hat sich was mit der Schlange. Es gibt so wenig eine Schlange in der Villa X. wie in der Ihrigen. Der Waldhüter, der die Villa mit den Vignen nachts bewachen soll, aber lieber in der Schenke beim Wein sitzt, hat jetzt, wo die Trauben zu reifen beginnen, die Fabel von der Schlange aufgebracht. Aber das hat er wohl selber nicht erwartet, dass die Leute das Untier auch am hellen Tage sehen würden.
Ein solcher Massenwahn ging mir über alle Begreifbarkeit. Aber als immer neue Gruppen zurückkamen und auf Armandos Anruf übereinstimmend versicherten, die Schlange stehe noch immer und blicke durchs Gitter und es werde noch immer auf sie geschossen, stand ich von dem Forschungsgange ab.
Es ist wieder geradeso wie bei der Erscheinung der Madonna von Ripa. Davon wissen Sie doch? sagte Armando.
Ich wusste nichts. – Es sind sechzehn Jahre her, berichtete er, ich hatte damals noch meine beiden Augen, da sah man die Madonna über Ripa fliegen.
Fliegen?
Freilich. Sie sprach mit einem Kinde, hieß es fromm und fleißig sein. Das Kind lief heim und erzählte es seiner Mutter. Die stürzte aus dem Haus und rief die Nachbarinnen. Ganz Ripa geriet außer sich. Die Madonna! Die Madonna! Sie schwebt über Ripa, sie hat die Glorie ums Haupt. – Wo? Wo? – Da – dort. Seht ihr sie? Ja! Ja! – Sie sahen sie alle und behaupten noch heute, dass sie dagewesen sei.
Wie war das nun, Armando? Glaubten die Leute wirklich, eine Erscheinung zu sehen? Oder scheuten sie sich nur, zu gestehen, dass sie nichts sahen?
Er zuckte die Achseln: Ich weiß nur, dass ich selber nichts sah gar nichts. Neanche un pipistrello. (Nicht einmal eine Fledermaus).
*
Zu den Besonderheiten der Volksart gehört die überragende Stellung der Frau. Dass alle Häuser nach der Frau genannt werden, ist nicht wie bei den Villen der Fremden eine dem zartren Geschlechte dargebrachte Huldigung, sondern der Ausdruck eines wirklichen, wenn auch nicht amtlich festgelegten, so doch die Vorstellung beherrschenden Sachverhalts: in Forte de’ Marmi gehört das Haus der Frau. Im gleichen Sinne ist sie auch das Haupt der Familie; ein Kind, das man fragt, wem es gehöre, wird unweigerlich antworten: der Rosina, der Filomena oder wie sonst seine Mutter heißen mag, was auch allgemein für den Verkehr genügt, höchstens dass noch zur näheren Bezeichnung gelegentlich ihr Mädchenname hinzugefügt wird, den sie ihr Leben lang beibehält. Der Ehemann muss schon eine Persönlichkeit von Gewicht sein, wenn er gleichfalls genannt wird. Ein besonders drolliges Beispiel lieferte ein Schnitter, ein segatore, nach welchem seine Frau zunächst die segatora hieß. Das hatte nun die Folge, dass er selber im Volksmund СКАЧАТЬ