Название: Gesammelte Werke
Автор: Isolde Kurz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962812515
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Die von einem sonst gutartigen Volk an den Tieren verübte Grausamkeit bringt mir durch Gedankenverbindung eine seltsame volkskundliche Entdeckung ins Gedächtnis, die ich meiner Elvira, einem bildhübschen sechzehnjährigen Landkind, verdanke. Dieses willige, muntere Geschöpf, das einen Sommer lang bei mir diente, war im Gegensatz zu ihren frühreifen, gewitzten Kameradinnen ausnehmend einfältig, aber von einer liebenswürdigen, wahrhaft blühenden, ja, man könnte sagen erfinderischen Einfalt, womit sie mir immer von Zeit zu Zeit eine Überraschung bereitete; sonst hätte ich wohl nie erfahren, was ich durch sie erfuhr. Um ihre Art zu bezeichnen, sei zunächst nur ein kleiner Zug erwähnt: Ich pflegte in meinem Garten, solange er noch keine Nachbarschaft hatte, um die Mittagsstunde im Schutz einer Erlenreihe, die unberufene Blicke abwehrte, mein Sonnenbad zu nehmen. Das setzte Elvira in solches Erstaunen, dass ich genötigt war, ihr die wohltätige Wirkung der Sonnenbestrahlung, die im Volk noch nicht bekannt war, zu erklären. Elvira hörte voll Andacht zu und prägte sich meine Worte in die Seele. Am Abend, als die Mahlzeit abgetragen und das Geschirr gespült war, fehlte das Mädchen; in ihrem Kämmerchen war sie nicht und ebensowenig am Strand, wo die anderen Mädchen schwatzten. Von einer Ahnung ergriffen, ging ich in den Garten, und richtig, zwischen den Erlen schimmerte es weiß hervor. Ich rief ihr zu, was sie da mache. – Ich mache, was die Signora Padrona des Mittags macht: ich bade, war die Antwort. Da lag sie, barg den Kopf im Erlengebüsch, das jetzt taute, wie ich es zum Schutz gegen die Sonne getan hatte, und streckte in Feuchte und Mondschein ihre bloßen Glieder aus. Weil ihr die Zeit gefehlt hatte, gleichfalls ein Sonnenbad zu nehmen, und sie doch das Beispiel der Padrona nicht unbefolgt lassen wollte, nahm sie gläubig im Abendtau ein Mondbad! So war die geistige Anlage des guten Kindes beschaffen, das wie durch Zufall aus der Unschuld eines deutschen Märchens in die geweckte italienische Volksart hineinverirrt schien.
Eines Tages bemerkte ich, dass die Elvira bestürzt und unruhig umherging und mich öfters zweifelnd ansah, als ob sie etwas Schweres auf der Seele hätte. Aufgemuntert, fasste sie sich ein Herz und sagte: Wenn ich ganz, ganz sicher wäre, dass Sie mich nicht auslachen, so möchte ich mit Ihnen über etwas Besonderes reden. Ich versprach ihr den tiefsten Ernst und erfuhr nun etwas in der Tat ganz Außergewöhnliches.
Elvira hatte eine Base besessen mit Namen Quintilia, die ihr von Kindheit an sehr nahegestanden und die vor wenig Monaten an der Schwindsucht gestorben war. Diese Quintilia hatte große Vorliebe für den Reis gehabt, und noch an ihrem Sterbetag hatte man ihr einen schmackhaften Risotto zubereiten müssen. Die gute Elvira betrauerte sie herzlich und dachte auch jetzt noch öfters an die Verstorbene. Seit einiger Zeit nun bemerkte sie, dass draußen im Garten, wo viele Eidechsen über den glühenden Sand und durch die Beete huschten, eine davon ihr auffallende Zutunlichkeit bezeigte. Sobald sie in den Garten trat, erschien das Tierchen und hielt sich in ihrer Nähe, ja, es kam sogar und suchte sie in der Küche auf. Das durchschauerte ihr Innerstes. Sollte wohl gar –? stieg es in ihr auf. Heute hatte Elvira beschlossen der Sache auf den Grund zu gehen. Als die Eidechse wieder kam, stellte sie ein Schälchen mit gekochtem Reis auf den Boden. Und siehe, die Eidechse machte sich darüber her und fraß den Reis. Hat man je gehört, dass Eidechsen Reis fressen? fragte sie mich. Ich musste gestehen, dass ich es nie gehört, aber auch nie die Probe gemacht hatte. Ob ich für möglich halte, dass die Eidechse die Seele der Quintilia sei? forschte sie weiter.
Was sich mir jetzt durch die Treuherzigkeit der Elvira enthüllte, hätte keine ihrer Vorgängerinnen oder Nachfolgerinnen mir je verraten, nämlich dass in der Gegend ganz allgemein an die zeitweilige Übersiedelung der Seelen Verstorbener in Tierleiber, besonders in Eidechsen, Kröten und Schlangen, geglaubt wird; man nenne diese Unglücklichen anime confinate, verbannte, das heißt an einen bestimmten Ort verbannte Seelen, vertraute sie mir an, und in dieser Lage, vermutete sie, werde nun wohl auch die arme Quintilia sich befinden.
Ich sagte: Das wollen wir gleich sehen, und ging mit ihr in die Küche. Dort öffnete ich die Gartentür und rief laut: Quintilia! – Auf meinen Ruf – es klingt wie eine Erfindung und ist doch buchstäblich wahr – kam eine Eidechse blitzschnell die Stufe herauf in die Küche geschossen und geradeaus auf die Elvira zu, die sich bebend gegen den Herd zurückzog. Nach einem so sinnfälligen Beweis war die Personengleichheit nicht mehr zu bestreiten.
Ich beschloss, das Vorkommnis zum Besten der gequälten Tierheit zu nützen und sagte sehr nachdrücklich:
Du siehst nun selbst, wie frevelhaft es von euch Landleuten ist, die unglücklichen Eidechsen, Blindschleichen, Frösche und ähnliches Getier, gleich wie sich ihrer eins zeigt, mit dem Absatz zu zermalmen. Ihr bedenkt dabei nicht, dass es euer Großvater, eure Großmutter oder Schwester oder sonst ein Nahverwandtes sein könnte, was euch zertreten an den Schuhen hängenbleibt. Wenn es wahr ist, dass die Seelen der Verstorbenen für einige Zeit in den Tieren hausen müssen, was ich weder bestätigen noch in Abrede stellen will, СКАЧАТЬ