Gesammelte Werke. Isolde Kurz
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Название: Gesammelte Werke

Автор: Isolde Kurz

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier

isbn: 9783962812515

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СКАЧАТЬ von sechs bis zwölf Paar tos­ka­ni­scher Och­sen mit pracht­voll ge­form­ten Rie­sen­hör­nern von den hoch­ge­le­ge­nen Brü­chen her­un­ter zum Strand ge­schleppt. Es war ein herz­zer­rei­ßen­der An­blick um die­se ge­mar­ter­ten Tie­re. Das Leitseil lief durch den Na­sen­ring, auf je­dem Paar Och­sen lag ein schwer las­ten­des Joch, das ihre Köp­fe nie­der­drück­te, und auf je­dem Joch saß ein Trei­ber mit dem Sta­chel­stab, der die Tie­re völ­lig wehr­los ge­macht hat­te; an­de­re Trei­ber lie­fen zu Fuß ne­ben­her und hal­fen mit wil­dem Ge­schrei und mit dem Sta­chel nach; so wälz­te sich das Fuhr­werk auf der von Lö­chern und schuh­tie­fen Fahr­glei­sen un­mög­lich ge­wor­de­nen Stra­ße her­an, im­mer wie­der ste­cken­blei­bend und im­mer wie­der durch mensch­li­che Un­barm­her­zig­keit wei­ter­ge­trie­ben. Nie­mals wer­de ich den hoff­nungs­lo­sen Blick ver­ges­sen, mit dem ei­nes die­ser Tie­re, als ich bei ei­ner kur­z­en Rast mit­leids­voll zu ihm her­an­trat, sich von dem Men­schen­ge­sicht ab­wand­te, das für ihn ja auch die Züge sei­ner Fol­te­rer trug, und sein jam­mer­vol­les Haupt tod­mü­de auf den Na­cken sei­nes Schick­sals­ge­fähr­ten leg­te. An die­sen Blick dach­te ich in der Nacht, wo das neue Jahr­hun­dert ein­ge­läu­tet wur­de, und ich sam­mel­te da­mals alle Wunsch­kraft mei­nes Her­zens der ewi­gen Ur­macht zu, dass sie dem gren­zen­lo­sen Jam­mer der Tier­heit ein Ziel set­ze. Heu­te ist das er­bar­mungs­lo­se, aber von Künst­lerau­gen be­wun­der­te Bild der großen Och­sen­fuh­ren aus der Land­schaft ver­schwun­den; die Ma­schi­ne schleppt jetzt auf Ei­sen­glei­sen die Mar­mor­blö­cke zu Tal, und die Och­sen­ge­span­ne wer­den nur noch ge­le­gent­lich ins Meer ge­trie­ben, um ein Schiff aufs Tro­cke­ne zu zie­hen.

      Die von ei­nem sonst gut­ar­ti­gen Volk an den Tie­ren ver­üb­te Grau­sam­keit bringt mir durch Ge­dan­ken­ver­bin­dung eine selt­sa­me volks­kund­li­che Ent­de­ckung ins Ge­dächt­nis, die ich mei­ner El­vi­ra, ei­nem bild­hüb­schen sech­zehn­jäh­ri­gen Land­kind, ver­dan­ke. Die­ses wil­li­ge, mun­te­re Ge­schöpf, das einen Som­mer lang bei mir diente, war im Ge­gen­satz zu ih­ren früh­rei­fen, ge­witz­ten Ka­me­ra­din­nen aus­neh­mend ein­fäl­tig, aber von ei­ner lie­bens­wür­di­gen, wahr­haft blü­hen­den, ja, man könn­te sa­gen er­fin­de­ri­schen Ein­falt, wo­mit sie mir im­mer von Zeit zu Zeit eine Über­ra­schung be­rei­te­te; sonst hät­te ich wohl nie er­fah­ren, was ich durch sie er­fuhr. Um ihre Art zu be­zeich­nen, sei zu­nächst nur ein klei­ner Zug er­wähnt: Ich pfleg­te in mei­nem Gar­ten, so­lan­ge er noch kei­ne Nach­bar­schaft hat­te, um die Mit­tags­stun­de im Schutz ei­ner Er­len­rei­he, die un­be­ru­fe­ne Bli­cke ab­wehr­te, mein Son­nen­bad zu neh­men. Das setz­te El­vi­ra in sol­ches Er­stau­nen, dass ich ge­nö­tigt war, ihr die wohl­tä­ti­ge Wir­kung der Son­nen­be­strah­lung, die im Volk noch nicht be­kannt war, zu er­klä­ren. El­vi­ra hör­te voll An­dacht zu und präg­te sich mei­ne Wor­te in die See­le. Am Abend, als die Mahl­zeit ab­ge­tra­gen und das Ge­schirr ge­spült war, fehl­te das Mäd­chen; in ih­rem Käm­mer­chen war sie nicht und eben­so­we­nig am Strand, wo die an­de­ren Mäd­chen schwatz­ten. Von ei­ner Ah­nung er­grif­fen, ging ich in den Gar­ten, und rich­tig, zwi­schen den Er­len schim­mer­te es weiß her­vor. Ich rief ihr zu, was sie da ma­che. – Ich ma­che, was die Si­gno­ra Pa­dro­na des Mit­tags macht: ich bade, war die Ant­wort. Da lag sie, barg den Kopf im Er­len­ge­büsch, das jetzt tau­te, wie ich es zum Schutz ge­gen die Son­ne ge­tan hat­te, und streck­te in Feuch­te und Mond­schein ihre blo­ßen Glie­der aus. Weil ihr die Zeit ge­fehlt hat­te, gleich­falls ein Son­nen­bad zu neh­men, und sie doch das Bei­spiel der Pa­dro­na nicht un­be­folgt las­sen woll­te, nahm sie gläu­big im Abend­tau ein Mond­bad! So war die geis­ti­ge An­la­ge des gu­ten Kin­des be­schaf­fen, das wie durch Zu­fall aus der Un­schuld ei­nes deut­schen Mär­chens in die ge­weck­te ita­lie­ni­sche Volks­art hin­ein­ver­irrt schi­en.

      Ei­nes Ta­ges be­merk­te ich, dass die El­vi­ra be­stürzt und un­ru­hig um­her­ging und mich öf­ters zwei­felnd an­sah, als ob sie et­was Schwe­res auf der See­le hät­te. Auf­ge­mun­tert, fass­te sie sich ein Herz und sag­te: Wenn ich ganz, ganz si­cher wäre, dass Sie mich nicht aus­la­chen, so möch­te ich mit Ih­nen über et­was Be­son­de­res re­den. Ich ver­sprach ihr den tiefs­ten Ernst und er­fuhr nun et­was in der Tat ganz Au­ßer­ge­wöhn­li­ches.

      El­vi­ra hat­te eine Base be­ses­sen mit Na­men Quin­ti­lia, die ihr von Kind­heit an sehr na­he­ge­stan­den und die vor we­nig Mo­na­ten an der Schwind­sucht ge­stor­ben war. Die­se Quin­ti­lia hat­te große Vor­lie­be für den Reis ge­habt, und noch an ih­rem Ster­be­tag hat­te man ihr einen schmack­haf­ten Ri­sot­to zu­be­rei­ten müs­sen. Die gute El­vi­ra be­trau­er­te sie herz­lich und dach­te auch jetzt noch öf­ters an die Ver­stor­be­ne. Seit ei­ni­ger Zeit nun be­merk­te sie, dass drau­ßen im Gar­ten, wo vie­le Ei­dech­sen über den glü­hen­den Sand und durch die Bee­te husch­ten, eine da­von ihr auf­fal­len­de Zu­tun­lich­keit be­zeig­te. So­bald sie in den Gar­ten trat, er­schi­en das Tier­chen und hielt sich in ih­rer Nähe, ja, es kam so­gar und such­te sie in der Kü­che auf. Das durch­schau­er­te ihr In­ners­tes. Soll­te wohl gar –? stieg es in ihr auf. Heu­te hat­te El­vi­ra be­schlos­sen der Sa­che auf den Grund zu ge­hen. Als die Ei­dech­se wie­der kam, stell­te sie ein Schäl­chen mit ge­koch­tem Reis auf den Bo­den. Und sie­he, die Ei­dech­se mach­te sich dar­über her und fraß den Reis. Hat man je ge­hört, dass Ei­dech­sen Reis fres­sen? frag­te sie mich. Ich muss­te ge­ste­hen, dass ich es nie ge­hört, aber auch nie die Pro­be ge­macht hat­te. Ob ich für mög­lich hal­te, dass die Ei­dech­se die See­le der Quin­ti­lia sei? forsch­te sie wei­ter.

      Was sich mir jetzt durch die Treu­her­zig­keit der El­vi­ra ent­hüll­te, hät­te kei­ne ih­rer Vor­gän­ge­rin­nen oder Nach­fol­ge­rin­nen mir je ver­ra­ten, näm­lich dass in der Ge­gend ganz all­ge­mein an die zeit­wei­li­ge Über­sie­de­lung der See­len Ver­stor­be­ner in Tier­lei­ber, be­son­ders in Ei­dech­sen, Krö­ten und Schlan­gen, ge­glaubt wird; man nen­ne die­se Un­glück­li­chen ani­me con­fi­na­te, ver­bann­te, das heißt an einen be­stimm­ten Ort ver­bann­te See­len, ver­trau­te sie mir an, und in die­ser Lage, ver­mu­te­te sie, wer­de nun wohl auch die arme Quin­ti­lia sich be­fin­den.

      Ich sag­te: Das wol­len wir gleich se­hen, und ging mit ihr in die Kü­che. Dort öff­ne­te ich die Gar­ten­tür und rief laut: Quin­ti­lia! – Auf mei­nen Ruf – es klingt wie eine Er­fin­dung und ist doch buch­stäb­lich wahr – kam eine Ei­dech­se blitz­schnell die Stu­fe her­auf in die Kü­che ge­schos­sen und ge­ra­de­aus auf die El­vi­ra zu, die sich be­bend ge­gen den Herd zu­rück­zog. Nach ei­nem so sinn­fäl­li­gen Be­weis war die Per­so­nen­gleich­heit nicht mehr zu be­strei­ten.

      Ich be­schloss, das Vor­komm­nis zum Bes­ten der ge­quäl­ten Tier­heit zu nüt­zen und sag­te sehr nach­drück­lich:

      Du siehst nun selbst, wie fre­vel­haft es von euch Land­leu­ten ist, die un­glück­li­chen Ei­dech­sen, Blind­schlei­chen, Frösche und ähn­li­ches Ge­tier, gleich wie sich ih­rer eins zeigt, mit dem Ab­satz zu zer­mal­men. Ihr be­denkt da­bei nicht, dass es euer Groß­va­ter, eure Groß­mut­ter oder Schwes­ter oder sonst ein Nah­ver­wand­tes sein könn­te, was euch zer­tre­ten an den Schu­hen hän­gen­bleibt. Wenn es wahr ist, dass die See­len der Ver­stor­be­nen für ei­ni­ge Zeit in den Tie­ren hau­sen müs­sen, was ich we­der be­stä­ti­gen noch in Ab­re­de stel­len will, СКАЧАТЬ