Название: Gesammelte Werke
Автор: Isolde Kurz
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962812515
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Wie ein gespenstisches Trauerspiel
Weht’s dich an und umhüllt dich mit Schauern,
Alle Kraft verzehrt sich in Trauern
Um ein Opfer, das nirgends fiel.
Kennst du das Stück?
Nein, und kennst der Spieler nicht einen,
Aber weinen musst du und weinen
Um ein verlorenes
Und doch nie besessenes Glück.
Eine Schuld, die du nicht begangen,
Bleicht dir die Wangen,
Ein Vergangnes, das nie gewesen,
Hält dich und lässt dich nimmer genesen. – –
Gegen solche innere Verfolgung gab es keine andere Zuflucht als die ins Werk.
*
Das erste, was die Gunst der neuen Wohnung mir bescherte, war die Vollendung der »Stadt des Lebens«. Dann formte sich der Inhalt eines neuen Novellenbandes, der unter dem nicht ganz entsprechenden Titel »Lebensfluten« bei Cotta erschien. Er sollte zuvor »Den Strom hinunter« heißen nach der Anfangserzählung, die diesen Titel im doppelten Sinne trug. Aber Heyse bat mich, darauf zu verzichten, weil er selbst im Begriffe stehe, ein Novellenbuch unter dieser Flagge segeln zu lassen. Die Rücksichtnahme war selbstverständlich, aber ich geriet in Verlegenheit um einen neuen Titel, bis man sich nach wiederholter Verhandlung mit dem beiderseitigen Verleger, der kein anderer war als der alte Freund Kröner, jetzt Cotta Nachfolger, sich auf »Lebensfluten« einigte, ein Notbehelf, der von dem wechselvollen Inhalt nichts aussagen konnte als das wechselvolle Spiel des Lebens selbst.
In dem stillen Glasgemach, beim Rinnen des Arno, während das nächtliche Florenz im Sternenschimmer lag, fügte sich mir nach und nach die zweite Folge meiner Gedichte. Manches davon war schon in den guten Jahren am Poggio Imperiale entstanden. Immer wenn der zarte Geist der Lieder auf seinen Schmetterlingsflügeln erschien, den das Tun des Tages so gerne verscheucht, musste auf Wochen die Feder, die Prosa schrieb, ruhen, denn er brachte seine Gaben nie vereinzelt, sondern reihte sie, Heiteres und Ernstes, in vielfarbigen Ketten auf. Er war noch immer gleich launenhaft und gleich erfüllend. Rufen ließ er sich nicht gern, denn es bleibt immer etwas Unwägbares um das Gedicht, und was ich in ahnender Jugend darüber gesagt hatte: »Von Menschen ist es nicht gemacht, es wächst mit andrem Blumenflore, gefunden wird’s und nicht erdacht«, das bestand mir noch immer in gewissem Sinne zu Recht. Das Gedicht kommt viel weiter her, als Uneingeweihte ahnen, und es ist früher als sein menschlicher Anlass. Dieser lockt es nur hervor, aber es braucht ihm gar nicht genau zu entsprechen, wie ja männiglich bekannt, dass Goethes Lied an den Mond: »Füllest wieder …« durch den Selbstmord eines jungen Mädchens, das ihn persönlich nichts anging, veranlasst wurde. Zuweilen tritt es gar stückweise heraus, Jahre können dazwischen liegen, bis die getrennten Glieder sich von selbst zusammenfügen. So stand ich einmal hoch oben in den Apuanischen Alpen am Fenster meines Gasthofs und sah in die Mondnacht hinaus. Da sprach eine Stimme in mir selbst den Vers:
Jede Nacht hört sie’s vorübertraben,
Jede Nacht den Reiter mit dem Knaben –
Ich horchte auf und begann der Stimme nachzugehen, aber sie schwieg und gab nichts weiter her. Durch Jahre konnte ich nicht erfahren, was es mit dem Reiter und dem Knaben für eine Bewandtnis habe. Nachdenken half nichts, es wehte vielmehr die Schmetterlingsflügel weit hinweg; der Fund musste sich ereignen. Und er ereignete sich wirklich ganz plötzlich einmal im Zug einer wochenlangen lyrischen Erregung, nachdem schon eine Reihe von anderen Gedichten СКАЧАТЬ