Название: Der Jungbrunnen: Neue Märchen von einem fahrenden Schüler
Автор: PAUL HEYSE
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 4064066113261
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Hansel aber, wenn er wieder beim Leisten auf dem Schemelchen kauerte und die hellen Thränen ihm vor lauter Aerger immer noch aus den Augen liefen, dachte bei sich: Bin ich nicht ein schmucker Bursch, und zu Pfingsten werd' ich sechzehn Jahr alt? Und hören mich die Dorfmädel nicht für ihr Leben gern auf der Harmonica spielen? Soll ich mir immer noch den groben Haselstock auf dem Rücken tanzen lassen? Ja, Kuchen! schloß er jedesmal; aber es blieb dennoch beim Alten, denn draußen lag Weg und Steg verschneiet, und die Winde hielten ein Wettrennen und pfiffen dabei so arge Stücklein, daß einem alles Ausreißen verging. Da mußt' es Hansel denn aushalten bei dem Herrn Meister und der Frau Meisterin, obwohl es spitzigkalt war in seiner Kammer und in seinem Magen auch; denn Warmes, wenn's auch nur ein Süpplein gewesen wäre, bekam der Arme alle heilige Zeit einmal zu kosten. Warum war er auch grob zu der Frau Meisterin!
Wie es nun Frühling wurde, heizte ihm zwar die Sonne seine Kammer gar behaglich ein, und der Kirschbaum, der gerade davor stand, hing voll schneeweißer Blüten, aber mit der Frau Meisterin ihrer Kost sah's nicht besser aus. Das kam daher, daß ihr Mann statt des Pfriemen die Schaufel in die Hand nahm und auf sein bischen Acker ging, um die Saat zu bestellen. Denn die Dorfleute stellten Schuh und Stiefel in den Kasten und gingen mit splitternackten Füßen umher in dem lieben Sonnenschein. Wer aber keine Schuh' trägt, zerreißt keine, und an dem hat der Schuster sein Recht verloren und des Schusters Hansel auch. Die Frau Meisterin aber dachte: Wozu füttern wir den Faulenzer? – Denn vom Ackern und Säen verstand er nichts, weil er aus der Stadt war, und wollte auch nichts anders sein, als ein ganzer Schusterjunge; das hatte ja auch der Vormund gewollt. Er lief also den ganzen Tag mit der Harmonica im Walde herum, suchte sich Beeren, so viel er fand, und wurde leidlich satt. Zuweilen saß er auch daheim und las. Nun war freilich nur ein einzig Buch im Hause, eine alte vergriffne Bibel nämlich; die fing er von vorn an, und die Bilder gefielen ihm über die Maßen, aber die Geschichten nicht minder.
Eines Tages aber, wie er über dem zweiten Buch Mose war, wurde er plötzlich ganz tiefsinnig und saß eine ganze Stunde und dachte nach. Dann klappte er das Buch zu, packte seine Siebensachen zusammen in ein Bündel und trat marschfertig in die Küche zur Frau Meisterin. Die machte ein verwundertes Gesicht, wie sie hörte, es gefalle dem Hansel nimmer bei ihr und er wolle fort und nach den Fleischtöpfen Aegypti wandern. Denn, sagte er, das ewige Beeren-Essen bringt einen ganz von Kräften, Frau Meisterin, und Ihre Brotrinden und Kartoffeln haben mich auch nicht fett gemacht, daß Sie's nur weiß! Adjes also, und empfehl' Sie mich dem Meister. – Damit machte er linksum Kehrt und stapelte was er nur konnte zum Hause hinaus und das Dorf hinab, daß die Hühner und Gänse kaum Zeit genug hatten, ihm Platz zu machen. Denn er hatte Angst, daß der Meister ihn einholen möchte und seine Glieder so zurichten, daß damit nichts anzufangen wäre, am wenigsten eine Reise nach den Fleischtöpfen Aegypti.
Der Meister kam aber nicht, sondern ein Dirnlein über dem andern. Denn wie sie den Hansel reisefertig vorbeimarschieren sahen, hielten sie's nicht aus drinnen, ließen alles stehn und liegen und liefen ihm nach; denn sie wollten ihn gar zu gern noch einmal spielen hören. Kommet nur mit bis ins Wäldchen, sagte er; hier darf ich nicht, sonst hört mich der Meister; denn er soll's nicht wissen, daß ich nach den Fleischtöpfen Aegypti wandere. Jesus! riefen die Mägdlein, so grausam weit! Der Hansel aber machte eine wichtige Miene und sagte: Am Ende noch weiter, in die Türkei oder nach den Buschmännern. Die Welt soll schon noch von mir zu hören kriegen! – Da kicherten die Mädchen unter einander und flüsterten: Der Hansel ist irre; er wird Tollbeeren geschluckt haben!
Wie sie nun im Wäldchen waren, lehnte er an einen Baum, nahm die Harmonica aufs Knie und fingerte ihnen einen Hopser vor, daß sie's Tanzen nicht lassen konnten, sondern einander umfaßten und immer um die Bäume herum durch Dick und Dünn zu springen anhoben. Als sie endlich alle müde waren, kamen sie gelaufen und baten ihn noch um was Schmachtendes. Da spielte er das schöne Lied: »Du du liegst mir im Herzen«, und das war so sehnsüchtig und jeder Ton zitterte fünf Minuten lang, daß die Vögel in den Büschen ganz still wurden und schluchzten und seufzten. Die Mägdlein aber waren noch mehr gerührt, gaben dem Musikanten jede einen schönen Kuß und gingen mit den Schürzen vorm Gesicht heim. Hansel aber brach einen blühenden Zweig ab, steckte ihn auf die Mütze zur Erinnerung und sang und spielte im Weitergehen:
Zu Halle an der Saale
Da hat mir's nit gefalle,
Weil da der arme Handwerksbursch
Gar zu viel leiden muß
Von wegen den Herrn Studiosibus.
Nachher jedoch ließ er das Singen, und pfiff lieber; denn er wollte ein ganzer Schusterjunge sein, und die pfeifen bekanntlich.
Wie er nun aus dem Wäldchen wieder herauskam auf die große Landstraße, stand er auf einmal still und hörte mitten in einer Melodie auf. Zum Kuckuk! dachte er, bin ich doch ein rechter Holzleisten! Laufe da weg und weiß den Weg nicht. Geht's nun rechts oder links? Nach einigem Besinnen ging er doch links; denn rechts mußte man nach der Stadt gelangen, wo der Vormund wohnte, und da wäre er mit dem Wandern schön angekommen. Also wandte er sich links, spielte das Lied gerade da weiter, wo er aufgehört hatte, und die Grillen und Frösche zu beiden Seiten des Weges sangen zweite und dritte Stimme, daß den Lerchen droben vor dem Concert angst und bange wurde.
Da begegnete Hansel einem alten Mann mit schlohweißem Kopf, der wie unsinnig am Wege hin- und hersprang, als ob er Jagd auf etwas am Boden machte. Als er den Buben daherkommen hörte, richtete er sich auf und trocknete sich die Stirn. Grüß Gott, alter Vater! sagte der Hansel. Was treibt Ihr da? Ihr springt ja wie ein Milchlämmchen. – Ach du lieber Heiland! erwiederte der Alte, muß wohl, muß wohl! Ich fange Grillen, lieber Sohn; das ist ein schlimmes Geschäft für so einen alten Rücken. Sieh, der Topf da ist erst halb voll, und ich bin schon geschlagene vier Stunden fleißig gewesen. – Was wollt Ihr aber damit? fragte Hansel weiter; 's ist doch eine kuriose Arbeit. – Noth bricht Eisen, mein Sohn, sagte der Alte. Ich bin mein Lebtag Kegeljunge gewesen drüben in Hahndorf, und habe eine Frau ernährt und sieben ungezogene Kinder. Nun haben sie mich abgesetzt, weil mir die Hände zittern und ich die Kegel schief gestellt habe, und da sitz' ich nun, und meine sieben Würmer haben kein Brot. Was soll ich anders thun, als Grillen fangen? – Wenn's so ist, sagte der Hansel, da wißt Ihr mich wohl auch nicht nach den Fleischtöpfen Aegypti zu weisen, alter Vater? – Ich meine, Ihr ginget am besten direct nach Rom; da könnt Ihr ja gar nicht fehlen, und von da laßt Euch übersetzen, und fragt Euch weiter. Die Fleischtöpfe müssen so in der Gegend der Pyramiden stehen, es wird's Euch jedes Kind sagen. – Dank' schön, sagte Hansel, und behüt' Euch Gott, und wenn ich wiederkommen sollt', bring' ich Euch und Euren sieben Würmern einen Fleischtopf mit, wenn sie ihn durchlassen an der Grenze. Adjes, Vater! – Gute Reise, mein Sohn!
Zweites Kapitel.
Wie Hansel gar lustige Reisegesellschaft findet.