Название: Wachtmeister Studer
Автор: Friedrich C. Glauser
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
Серия: Gesammelte Werke bei Null Papier
isbn: 9783962816315
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»Trinkt Studer«, sagte Äschbacher und schob das frischgefüllte Glas über den Tisch. Und der Wachtmeister leerte es gehorsam.
Es war doch eine Schweinerei, träumte er weiter. Da hatte man ein Gehalt von ein paar hundert Franken im Monat, es langte wohl, es langte ganz gut. Und für das lumpige Gehalt war man verpflichtet, den Kanalräumer zu spielen. Ärger als das. Man musste schnüffeln, anderer Leute Missetaten aufdecken, man musste sich überall hineinmischen, keinen Augenblick hatte man Ruhe, nicht einmal pflegen konnte man sich, wenn man krank war.
Äschbacher sog hocherfreut an seinem Stumpen. Seine kleinen Äuglein glänzten boshaft, schadenfroh.
Und da tauchte in Studer plötzlich wieder der Traum jener Nacht auf. Der riesige Daumenabdruck auf der Tafel, der Lehrer Schwomm im weißen Kittel und Äschbacher, der den Arm um Sonja geschlungen hatte und ihn, Studer, auslachte.
Später hätte Studer nie sagen können, ob es wirklich die Erinnerung an diesen Traum war, die ihm plötzlich neuen Mut gab. Oder ob ihm das höhnische Grinsen Äschbachers auf die Nerven fiel. Genug, er raffte sich auf, legte die Unterarme auf seine gespreizten Schenkel, faltete die Hände und blickte zu Boden. Er sprach langsam, denn er fühlte, dass seine Zunge große Lust zeigte, eigene Wege zu gehen.
»Gut«, sagte er, »Ihr habt recht. Ich werde mich blamieren. Aber das steht nicht in Frage, Äschbacher. Ich tue meine Arbeit, die Arbeit, für die ich bezahlt bin. Ich bin dafür bezahlt, Untersuchungen zu führen. Man hat mich darauf vereidigt, dass ich die Wahrheit sage. Ich weiß, Ihr werdet lachen, Äschbacher. Wahrheit! Ich bin auch nicht von heute. Ich weiß auch ganz genau, dass die Wahrheit, die ich finde, nicht die wirkliche Wahrheit ist. Aber ich kenne sehr gut die Lüge. Wenn ich die Sache aufgebe und der Schlumpf wird frei, und das Gericht legt den Fall zu den Akten, wie man sagt, dann ist alles ganz gut und schön. Und schließlich bin ich kein Richter und Ihr müsst mit Eurer Tat allein fertigwerden.« Immer langsamer sprach Studer. Er sah nicht auf, er wollte den Blicken Äschbachers nicht begegnen, verzweifelt starrte er auf ein kleines Muster im Teppich: ein schwarzes Rechteck, das von roten Fäden durchzogen war und das ihn, weiß der Himmel warum, an Witschis Hinterkopf erinnerte. Genauer: an die spärlichen Haare, durch die sich Blutfäden zogen.
»Allein fertigwerden, das ist es. Und ich weiß nicht, ob Ihr das könnt. Ihr spielt gerne, Äschbacher, spielt mit Menschen, spielt an der Börse, spielt mit Politik. Ich habe manches über Euch gehört. Ich würd’ Euch gern laufen lassen… Aber da ist die Geschichte mit der Sonja. Lueget, Äschbacher, die Sonja! Das Meitschi hat’s nicht schön gehabt. Ihr habt es einmal auf die Knie genommen, der Vater ist dann dazu gekommen… Hat der Wendelin Witschi damals wirklich unrecht gehabt mit seiner Behauptung? Nein, schweigt jetzt. Ihr könnt nachher reden. Ihr müsst nicht meinen, ich sei ein Stündeler. Ich versteh auch Spaß, Äschbacher; aber irgendwo muss der Spaß aufhören. Ihr habt vieles auf dem Gewissen, nicht nur den Wendelin Witschi. Und ich möcht nicht, dass Ihr auch die Sonja auf dem Gewissen habt. Versteht Ihr?«
Die Wolken draußen sanken immer tiefer, es wurde düster im Zimmer. Äschbacher saß vergraben in seinem Stuhl, Studer konnte nur seine Knie sehen. Ein heiseres Krächzen war hörbar, man wusste nicht, war es ein Räuspern oder ein unterdrücktes Lachen.
»Was er sonst noch von Euch gewusst hat, der Wendelin Witschi, hab’ ich nicht erfahren…« Das Reden ging jetzt leichter. Aber immer noch sprach Studer langsam, und was das Merkwürdigste war, es war wie eine Spaltung seiner Persönlichkeit: er sah das Zimmer von oben, sah sich selbst, nach vorne gebeugt, mit gefalteten Händen, im Stuhle sitzen und dachte dabei: »Studer, du siehst sicher aus, wie ein Pfarrer, wenn er eine Kondolenzvisite macht.« Aber auch das verging wieder, und er sah plötzlich das Zimmer des Untersuchungsrichters und den Schlumpf, der seinen Kopf auf den Schoß des Mädchens gelegt hatte.
»Wenn’s darauf ankommt«, sagte Studer, »wird auch das noch zu ermitteln sein. Ich habe mir sagen lassen, dass Ihr mit Mündelgeldern spekuliert habt, Äschbacher; Ihr seid doch hier in der Vormundschaftsbehörde… und dass Ihr das Geld wieder zurückgezahlt habt, aber, dass der Witschi davon gewusst hat. Er ist doch mit Euch in der Fürsorgekommission gesessen? Oder? Ihr braucht nicht zu antworten. Ich erzähl’ Euch das nur, damit Ihr den Studer nicht für einen Löli haltet. Der Wachtmeister Studer weiß auch einiges…«
Schweigen. Studer stand auf, aber immer noch ohne auf Äschbacher zu schauen, griff nach einer Flasche, schenkte sich ein, leerte das scharfe Zeug, setzte sich wieder und zog eine Brissago aus dem Etui. Merkwürdig, aber sie schmeckte. Sein Herz machte zwar noch immer Seitensprünge; – aber, dachte er, heut’ nachmittag werd’ ich ins Spital fahren. Dort hat man Ruhe.
»Soll ich Euch erzählen, wie die ganze Geschichte gegangen ist, Äschbacher? Ihr braucht gar nicht zu sprechen.
Ihr braucht weder ja noch nein zu sagen. Ich erzähl’ sie so mehr für mich.«
Und Studer faltete wieder die Hände und starrte auf das Muster im Teppich, das ein schwarzes Rechteck darstellte mit roten Fäden darin.
»Eure Base hat Euch erzählt, was der Witschi vorhatte. Von ihr habt Ihr auch erfahren, wann der Witschi seinen Plan ausführen wollte. Aber Ihr trautet dem Witschi nicht. Ihr wusstet, dass er feig war – mein Gott, ein Erpresser ist immer feig – und Ihr dachtet, dass er es nicht einmal wagen würde, sich selbst zu verwunden. Darum seid Ihr mit Eurem Auto an jenen Platz gefahren. Und den Platz habt Ihr ja ganz genau gewusst. Der Augsburger hat damals schon bei Euch gewohnt. Warum habt Ihr den Mann bei Euch aufgenommen? Waret Ihr etwa eifersüchtig auf den Ellenberger? Wolltet Ihr auch Euren entlassenen Sträfling haben? Nun, das ist ja gleich. Ihr seid also mit Eurem Auto zu jenem Platz gefahren und habt darauf gerechnet, dass der Armin sich verdrücken würde, wenn er Euer Auto höre. Das hat er gemacht. Dann habt Ihr schön Zeit gehabt, die Brieftasche des Witschi zu durchsuchen. Das Dokument, mit dem er Euch erpresst hat, war wohl in der Brieftasche? Und dann seid Ihr weiter in den Wald gegangen. Dem Witschi konnte man leicht folgen, er hat wohl genug Lärm gemacht. СКАЧАТЬ