Название: Das adelige Nest
Автор: Иван Тургенев
Издательство: Public Domain
Жанр: Русская классика
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So fand ihn Iwan Petrowitsch und wandte, ohne Zeit zu verlieren, sein System auf ihn an. – »Vor Allem will ich aus ihm einen Menschen machen, un homme,« sagte er zu Glaphira Petrowna, »und nicht allein einen Menschen, sondern auch einen Spartaner.« Um sein Ziel zu erreichen, begann Iwan Petrowitsch damit, daß er seinem Sohne ein schottisches Costume gab; der zwölfjährige Knabe ging mit nackten Waden und einer Hahnenfeder an seiner Mütze herum, die Schwedin ersetzte ein junger Schweizer, der alle Feinheiten der Gymnastik kannte; die Musik wurde als eine des Mannes unwürdige Kunst auf ewig verbannt; mit Naturgeschichte, allgemeinem Rechte, Mathematik, Tischlerei, nach- dem Rathe Jean Jacques Rousseau’s, und mit Heraldik, zur Stärkung der ritterlichen Gefühle, – mußte sich der zukünftige »Mensch« beschäftigen; man weckte ihn um vier Uhr Morgens, begoß ihn sofort mit eiskaltem Wasser, und er mußte an einem Stricke um eine hohe Säule herum laufen; er aß nur einmal am Tage, bekam ein einziges Gericht, ritt, schoß mit der Armbrust; bei jeder passenden Gelegenheit mußte er sich, nach dem Beispiele seines Vaters, in der Kraft des Willens üben, und jeden Abend mußte er sich in einem besonderen Hefte Rechenschaft über den vergangenen Tag und über seine Eindrücke geben; Iwan Petrowitsch seiner Seits schrieb ihm seine Verhaltungsregeln auf Französisch und nannte ihn in denselben mon fils und sagte zu ihm vous. Auf Russisch sprach Fedia zu seinem Vater, vous; durfte sich aber nicht in seiner Gegenwart setzen. Das »System« machte den Knaben ganz irre, brachte allerhand tolles Zeug in seinen Kopf und drückte denselben zusammen; auf seine Gesundheit dagegen wirkte die neue Lebensart ganz segensreich, Anfangs freilich bekam er das hitzige Fieber, bald aber wurde er wieder gesund und ward kräftig und rüstig. Der Vater war stolz auf ihn und nannte ihn in seiner sonderbaren Sprache: Sohn der Natur, meiner Schöpfung. Als Fedia sechzehn Jahre alt war, hielt es Iwan Petrowitsch für seine Pflicht, ihn sobald als möglich Verachtung des weiblichen Geschlechtes einzuflößen, und der junge Spartaner mit zaghaftem Herzen, mit dem ersten Flaum auf der Lippe, voll von Saft, Kraft und Blut, suchte schon gleichgültig, kalt und grob zu scheinen.
Inzwischen schwand die Zeit dahin, Iwan Petrowitsch verbrachte die größte Zeit des Jahres in Lawriky, so hieß das größte seiner Rittergüter, das zugleich auch das Stammgut seiner Familie war. Im Winter reiste er nach Moskau allein, wohnte im Gasthause, besuchte fleißig den Club, spielte den Redner, erklärte seine Pläne in den Salons, spielte mehr als je den Anglomanem den Difficilen, den Staatsmann. Doch da brach das Jahr 1825 an; nahe Bekannte und Freunde von Iwan Petrowitsch mußten schwere Prüfungen ertragen, Iwan Petrowitsch zog sich eilig in sein Dorf zurück und verschloß sich in seinem Hause. Es schwand noch ein Jahr dahin und die Gesundheit Iwan Petrowitsch’s brach plötzlich zusammen, er wurde schwach, er siechte hin. Der Freigeist besuchte jetzt fleißig die Kirchen, ließ Messen lesen; der Europäer nahm russische Schwitzbäder, aß um zwei Uhr zu Mittag, legte sich um neun Uhr schlafen, schlummerte beim Geschwätz eines alten Haushofmeisters ein; der Staatsmann verbrannte alle seine Pläne, seine Correspondenz, zitterte vor dem Gouverneur, schwänzelte vor dem Isprawnik; der Mann mit eisernem Willen schluchzte und klagte, wenn er ein kleines Geschwür bekam, wenn man ihm einen Teller kalte Sappe brachte. Wieder ward Glaphira Petrowna die Alleinherrscherin im Hause; wieder gingen die Verwalter, die Schulzen und einfache Bauern auf der Hintertreppe zum »alten Geizhals«, wie sie das Gesinde nannte.
Die Veränderung Iwan Petrowitsch’s setzte seinen Sohn höchlichst in Erstaunen, er war neunzehn Jahre, begann zu denken und die Last der auf ihm ruhenden Hand abzuschütteln; schon früher hatte er den Widerspruch zwischen den Thaten und den Worten seines Vaters, zwischen seinen freisinnigen Ideen und zwischen seinem engherzigen, kleinlichen Despotismus bemerkt; der alte Egoist sprach sich selbst offen aus. Der junge Lawretzky wollte eben nach Moskau reisen, um sich zur Universität vorzubereiten, als sich ein nettes, unerwartetes Unglück über dem Haupte Iwan Petrowitsch’s entlud: er erblindete, erblindete hoffnungslos und an einem einzigen Tage.
Der Geschicklichkeit der russischen Aerzte nicht trauend, suchte er um die Erlaubniß nach, in’s Ausland reisen zu dürfen; dies wurde ihm verweigert. Da nahm er seinen Sohn mit sich und wanderte drei Jahre in ganz Rußland von einem Arzte zum andern, fortwährend aus einer Stadt in die andere reisend und die Aerzte, den Sohn und seine Bedienung durch seine Kleinmüthigkeit und seine Ungeduld zur Verzweiflung bringend.
Vollkommen kraftlos, als stets weinendes, capriciöses Kind, kehrte er nach Lawriky zurück; für seine Umgebung begannen schwere Tage, Alle, die ihn umgaben, hatten viel von ihm zu leiden. Er war nur ruhig, wenn er zu Mittag aß; niemals hatte er so viel und mit solcher Gier gegessen; die übrige Zeit war er sich selbst und Allen zur Last. Er betete, murrte über die Vorsehung, schimpfte sich selbst, die Politik, sein System, schimpfte Alles, womit er geprahlt hatte und worauf er stolz gewesen war, Alles was er früher seinem Sohne als Beispiel zeigte; er wiederholte: er glaube an Nichts – und war den nächsten Augenblick in Gebet versunken; konnte keinen Augenblick allein bleiben und forderte von seiner Umgebung, daß sie beständig, Tag und Nacht, neben seinem Sessel sitzen und ihn mit Erzählungen, die er fortwährend durch die Ausrufungen: »Ihr lügt Alles, welch, ein Unsinn!« unterbrach, zerstreuen sollte.
Besonders hatte Glaphira Petrowna von ihm zu leiden; er konnte keinen Augenblick ohne sie sein, und bis zum letzten Augenblicke willfahrtete sie allen Launen des Kranken, obgleich sie zuweilen sich nicht entschloß, ihm sofort zu antworten, um nicht die sie erdrückende Wuth zu verrathen. So vegetierte er zwei Jahre hindurch und starb in den ersten Tagen des Mais, sich auf dem Balkon sonnend. »Glaphira, Glaphira! gieb mir Boullion, Du alte He . . . lispelte seine erstarrende Zunge, und schwieg ohne das letzte Wort aussprechen zu können, auf ewig. Glaphira Petrowna, welche eben eine Tasse Boullion aus den Händen des Haushofmeisters gerissen hatte, blieb stehen, blickte ihrem Bruder in’s Gesicht, schlug langsam ein großes Kreuz und entfernte sich schweigend. Der gleichfalls anwesende Sohn sprach ebenfalls kein Wort, er lehnte sich auf das Geländer des Balkons’s und blickte lange hinab in den Garten, der voll von Wohlgeruch und jungem Grün war, und in den Strahlen der goldenen Frühlingssonne glühte. Er war jetzt dreiundzwanzig Jahre; wie schrecklich, wie unbemerkt waren diese dreiundzwanzig Jahre entschwunden. Ihm erschloß sich jetzt das Leben.
Zwölftes Kapitel
Nach dem Begräbniß seines Vaters vertraute der junge Lawretzky die Verwaltung seiner Güter derselben unvermeidlichen Glaphira Petrowna an, und reiste nach Moskau, wohin ihn ein dunkles Gefühl, unwiderstehlich trieb. Er fühlte die Mängel seiner Erziehung und hatte die Absicht, das Verlorene nach Möglichkeit wieder gut zu machen. Die letzten fünf Jahre hatte er viel gelesen und so Manches gesehen, viele Gedanken hatten seinen Kopf durchkreuzt, so mancher Professor hätte ihn um viele seiner Kenntnisse beneidet, dagegen entging ihm aber auch so Manches, was jedem Gymnasiasten längst bekannt ist.
Lawretzky fühlte, daß er frei sei, fühlte sich aber auch im Stillen als Sonderling.
Einen schlechten Spaß hatte der Angloman seinem Sohne gespielt; die eigenwillige Erziehung hatte ihre Früchte getragen. Lange hatte er sich vor seinem Vater gebeugt; und als er ihn endlich durchschaut hatte, war das Unheil schon geschehen, die Gewohnheiten hatten Wurzel gefaßt. Er verstand es nicht, mit Leuten umzugehen; dreiundzwanzig Jahre alt, im beschämten Herzen nach Liebe dürstend, hatte er bisher nicht gewagt, einem Weibe in’s Auge zu schauen. Bei seinem hellen und gesunden, obgleich etwas schwerfälligen Verstande, bei seinem Hange zum Eigensinn, zur Selbstbetrachtung und Trägheit hätte er früh in den Strudel des Lebens gerathen sollen; man hatte ihn aber in einer erkünstelten Einsamkeit gehalten. Jetzt war der Zauberkreis zerrissen und doch blieb er СКАЧАТЬ