Название: Helene
Автор: Иван Тургенев
Издательство: Public Domain
Жанр: Русская классика
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– Wo hast Du eine solche Abscheulichkeit hergenommen? fragte sie ihre Tochter.
Helene blickte ihre Mutter blos an und antwortete nichts darauf; sie fühlte, sie könne sich eher in Stücke reißen lassen, als daß sie ihr Geheimniß verrieth, und wieder wurde ihr schauerlich und angenehm ums Herz. Die Bekanntschaft mit Katja dauerte jedoch nicht lange; das arme Mädchen erkrankte an einem hitzigen Fieber und starb wenige Tage darauf.
Als Helene den Tod Katja’s erfuhr, war sie lange Zeit traurig und konnte die Nächte nicht schlafen. Die letzten Worte des armen Mädchens klangen fortwährend in ihren Ohren und ihr däuchte sogar, es rufe sie Jemand.
Und die Jahre kamen und gingen, rasch und unmerkbar. Wie Wasser unter einer Schneedecke floß Helene’s Jugendzeit, äußerlich unthätig, doch unter innerem Kampf und Sturm dahin. Gespielinnen hatte sie nicht; von allen jungen Mädchen, die das Haus der Stachow’s besuchten, hatte sie sich mit keinem befreunden können. Elterliche Macht hatte nie aus Helene gelastet, aber seit ihrem sechzehnten Jahre war sie fast ganz unabhängig und führte ein ihr eigenartiges, einsames Leben. In Einsamkeit erglühte und erkaltete ihre Seele, wie ein Vogel schlug sie gegen ihren Käfig, und doch war kein Käfig da; es that ihr Niemand Zwang an, es stand ihr Niemand im Wege, und doch suchte sie sich frei zu machen und quälte sich müde. Zuweilen begriff sie sich selbst nicht, empfand sogar Furcht vor sich selbst. Alles um sie herum kam ihr bald abgeschmackt, bald unbegreiflich vor. Was heißt Leben ohne Liebe? und doch ist Niemand da, den man lieben könnte! dachte sie, und ihr wurde Angst vor diesen Gedanken, vor diesen Empfindungen. Als sie achtzehn Jahre alt war, wäre sie beinahe an einem bösartigen Fieber gestorben; ihr von Natur gesunder und kräftiger Organismus aufs Tiefste erschüttert, konnte sich lange nicht erholen; endlich verschwanden die letzten Spuren der Krankheit, doch Helene Nikolajewna’s Vater sprach immer noch, nicht ohne Erbitterung, von ihren Nerven. Zuweilen wollte ihr’s dünken, als trage sie Verlangen nach Etwas, wonach Niemandem in Rußland verlange, woran überhaupt Niemand denke. Dann war sie wieder ruhig, lachte sogar über sich selbst, lebte sorglos in den Tag hinein, bis etwas Heftiges, Namenloses, das sie nicht zu bewältigen wußte, in ihrem Innern zu kochen begann und sich mit Ungestüm Luft zu machen strebte. Das Gewitter zog weiter, die Flügel, die sich nicht zu erheben vermocht hatten, sanken matt herab; doch gingen diese Aufwallungen nicht spurlos vorüber. Wie sehr sie sich auch bestrebte, nichts von dem merken zu lassen, was in ihr vorging, so äußerte sich doch die Pein der aufgeregten Seele in ihrer scheinbaren Ruhe, und ihre Verwandten hatten oft das volle Recht, die Achseln zu zucken, sich zu verwundern und ihre »Sonderbarkeiten« unbegreiflich zu finden.
An jenem Tage, mit welchem unsere Erzählung beginnt, blieb Helene länger als gewöhnlich am Fenster sitzen. Sie dachte viel an Berßenjew und an das Gespräch mit ihm. Er gefiel ihr; sie glaubte an die Wärme seiner Gefühle, an die Lauterkeit seiner Absichten. Er hatte noch nie mit ihr so gesprochen, wie an jenem Abende. Sie erinnerte sich des Ausdruckes seiner bescheidenen Augen, seines Lächelns . . . und lächelte selbst und verfiel in Gedanken, doch war nicht mehr er der Gegenstand derselben. Durch das offene Fenster blickte sie hinaus in die Nacht; blickte lange auf den dunklen, niedrig hängenden Himmel, dann stand sie auf, warf mit einer Bewegung des Kopfes das Haar aus dem Gesicht zurück und breitete darauf nach ihm, nach diesem Himmel, ihre entblößten, gekühlten Arme aus; dann ließ sie sie sinken, fiel vor ihr Bett auf die Knie, drückte ihr Gesicht in das Kissen und brach, trotz aller Anstrengung, das sie überwältigende Gefühl zu unterdrücken, in ursachslose, doch ahnungsvolle, heiße Thränen aus.
VII
Am folgenden Tage, gegen zwölf Uhr, fuhr Berßenjew mit einem Retourwagen nach Moskau. Er hatte Geld auf der Post zu heben, wollte sich einige Bücher kaufen und bei dieser Gelegenheit Inßarow besuchen, mit dem er Einiges zu besprechen hatte. Während der letzten Unterhaltung mit Schubin war Berßenjew der Gedanke gekommen, Inßarow zu sich aufs Land einzuladen. Er fand denselben jedoch nicht sogleich; Inßarow war aus seiner früheren Wohnung in eine andere übergezogen, zu welcher der Zutritt nicht leicht war; die Wohnung befand sich auf dem hinteren Hofe eines häßlichen, steinernen Hauses, das in petersburger Geschmack, zwischen dem Arbat und der Powarskaja erbaut war. Vergeblich schleppte sich Berßenjew von einer der schmutzigen Aufgangstreppen zur anderen, vergeblich war sein Rufen nach dem Hausknecht oder »sonst Jemandem.« Schon die Hausknechte Petersburgs entziehen sich nach Möglichkeit den Blicken der Fremden, in Moskau erst vollends; Niemand antwortete auf Berßenjew‘s Rufen; ein einziger neugieriger Schneider, in Hemdärmeln und Weste, ein Gebind grauen Zwirns um den Hals, streckte schweigend sein fahles, unrasirtes Gesicht mit blau geschlagenem Auge zum hohen Luftloch hinaus; eine schwarze Ziege ohne Hörner, die auf einem Misthaufen stand, drehte mit kläglichem Gemecker den Kopf und setzte mit vermehrter Hast ihr Wiederkäuen fort. Endlich erbarmte sich eine Frau in alter Saloppe und abgetretenen Stiefeln Berßenjew‘s und wies ihm die Wohnung Inßarow’s. Berßenjew traf ihn zu Hause. Er bewohnte ein Zimmer bei jenem Schneider, der so gleichgültig aus dem Luftloche Berßenjew‘s Verlegenheit angesehen hatte . . . das Zimmer war groß, fast leer, mit dunkelgrünen Wänden, drei viereckigen Fenstern, einem kleinen Bett in der einen, einem kleinen ledernen Divan in einer anderen Ecke und einem großen leeren Käfige hart an der Decke, den vor Zeiten eine Nachtigall bewohnt hatte. Inßarow trat dem Gaste an der Schwelle entgegen; aber nicht mit einem »Ah« Sie sind es!« oder »Ach Du mein Gott! durch welchen Zufall?« er sagte ihm nicht einmal СКАЧАТЬ