Der Prozeß Lord Mohun’s
Von allen Schauspielern der damaligen englischen Bühne war Wilhelm Mountford der liebenswürdigste. Er besaß alle physischen Eigenschaften für seinen Beruf: eine edle Gestalt, ein hübsches Gesicht und ein klangvolles Organ. Es war schwer zu sagen, ob er besser in Heldenrollen oder in komischen Rollen reussirte. Er war anerkanntermaßen der beste Alexander und der beste Sir Courtly Nice, der je auf den Brettern gestanden. Die Königin Marie, deren Kenntnisse sehr oberflächlich waren, die aber von Natur einen treffenden Blick für alles Ausgezeichnete in der Kunst besaß, bewunderte ihn in hohem Grade. Er war überdies nicht nur Schauspieler, sondern auch dramatischer Dichter und hat uns ein Lustspiel hinterlassen, das nicht zu verachten ist.74
Die beliebteste Schauspielerin jener Zeit war Anna Bracegirdle. Es gab wohl beim Theater manche Frau von tadelloserer Schönheit, aber keine, deren Gesichtszüge und Haltung die Sinne und die Herzen der Männer so zu bezaubern vermocht hätten. Der Anblick ihrer glänzend schwarzen Augen und ihrer frischen bräunlichen Wangen reichte hin, auch das unruhigste Publikum in heitere Laune zu versetzen. Man sagte von ihr, daß sie in einem gefüllten Hause eben so viele Anbeter hatte als männliche Zuschauer anwesend waren. Doch kein auch noch so reicher oder noch so vornehmer Anbeter hatte sie dahin zu bringen vermocht, seine Geliebte zu werden. Wer die Rollen, die sie zu spielen pflegte, und die Epiloge, deren Vortrag ihr specielles Amt war, näher kennt, wird ihr so leicht kein ungewöhnliches Maß von Tugend oder Zartgefühl zutrauen. Sie scheint eine kalte, eitle und eigennützige Kokette gewesen zu sein, die sich vollkommen bewußt war, wie sehr die Macht ihrer Reize durch den Ruf einer ihr keine Ueberwindung kostenden Unerbittlichkeit erhöht wurde, und die es wagen konnte, mit einer Reihenfolge von Anbetern zu spielen, in der begründeten Ueberzeugung, daß keine Flamme, die sie in ihnen entzündete, ihr eignes Eis aufthauen werde.75 Zu Denen, die sie mit wahnsinniger Begierde verfolgten, gehörte ein lasterhafter Hauptmann von der Armee, Namens Hill. Mit Hill war ein junger Edelmann, Lord Karl Mohun, dessen ganzes Leben nichts als eine lange Schwelgerei und Rauferei war, in einem Bunde der Ausschweifung und Gewaltthätigkeit verbrüdert. Als Hill sah, daß die schöne Brünette unbesiegbar war, setzte er es sich in den Kopf, daß er um eines begünstigteren Nebenbuhlers willen verschmäht werde und daß dieser Nebenbuhler der glänzende Mountford sei. Der eifersüchtige Liebhaber gelobte in einem Wirthshause bei der Flasche, daß er den Schurken erstechen werde. „Und ich,” sagte Mohun, „werde meinem Freunde beistehen.” Aus dem Wirthshause ging das Paar, begleitet von einigen Soldaten, deren Dienste Hill erkauft hatte, nach Drury Lane, wo die Dame wohnte. Hier legten sie sich eine Weile auf die Lauer. Sobald sie auf der Straße erschien, wurde sie ergriffen und zu einem Wagen geschleppt. Sie rief um Hülfe, ihre Mutter umklammerte sie, die ganze Nachbarschaft gerieth in Aufruhr, und sie wurde befreit. Hill und Mohun gingen Rache gelobend fort. Noch zwei Stunden bramarbasirten sie mit dem Degen in der Hand in den Straßen bei Mountford’s Wohnung umher. Die Wache forderte sie auf, ihre Waffen in die Scheide zu stecken. Als aber der junge Lord sagte, daß er ein Peer sei, und die Constabler herausforderte ihn anzurühren, wenn sie den Muth dazu hätten, ließen sie ihn gehen. So stark war damals das Privilegium und so schwach das Gesetz. Es wurden Boten an Mountford gesandt, um ihn vor der ihm drohenden Gefahr zu warnen; unglücklicherweise aber trafen sie ihn nicht an. Er kam. Es entspann sich ein kurzer Wortwechsel zwischen ihm und Mohun, und während sie sich mit einander stritten, rannte Hill dem unglücklichen Schauspieler den Degen durch den Leib und entfloh.
Die große Jury von Middlesex, welche aus angesehenen Gentlemen bestand, fand Grund zu einer Anklage auf Mord gegen Hill und Mohun. Hill entkam; Mohun aber wurde ergriffen. Seine Mutter that einen Fußfall beim Könige; aber vergebens. „Es war eine schändliche That,” sagte Wilhelm, „ich werde sie dem Laufe des Gesetzes überlassen.” Der Prozeß kam vor den Gerichtshof des Lord High Steward zur Verhandlung, und da das Parlament gerade versammelt war, so hatte der Angeklagte den Vortheil, von der gesammten Pairie gerichtet zu werden. Es befand sich damals kein Jurist im Oberhause, und daher wurde es zum ersten Male seitdem Buckhurst das Urtel über Essex und Southampton gesprochen, nothwendig, daß ein Peer, der niemals die Rechtswissenschaft zu seinem speciellen Studium gemacht hatte, in diesem hohen Tribunale den Vorsitz führte. Caermarthen, der als Lord Präsident über dem ganzen Adel stand, wurde zum Lord High Steward ernannt. Es ist ein vollständiger Bericht über die Prozeßverhandlungen auf uns gekommen. Wer diesen aufmerksam liest und das Gutachten prüft, welches die Richter in Beantwortung einer von Nottingham aufgeworfenen Frage abgaben, und in welchem die durch den Zeugenbeweis festgestellten Thatsachen mit vollkommener Unparteilichkeit dargelegt sind, der kann nicht zweifeln, daß der Gefangene des Verbrechens des Mordes vollständig überwiesen war. Dies war die Ansicht des Königs, der den Verhandlungen beiwohnte, und dies war die fast einstimmige Ansicht des Publikums. Wäre die Untersuchung durch Holt und durch zwölf schlichte Männer vor der Old Bailey geführt worden, so kann es keinem Zweifel unterliegen, daß das Verdict auf Schuldig gelautet haben würde. Die Peers aber sprachen ihren angeklagten Standesgenossen mit neunundsechzig gegen vierzehn Stimmen frei. Ein vornehmer Edelmann war brutal und einfältig genug zu sagen: „Am Ende war der Mensch doch weiter nichts als ein Schauspieler, und die Schauspieler sind Gesindel.” Alle Zeitungen, alle Kaffeehausredner beklagten sich bitter, daß das Blut des Armen ungestraft durch den Großen vergossen werden dürfe. Witzlinge bemerkten, daß das einzige Schöne76 an dem Prozesse die auf den Gallerien versammelten Damen gewesen seien. Es existiren noch Briefe und Tagebücher, in denen Männer jeder politischen Farbe, Whigs, Tories und Eidverweigerer, die Parteilichkeit des Tribunals verdammen. So lange die Erinnerung an diesen Scandal beim Volke noch frisch war, ließ sich nicht erwarten, daß die Gemeinen bewogen werden könnten, angeklagten Peers irgend einen neuen Vortheil einzuräumen.77
Debatten über den indischen Handel
Inzwischen hatten die Gemeinen die Erwägung noch eines andren hochwichtigen Gegenstandes, der Zustände des Handels mit Indien, wieder aufgenommen. Sie hatten gegen den Schluß der vorigen Session den König ersucht, die alte Compagnie aufzulösen und eine neue Compagnie unter ihm zweckmäßig scheinenden Bedingungen zu errichten, und er hatte versprochen, ihr Gesuch in ernste Erwägung zu ziehen. Jetzt ließ er ihnen die Mittheilung zukommen, daß es nicht in seiner Macht stehe, ihrem Verlangen zu entsprechen. Er habe den Freibrief der alten Compagnie den Richtern vorgelegt und die Richter hätten erklärt, die alte Compagnie könne nach den Bestimmungen dieses Freibriefs nur nach vorhergegangener dreijähriger Kündigung aufgelöst werden und müsse daher noch drei Jahre das ausschließliche Privilegium zum Handel mit Ostindien behalten. Da es sein aufrichtiger Wunsch sei, setzte er hinzu, den Gemeinen zu willfahren, er dies aber in der von ihnen angegebenen Weise nicht könne, so habe er die alte Compagnie zu einem Vergleiche zu bewegen versucht; die Gesellschaft habe aber hartnäckig auf ihren äußersten Rechten bestanden und seine Versuche seien daher gescheitert.78
Diese Botschaft rührte die СКАЧАТЬ
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Grey’s Debates, Nov. 18. 1692; Commons’ Journals Nov. 18., Dec. 1. 1692.
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Siehe Cibbers’ Apologie und Mountford’s Greenwich Park.
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Siehe Cibbers’ Apology, Tom Brown’s Werke und überhaupt die Werke jedes Schöngeistes und Humoristen der Stadt.
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Das englische Wortspiel mit fair, was schön, aber auch unparteiisch, ehrlich bedeutet, läßt sich im Deutschen nicht wiedergeben. – D. Uebers.
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Meine Hauptquelle für diesen Prozeß ist die in Howell’s Sammlung enthaltene Darstellung desselben. Man sehe ferner Evelyn’s Diary unterm 4. Febr. 1692/93. Auch habe ich einige Umstände aus N. Luttrell’s Diary, aus einem Briefe an Sancroft, der sich unter den Tanner-Manuscripten in der Bodlejanischen Bibliothek befindet, und aus zwei Briefen von Brewer an Wharton, ebenfalls in der Bodlejanischen Bibliothek, entnommen.
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Commons’ Journals, Nov. 14. 1692.