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      »Meine Mutter hatte sich mit meinem Vater erst nach einem trauer- und tränenvollen Brautstande verbinden dürfen. Die Verwandten und viele Umstände waren gegen die Heirat gewesen, indessen hatte die Liebe, welche beide zueinander trugen, doch endlich obzusiegen gewußt, und die Ringe durften gewechselt werden. Die Folge jenes langen Hinderns und Zurückhaltens war nicht, wie es oft zu geschehen pflegt, ein rasches Erkalten nach gewonnenem Besitze, sondern eine äußerst zärtliche Ehe gewesen, so daß also in diesem Falle der Wunsch der Leidenschaft sein Recht darwies. Noch in jetzigen Tagen erzählen bejahrte Leute, welche meine Eltern in den ersten Jahren ihrer Ehe gekannt haben, von dem schönen Paare, das immerfort wie Liebhaber und Geliebte miteinander umgegangen sei. Die Zärtlichkeit meiner Mutter äußerte sich nun auch in einer Sorge um das Leben und die Gesundheit des Vaters, welche freilich oft in das Übertriebene ging. Blieb er von einem Spaziergange oder einem Besuche in der Nachbarschaft einige Minuten über die bestimmte Zeit aus, so schickte sie ängstlich nach ihm; war seine Farbe nicht so ganz munter, wie gewöhnlich, gleich fürchtete sie eine schwere Krankheit und wollte den Arzt herbeigeholt wissen, um alles hätte sie ihn nicht in der Nacht reisen lassen, und wo er ging oder stand, mußte er sich vor Zugluft in acht nehmen. Während sie für ihre eigene Person hart, unbekümmert und mutig blieb, sah sie in jeglichem, was meinen Vater umgab, Schreck und Gefährde.«

      »Ja, ja«, murmelte der Hofschulze vor sich hin, »die vornehmen Leute haben zu dergleichen Zeit. Bei uns Bauern kommt es auf einen Puff nicht an.«

      »Am inständigsten flehte ihn meine Mutter an, sich der Jagd zu enthalten. Sie hatte in den ersten Jahren ihrer Ehe einen verworrenen Traum, von dem sie sich beim Erwachen nur einer schönen grünen Uniform, worin sie meinen Vater gesehen, und daß ihn in derselben ein Unglück betroffen, zu erinnern wußte. Nun fielen ihr alle die Geschicke, die sich auf Jagden ereignen können; scheugewordene Pferde, unvermutet losgegangene Schüsse, Eber, die den Schützen anrennen, und was dergleichen mehr war, ein, und sie ließ sich daher von meinem Vater das Wort geben, nie diesem verhängnisvollen Genusse wieder frönen zu wollen. Er willfahrte ihr gern, denn er sah ihre Liebe zu ihm, und war überhaupt dem Weidwerke nicht leidenschaftlich ergeben, obschon er es, wie ihm sonst nach seinen Verhältnissen zukam, getrieben hatte.

      Mehrere Jahre der Ehe blieben kinderlos. Endlich fühlte meine Mutter ihren Schoß gesegnet. Sonst pflegt, wie man mir gesagt hat, in diesem Zustande die Neigung der Frau zu dem Manne abzunehmen, und sich der verborgen reifenden Frucht zuzuwenden, meine Mutter machte aber von dieser Regel eine Ausnahme. Ihre Liebe zu dem Vater wuchs noch, wenn sie eines Wachstums fähig war. Zugleich stellte sich die Erinnerung an den früher gehabten und seitdem fast vergessenen Traum wieder bei ihr mit Heftigkeit ein, dessen eigentliche Bilder ihr jedoch nicht deutlich werden wollten, obgleich sie stundenlang sich damit abmühte, sie hervorzurufen. Nochmals mußte mein Vater sein früheres Gelübde in ihre Hand wiederholen.

      Inzwischen rückte der Sankt Hubertustag heran, an welchem der Fürst, mit dem mein Vater eng zusammenhing, die jährliche große Jagd zu veranstalten pflegte. Es war in seiner Umgebung schon verwundernd viel davon geschwätzt worden, warum mein Vater sich in den Jahren zuvor unter allerhand Vorwänden von den Jagden zurückgehalten habe, endlich hatte man den wahren Grund aufgespürt, und der etwas rohe und leichtfertige Kreis mag sich trefflich über den gehorsamen Ehemann lustig gemacht haben. Der Fürst, derb und zufahrend, wie er war, nahm sich vor, den Gehorsam zu Falle zu bringen. Es war so Sitte, daß schon an dem Tage vor Hubertus ein lustiges Bankett auf dem Jagdschlosse gegeben wurde. Der Saal, in welchem es stattfand, war an den Wänden mit Hirschgeweihen, Armbrüsten und alten Jagdspießen ausgeziert. Da wurde denn, wie man bei uns zu sagen pflegt, tapfer gebürstet, d. h. gezecht, und wer an dem Bankette teilnahm, konnte sich natürlich von der Hubertusjagd nicht lossagen.

      Mein Vater würde also um keinen Preis einen Partner des Schmauses abgegeben haben, wenn ihn nicht der Fürst durch eine List nach dem Jagdschlosse zu ziehen gewußt hätte. Er ließ ihn nämlich unter dem Vorwande eines Geschäfts berufen und hielt ihn in langen Gesprächen hin, bis der Lakai meldete, daß serviert sei. Da wollte mein Vater fortreiten, aber ein zweiter Lakai brachte, ausgesandt, die Nachricht, der Reitknecht habe verstanden, der Herr bleibe zur Tafel, und sei bis auf den Abend mit den Pferden nach Hause geritten. »Nun, da es so ist, laß dir‘s gefallen und nimm hier vorlieb«, sagte der Fürst. »Du kannst doch nicht die zwei Stunden zu Fuß nach Hause gehen.« — Was sollte mein Vater beginnen? So unlieb es ihm war, er mußte bleiben. Bei Tafel, als es ziemlich lärmend zu werden anfing, warf einer die Frage hin, ob er morgen mit zur Jagd komme?

      Ohne seine Antwort abzuwarten, rief ein anderer: »Nein, er darf nicht, seine Frau hat es ihm streng verboten.« — »Ist es wahr«, fragte der Fürst laut über die ganze Tafel hin, »daß dir deine Frau befohlen hat, kein Gewehr mehr abzudrücken? Wenn dem so ist, und du gehorchst, so bist du ja ein wahrer Mustermann für Stadt und Land.« Ein schallendes Gelächter folgte diesen Worten, obgleich darin nicht viel Lachenswertes steckte.

      Mein Vater ärgerte sich, nahm sich aber zusammen und versetzte, daß dem nicht so sei; wie man denken könne, daß seine Frau ihm so etwas befehlen werde? und dergleichen mehr, was ein jeder in seiner Lage und in einer so wilden Gesellschaft entgegnet haben würde. — »Topp!« rief der Fürst, »das ist recht, so hilfst du uns also morgen Sankt Hubert Devotion erzeigen« — und als mein Vater sich mit einer Reise, mit Besuch, mit Unpäßlichkeit entschuldigen wollte — »Oho! die Frau Gemahlin steckt doch dahinter! Nun, der Sache müssen wir auf den Grund kommen! Erinnert mich das nächste Mal, wo ich mit der Gestrengen zusammentreffe, daß ich ernstlich danach bei ihr anfrage.«

      In diesem Augenblicke faßte mein Vater seinen Entschluß. Er hielt es für nötig, der Mutter einen ärgerlichen Auftritt, wie er von des Fürsten Derbheit immer zu besorgen stand, zu ersparen, und sagte daher: »Damit jedermänniglich sehe, daß an all dem Argwohn nichts sei, so werde ich die Jagd morgen mitmachen.« Ein Beifallsklatschen erscholl, unter Getöse wurde die Tafel aufgehoben; der Fürst rief mit etwas schwerer Zunge: »Bist du aber morgen nicht um sechs Uhr am Versammlungsplatze, so holen wir alle dich in corpore aus den Federn.« — Mein Vater nahm kurz und trocken seinen Urlaub, fuhr den lügnerischen Lakaien, der draußen im Vorgemache ihn verschmitzt lächelnd befragte, ob er nun die Pferde befehle? barsch an, und ging die Treppe hinunter über den Hof selbst nach dem Stalle, wo er den Reitknecht mit den Pferden fand, der sich keinen Augenblick vom Jagdschlosse entfernt hatte.

      Hieraus ersah nun mein Vater, daß das Ganze ein angelegter Plan gewesen sei. Beim Heimreiten überlegte er den seinigen. Sich von dem gegebenen Worte zurückzuziehen, war unmöglich, denn dann hätte er wirklich am nächsten Morgen den ganzen Schwarm vor dem Hause gehabt zu Ängsten und Schrecken der Mutter. Er beschloß daher die Jagd wirklich mitzumachen, jedoch sobald als nur möglich sich zu entfernen, und um sein Absein eine Zeitlang vor den übrigen zu verbergen, seinen guten Freund, den Oberjägermeister, dessen finsteres Gesicht Mißbilligung der getriebenen Scherze ausgedrückt hatte, zu ersuchen, daß ihm der entfernteste Stand angewiesen werde, von dem er bei günstiger Gelegenheit entkommen zu können hoffte. Um aber für die Zukunft dem Fürsten und der ganzen Gesellschaft Respekt einzuflößen, sollten Tags darauf schriftliche Erklärungen an die ärgsten Schreier des Jagdschlosses abgehen, welche diese entweder einstecken, oder worauf sie zu Pistolen greifen mußten.

      Zu Hause zog er einen alten verschwiegenen Diener in sein Vertrauen, ließ die prächtige Jagduniform, in welcher jeder Kavalier bei den großen Hofjagden erscheinen mußte, heimlich aus dem Schranke nehmen, und verspürte, wie er selbst lange Jahre nachher, wenn diese Geschichte wieder auf das Tapet kam, zu erzählen pflegte, trotz seines Mißmuts ein geheimes Behagen, als er das grüne, schimmernde Collet mit den blitzenden Knöpfen, der goldenen, reichen Stickerei, den Achselschnüren, den schweren Epauletts aus dem umgelegten Seidenpapier, und das prächtige Couteau mit glänzenden Steinen am Griff aus dem Futteral hervorkommen sah, nachdem er so lange den Anblick dieser Gegenstände entbehrt hatte. Meiner Mutter sagte er irgendeinen gleichgültigen Grund, weswegen er den folgenden Tag über von Hause entfernt sein werde. Es gelang ihm, sie zu täuschen; СКАЧАТЬ