Ich habe nun auch in mir ganz bestimmte Instinkte, denn ich will sie nur geradezu so bei mir nennen. Meine Jagdlust mag ich nicht anführen, denn es bleibt mit der abenteuerlichen Seite der Region, welche ich Dir bezeichnete, allerdings immer etwas Mißliches, obgleich ich nicht berge, daß ich des Gedankens nicht Meister werden kann, mein beständiges Schießen und Fehlen müsse doch irgendeinen, mir freilich nicht begreiflichen Zweck haben. Aber lassen wir diesen weidmännischen Instinkt, der mir den Spitznamen: »der wilde Jäger«, bei Euch zugezogen hat, vorderhand auf sich beruhen!
Aber ein Zweites in mir ist etwas Ernsteres, und doch kein Vorsatz, keine Überzeugung, keine Leidenschaft — sondern ein wahrer Instinkt. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl für die Frauen. So lange ich denken kann, wohnt es mir bei. Ich kann es Dir eigentlich nicht schildern. Mich durchsäuselt die Ahnung einer unendlich milden Lösung aller Schmerzen, das Vorempfinden des überschwenglichsten Erfüllens und Ergänzens, sehe ich eine Frau. Und nicht bloß Jugend und Schönheit, Reiz und Anmut bewegen meine Seele in einem Bade so erquickender Fluten, sondern in der Unscheinbarsten gewahre ich etwas Göttliches, wenn sie mir begegnet. Oft hat mich ein solches zufälliches und gleichgültiges Treffen von trüben leidenschaftlichen Aufregungen wie mit einem Zauberschlage geheilt; oft habe ich mich auch scheu vor allen weiblichen Zirkeln zurückgehalten, weil in mir etwas vorgegangen war, was ich unter Frauen zu bringen für unerlaubt hielt. Seit einiger Zeit habe ich angefangen, meine Blicke auf die Verwickelungen der Welt und Zeit zu richten. Da muß ich Dir nun gestehen, daß unter allen den Dingen, nach deren Rückkehr die Menschen seufzen, mir die Herstellung des wahren und beseligenden Verhältnisses zwischen den beiden Geschlechtern als das sehnenswerteste erschienen ist. Aber freilich mag dieser Friede wohl der Lohn sein, welcher andern, erst in den übrigen Punkten zum Frieden gelangten Zeiten aufbewahrt wird.
Dich werden diese Bekenntnisse überraschen, denn Du hast mich nicht gar zu selten rauh und tölpisch im Umgange mit Frauen gesehen, auch war ich noch nie verliebt. Vielleicht werd‘ ich es auch nie. Das schlimmste Unrecht tätest Du mir, wenn Du glaubtest, daß aus mir noch gar ein Süßling werden könnte. Nein, dazu passen wir überhaupt bei uns zulande nicht. Nimm meine Worte, wie sie geschrieben sind — sie stammeln von einem Naturgeheimnis.
Nun genug der Reflexion und jetzt eine schlichte Historie. Als ich eben nach den Gütern zurückgekehrt war, lernte ich in der Nachbarschaft meine Verwandte, Baroneß Clelia kennen, die sich früher in Wien aufgehalten hatte. Ich benahm mich gegen sie, wie es einem schwäbischen Vetter geziemte, sie desgleichen, wie meinem Mühmchen zukam. Keines von beiden dachte an eine Verbindung, wohl aber mochte der Verwandtschaft eine solche gar paßlich vorgekommen sein, denn aus freundlichen Blicken, geselligen Aufmerksamkeiten und zwei oder drei Händedrücken, wie sie ein unbefangenes Wohlwollen gibt und nimmt, war bald für uns ein Netz zusammengestrickt worden, aus welchem wir schlechterdings als Braut und Bräutigam hervorgucken sollten; und der alte Oheim fragte mich eines Tages ganz naiv, wann denn die öffentliche Erklärung vor sich gehen werde.
Wir waren gewaltig betroffen, und wie zwei Leute sonst alles mögliche anwenden, um einander habhaft zu werden, so ließen wir nichts unversucht, in der Meinung der Sippschaft voneinanderzukommen, was in der freundlichsten Einigkeit von beiden Seiten geschah. Mühmchen Clelia hatte bei diesen Lockerungsbestrebungen ein noch größeres Interesse, als ich, denn es ließ sich bald vermerken, daß ihr Herz ihr nach Schwaben nur an einem Faden gefolgt war, den ein schöner Kavalier in den österreichischen Erblanden hielt.
Bei den Anstrengungen, die wir solcherweise machten, fielen die lächerlichsten Szenen vor, insbesondere von meiner Seite, der ich für diese spitzfindigen Kombinationen der Verhältnisse gar nicht zugerichtet bin. Ich wollte alle Schuld, daß ein Schein von Neigung entstanden war, auf mich nehmen, verwickelte mich darüber in die unsinnigsten Erklärungen, bekannte mich endlich für schon anderweit im Auslande verlobt, widerrief diese Lüge im nächsten Augenblicke — kurz, ich stellte bei der ganzen Sache den Helden einer ziemlich lustigen Novelle dar.
Indessen würde diese nur im Kreise der nächsten Bekanntschaft angeklungen und verklungen sein, wenn sich nicht ein fremder Störenfried herbeigemacht und sie zur Befriedigung seines schlechten Witzes gemißbraucht hätte.
Es hielt sich nämlich damals seit einiger Zeit bei uns ein Mensch auf, namens Schrimbs, oder Peppel, wie er andererorten geheißen hat. Der Himmel weiß, wieviel Namen er überhaupt in der Welt geführt haben mag und noch führt! Schon das Äußere dieses Menschen war höchst auffallend, er sah im Gesichte ganz verwittert aus, und dennoch konnte man kein rechtes Alter an ihm abnehmen, denn trotz der Runzeln auf Wangen und Stirn war unter seinen Haaren kein weißes zu entdecken, und seine Haltung ungebeugt, sein Muskelfleisch straff, sein Benehmen jugendlich-petulant. Ich weiß nicht, wie ich dir diesen Schrimbs oder Peppel beschreiben soll; er war alles und jedes. Wie der Aal entschlüpfte sein Geist jeglichem Bemühen, ihn in einer bestimmten Lage festzuhalten, wie Quecksilber zerrann dieses kalte, schwere, und doch unendlich flüchtige und trennbare Wesen unter der leisesten Berührung in lauter perlende Kügelchen, die denn doch immer wieder zu einer größeren koagulierten. Du mußt von ihm gehört haben, denn er war nach und nach in vielen Städten unter den verschiedensten Gestalten. Vielleicht ist er sogar in Deine Nähe gekommen. In Tübingen machte er den Magister und focht sich theologisch herum, in Stuttgart abwechselnd den Politiker und lyrischen Dichter, in Weinsberg half er unserem alten Justinus noch mehr Geister sehen, als dieser schon mit seinen zwei Augen erblickt.
Dieser Mensch hatte eine Gabe zu fabulieren und zu schwadronieren, wie ich sie noch nimmer bei jemand wahrgenommen habe. Er besaß einen aristophanischen Witz, eine gaukelnde Einbildungskraft und eine unerschöpfliche Laune, vor allem aber eine Lust und Freude am Lügen, die wirklich auch genial war. Keiner achtete ihn und doch war er überall eingeführt; unsre geschlossenen Gesellschaften taten ihre Türen vor ihm auf, unsre Familien- Wein- und sonstigen Kränzchen flochten ihn sich als Blume ein, denn du weißt wohl, daß, so schwerfällig und abgesondert wir uns halten, es doch noch von je alle Scharlatane bei uns mit uns durchgesetzt haben. Man hielt ihn für nichts Besseres, als für ein Stück honnetten Gauners und doch blickte man sehnsüchtig nach ihm aus, ließ er einmal auf sich warten. Obgleich ich überzeugt bin, daß er eigentlich schlechte Streiche nirgends begangen hat, denn sonst würde er leiser, versteckter, künstlicher aufgetreten sein. Eine gewisse theoretische Unwahrhaftigkeit war in ihm zur andern Natur geworden; gegen die Gesetze wird er sich nicht verfehlt haben.
Du fragst: Wodurch fesselte er Euch denn? Ja, wodurch? Durch tolle Märchen, die er uns erzählte, durch Sarkasmen, Luftsprünge. In seinen Märchen griff er mit unerhörter Dreistigkeit das Nächste auf, oder eine öffentliche Person, und drehte und wendete und drillte sie so lange, bis sie unter seinen Händen ein phantastischer Popanz wurde, der dann, wenn man ihm näher in das Gesicht sah, in Blasen auseinanderplatzte. Mir war oft bei seinen Geschichten zumute, als sehe ich eine Wasserhose entstehen, wandeln, sich auflösen. Eine schwache Wolke schwebt über dem Meere, diese faßt mit einem langen, feinen Finger in den unendlichen Ozean, aufwärts kocht, wirbelt und tanzt das emporgestörte Wasser, es pfeift und zischt; Nebel und Schaum ringsumher, und Blitz ohne Donner! so rückt das Phantom, welches nicht Dunst und nicht Woge mehr ist, sprungweise vor, bis es plätschernd zerbricht.
Ich sagte zuweilen für mich: In diesem Erzwindbeutel hat Gott der Herr einmal alle Winde des Zeitalters, den Spott ohne Gesinnung, СКАЧАТЬ