Название: Als Mariner im Krieg
Автор: Joachim Ringelnatz
Издательство: Public Domain
Жанр: Зарубежная классика
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»Ja«, antwortete er, »woher kennen Sie die?«
»Ich saß einmal vor mehreren Jahren in Riga in einem Eisenbahnzug zwischen lauter Russen. Neben mir ließ sich schweigend ein älteres Ehepaar nieder. Das war in der Nacht vom Dezember auf Januar. Ich wußte, daß der Zug Punkt zwölf Uhr abfahren mußte. Das war, nach deutscher Zeit gerechnet, die Silvesterstunde. Als nun die Bahn sich in Bewegung setzte, da hätte ich aus einem Gefühl von Einsamkeit und Heimweh heraus so gern laut ›Prost Neujahr‹ gerufen. In diesem Moment küßte der schweigsame Herr die schweigsame Dame und sagte leise und innig: ›Gutes neues Jahr!‹ Da wurde ich mit ihnen bekannt und habe sie später oft besucht.«
Einmal weckte mich der Koch mit folgendem Geflüster: »Bootsmaat, Feuer an Bord —« Wirklich, die Kombüse brannte, aber wir löschten das Feuer rasch. Die See war spiegelglatt, nur als die ›Pillau‹ in voller Fahrt vorüberdampfte, rüttelte uns ihre Bugwelle hoch. Es war so, als hätte ein vorbeirennender Mann uns einen Stoß mit dem Ellbogen versetzt und dabei gerufen: »Platz da, ihr Faulenzer, ich hab Wichtiges vor!«
Mutter hatte mir meine Mandoline gesandt. Ich konnte nur wenige Lieder darauf klimpern, jetzt, mit meinen steifen Arbeitsfingern ging‘s noch schlechter. Auch hatte das Instrument einen Sprung bekommen, aber es zierte unsere Kabine, und auf einem der bunten Bänder war von Maulwurf ein Maulwurf eingestickt. Und dann spielte ich, die Matrosen sangen dazu, unser Leiblied »Seemannslos« von Adolf Martell. Wer mochte wohl dieser Martell sein, lebte er noch? Ahnte er, wie populär dieses Lied geworden war?
Erna Krall schrieb mir über ihre Tätigkeit als Krankenschwester; sie beklagte sich über ihre Großmutter, die sie immer schon um zehn Uhr zu Bett schickte. Ach hätte ich doch eine Großmutter, die mich um zehn Uhr zu Bett schickte.
Ins Tagebuch notierte ich mir: Jessen. Sehr eifrig. Bastelt zu jeder Tageszeit an Deck herum und schielt dabei häufig nach der Brücke, ob man‘s bemerkt. Nach einem Malheur aus dem Wasser gezogen, sah er aus wie ein Seehund, der gleich niesen wird. — — — Obermaat Eibel trägt immer eine Bartbinde und ein schlechtes Gewissen, was er durch gelegentliche Anfälle von Arbeitswut verbergen möchte. »Kann ich Ihnen helfen?« fragt er dann, und wenn man »Ja« antwortet, entfernt er sich eilig.
Maschinistenmaat Witzmann, kleinlicher, pedantischer Spießer, spricht Sächsisch und hat eine Heidenangst davor, daß wir auf das zirka achtzig Meter von uns entfernte Minenfeld geraten könnten. Ich überbringe ihm immer eiligst, was ich von Explosionsunfällen in der Stadt oder vom Lotsen höre. — — — Der hohe Sperrkommandant, Kapitänleutnant Rusch, schlank, ruhig, mit einem ewigen maliziösen Lächeln im Gesicht, ununterbrochen streng. — — — Obermaschinistenmaat Schaffrot, sehr geschickter Techniker, lustig, derb, unvornehm, ungebildet. — — — Matrose Stüben, rothaarig und dick, sieht aus wie ein Riesenschweinchen, ist aber unser bester und zuverlässigster Seemann. — — —
Auch auf »Vulkan« leckten die Kojen und schlossen die Bullaugen schlecht. Ich war Tag und Nacht naß; mir hätten Flossen wachsen können.
Der Kommandant vom Fahrzeug »Rote Sand« war so unbeliebt, daß wir uns laut amüsierten, als sein Boot mit einem Fischdampfer kollidierte und sich dabei den Steuerbordbug eindrückte. Doch kamen bei allen anderen Booten ebenfalls von Zeit zu Zeit mehr oder weniger schlimme Zusammenstöße vor, was jedesmal ein langes Nachspiel von Zank und Verdruß hatte.
Es zirkulierte eine Liste, jeder sollte eintragen, was er an Schuhwerk und Kleidungsstücken notwendig brauchte. Ich schrieb nur hin »Zwei Obermaatenabzeichen« und unterstrich das »Ober«, um den Wink noch deutlicher zu machen.
»Bootsmaat«, brummte Eichmüller nachts auf Wache, »dort ist ein Licht.« Ich folgte seinem Finger und sagte dann: »Nein, das ist Meeresphosphor.« Schweigend gingen wir weiter, jeder auf seiner Seite, mit gleichmäßigen schnellen Schritten und in unförmige Wachmäntel gehüllt. »Eichmüller«, sagte ich nach einer Weile, »hast du die Schüsse gehört?«
»Das ist der Dienstmann«, erklärte Eichmüller gähnend, »der klopft auf den Tisch; die spielen unten Karten.« Darauf wurde ich zum Steuermann gerufen. Der sagte: »Ich habe eine Meldung über Sie gemacht«, und schob mir ein Schriftstück hin. Ich las: »Ich halte den Bootsmaat Hester für geeignet zur Beförderung ... K. Kaiser.« Ich dankte militärisch, strahlte Glück und empfing noch eine Zigarette und Befehle. So kam ich wieder an Deck. Es war eine kalte Nacht. Am Mast schlug das Tauwerk, und an die Schiffswand planschte, rauschte und zischte das Wasser. Aber mir war wohl zumut, und in dieser Stimmung redete ich immer aufs neue auf Eichmüller ein, obwohl ich klüger getan hätte, meine Worte an ein Waschfaß oder an ein Dampfrohr zu richten. »Denke dir: Portugal geht nun auch gegen uns. Das wäre ja an sich nicht schlimm, aber es liegen noch etwa 200 deutsche Schiffe in portugiesischen Häfen.« Um zwei Uhr wurde ich abgelöst. Der mürrisch Ablösende kam mit den gotteslästerlichsten Flüchen auf Krieg und Seefahrt an Deck. Ich vergnügter Abgelöster tröstete ihn: »Laß gut sein! Im April singen wir unser altes Reservistenlied
Zum letztenmal hab ich an Bord geschlafen,
Zum letztenmal die Hängematt gezurrt...«
Dann übergab ich die Instruktionen: »Ruder zehn Steuerbord — der Wind dreht, das Schiff wird gleich schwojen — sechs Uhr Dampf auf — sechs Uhr dreißig Wecken — Anruf Dora — Antwort Richard.«
Nach dreizehn Tagen kam ich wieder an Land und hatte mit dem Obermaat Proviant einzukaufen. Wir fuhren im strömenden Regen mit einem geborgten Schlachterwagen in gestrecktem Galopp. Ich hielt eine Tüte im Arm, die, als sie aufweichte, rohe Eier fallen ließ. Der Obermaat hielt Semmeln auf seinem Schoß, die, je nässer sie wurden, desto größer wurden.
Ein Heizer von »Diomedes« war wahnsinnig geworden. Er hatte sich plötzlich geweigert, in den »tiefen« Heizraum zu gehen, war später in der Werft desertiert und — obwohl der Posten auf ihn geschossen hatte — entkommen.
Wenn wir uns auf See amüsierten, dann geschah es mit Kartenspiel, unanständigen Späßen und Schabernack. Schaffrot hatte mir heimlich Salz in den Tee getan. Ich mischte die Barthaare von Tünnes in seinen Tabak. Einmal versuchte ich einen Vorleseabend zu arrangieren und las leichtverständliche Balladen von Münchhausen vor, aber was nützt der Kuh selbst solches Muskat.
Wir sahen viele Seehunde und Schweinsfische. Zugvögel ruhten sich auf uns Insel aus.
Es kamen Nebeltage. Wir mußten dann häufig Torpedoboote heraus oder hereinlotsen, und die Nebelglocke klang den ganzen Tag. Meine kupfernen Lampen, früh geputzt, waren abends schon wieder grünspanig, und ich wünschte mir, so viel Butter zu besitzen, wie ich Putzpomade verbrauchte.
Dann ging ich wieder einmal stundenlang in einer dunklen Nacht Wache. Es war ganz still. Nur in der Rudermaschine knackte, brodelte und klapperte es geheimnisvoll. Schaffrot kam aus der Maschine, und wir setzten einen Suppenwürfel unter Dampf, weil wir nicht Kochgelegenheit hatten. Plötzlich hörten wir ein Platschen im Wasser, klang so, wie wenn ein Hund gegen den Strom paddelt. Gemeinsam fischten wir aus dem Wasser einen abgekämpften, grauen Vogel, etwa so groß wie ein Huhn, ohne Schwimmhäute und mit einem langen geraden Schnabel. Im Nu gerieten wir in Streit, wem das Tier nun gehörte, mir oder Schaffrot. Da dieser aber gerade in die Maschine gerufen wurde, schob ich das erstarrte Tier mit dem Fuß unter einen Stoß an Deck aufgestapelter Bretter, um es nach Beendigung meiner Wache mitzunehmen. »Wo ist der Vogel?« schrie der Obermaat zurückkehrend. »Ich hab ihn wieder über Bord geworfen.« — »Du lügst!« Schaffrot suchte und fand den Vogel und bettete ihn sogleich in seine Koje. Dort erholte er sich innerhalb einer Stunde, war aber derweilen ausgelaufen, so daß Schaffrots Bett durchnäßt war.
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