Als Mariner im Krieg. Joachim Ringelnatz
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Название: Als Mariner im Krieg

Автор: Joachim Ringelnatz

Издательство: Public Domain

Жанр: Зарубежная классика

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СКАЧАТЬ Fahrtwelle sträubte sich sein Haar, was sehr gruslig aussah. Auch andere Boote bargen in den nächsten Tagen noch Leichen, die mit Ebbe und Flut hin und her wanderten. Ein einlaufendes Kriegsschiff gab uns den Winkspruch: »Südlich von den Minen treiben Leichen.«

      Allerwärts an Land wie an Bord war der »Yorck«-Unfall Tagesgespräch. Ich hörte viele Schilderungen von Einzelheiten. Ein Obermaat suchte einen Mann zu retten, da sackte dieser mit dem Rufe »Jesus Maria, mein armes Weib!« ab. Ein Deckoffizier, den man aus dem Wasser ziehen wollte, rief abwehrend: »Nein, erst meine Kameraden, ich schwimme gut!«

      Am meisten wurde natürlich die Frage debattiert: Wer trägt die Schuld an dem Unglück und wer die Verantwortung? Der Kommandant? Der Lotse? Der erste Offizier?

      Am sechsten Oktober stiegen Taucher in das Wrack, konnten aber zunächst nur Munition und einige Gerätschaften bergen. Auch Minensucher waren an der Stelle tätig. Auf »Glückauf« herrschte von Mittag an bis tief in die Nacht wildes Hallo. Dort wurde mit Musik, Gesang und donnernden Reden der Geburtstag des Kommandanten von »Franz« gefeiert. Die lärmende Fröhlichkeit der Offiziere in nächster Nähe des traurigen Wracks, das noch so viele Leichen, vielleicht noch gar abgesperrte Lebende enthielt, erregte unter den Mannschaften tiefe Entrüstung. Ich dachte nicht so schlimm darüber. Ich fand es viel unerträglicher, daß die Mannschaften in Wilhelmshaven spätestens um neun Uhr an Bord oder in der Kaserne sein mußten, während der jüngste Leutnant die ganze Nacht an Land verbringen durfte. Ich hatte kürzlich einen Matrosen beobachtet, der aus Wut über diese Bestimmung auf offener Straße einen Tobsuchtsanfall bekam und wütend gegen seine Kameraden einschlug, die ihn an Bord zu bringen und zu beruhigen suchten. Erst wollte ich mich begütigend einmischen, aber ich ließ das sein, weil er eventuell sonst mir, seinem Vorgesetzten, auch eins versetzt hätte und dafür dann schwer bestraft worden wäre.

      »Vulkan« lag Seite an Seite mit »Glückauf«. Ich fing manches auf aus den Festreden, die dort gehalten wurden, übergeistig war es nicht. Leutnant von Raichert rief mich von drüben an Deck, sagte, mein Potpourri hätte großen Anklang gefunden, und reichte mir »vorläufig« eine halbe Flasche Sekt über die Reeling. Ich nahm mir vor, dieses kupferberg-goldene Pullchen bis zu einer feierlichen Gelegenheit aufzuheben. Dann überlegte ich mir aber, daß, wenn wir auf eine Mine liefen, sicherlich auch diese Flasche zum Teufel ginge. So leerte ich sie abends mit Jessen, und um der Sache etwas Feierliches beizugeben, trank ich Brüderschaft mit ihm, worauf ich ihn sofort mit pöbelhaften Vorwürfen überschüttete. Weil er so unmanierlich wie eine Drecksau fräße. Wenn das Essen aufgetragen wurde, stürzte er wie ein blinder, gieriger Eber darauf los, stieß mich dabei zum Beispiel mit dem Ellenbogen ins Auge und brummte dann — anstatt sich zu entschuldigen — nur: »Uff! Uff!« Weil er ferner nur ein Taschentuch besäße, darin er Äpfel aufbewahrte. Weil er mich bei jeder Gelegenheit absichtlich mit dem Wasserschlauch anspritzte und sich selber häufig statt mit Wasser und Seife — angeblich der Eile wegen — mit Spucke und Seife wusch.

      Schaffrot gesellte sich zu uns. Er erzählte, daß er ein Gesuch um Heimaturlaub eingereicht habe, seine Frau läge schwer krank im Hospital, und seine Kinder, auch erkrankt, wären bei fremden Leuten untergebracht. Er war sehr traurig darüber, daß er ein kleines Anhängsel verloren hatte, ein billiges Kreuzchen, das ihm seine Mutter auf dem Totenbette gab, mit der Bitte, es immer bei sich zu tragen. »Mehr habe ich von meiner Mutter nicht gehabt«, sagte er rührend. Dann berichtete er aber lustiger von einer Wanze in seiner Koje, der er auf der Spur sei und die er »Emden« nannte, weil sie ihm immer wieder entkam. Ich hatte eine Gegengeschichte von einer Wanze, die ich kürzlich gefangen hatte, die ich aber, weil es nicht in meiner Kabine war, sondern in Eibels, den ich nicht leiden mochte, dann wieder aussetzte. Zuletzt wurde Schaffrot sehr bezecht, und da gestand er uns, daß seine Frau eigentlich nicht im Krankenhaus, sondern auf Abwegen wäre, und da wollte er sie einmal in flagranti erwischen.

      Für kurze Zeit — gestohlen und wieder weggestohlen — hatten wir einen unglaublich unedlen Hund an Bord, der auf den Namen »Bootsmann« hörte. Wir sagten: Er unterscheidet sich von unserem anderen Bootsmann dadurch, daß der eine das Deck rein und der andere es voll macht.

      Immer mehr geriet ich in den Ruf eines großen Medizinmannes, obwohl ich alles nur mit Baldrian und Borsalbe heilte, davon ich reichliche Vorräte besaß.

      Als wir wieder einmal zu Ausbesserungsarbeiten in der Werft lagen, besuchte ich den hölzernen Intendanturrat Bruhn. Er sollte mir zu einem Posten auf einem größeren Schiff verhelfen. Auch wurde ich in verschiedenen Büros vorstellig; ich meldete mich zu den Fliegern, auf ein Unterseeboot und nach Flandern. Überall wurde ich mit leeren Worten abgespeist. Ich sah in dieser Beziehung gar keinen Weg mehr. Auf unseren Kommandanten konnte ich nicht zählen, er hatte weder Einfluß noch Energie dafür. Der Sperrkommandant würde mich sicher schroff abweisen. Eine höhere Instanz kannte ich nicht und hätte mich auch nicht direkt an sie wenden dürfen.

      Von meiner Beförderung war auch nicht mehr die Rede. Sollte der Steuermann seinen Antrag zurückgezogen haben? Er war in letzter Zeit sehr verstimmt gewesen und hatte bald mit diesem, bald mit jenem von uns Auftritte gehabt, am meisten mit dem Maschinenpersonal. Dabei war er häufig durchaus ungerecht vorgegangen. Schaffrot hatte ihm einmal in berechtigtem Zorn sehr mutig geantwortet, nur war er dabei leider aus der militärischen Form geraten. Herr Kaiser war offenbar nervös geworden. Einerseits stand er dicht vor seiner Beförderung zum Leutnant, andererseits hatte er unglücklicherweise gerade jetzt mehrmals hintereinander Zusammenstöße mit anderen Schiffen verschuldet.

      Schöne dunkle Nächte erlebte ich auf Wache. Das Filzlausgeschwader fuhr vorbei, wechselte unterwegs seine Formation, aber man sah nicht etwa die einzelnen Boote, sondern nur ihre roten, grünen und weißen Lichter, die sich wie im Reigen verschlangen. Zwei Zeppeline gingen durch die Wolken. Und unheimliche Nächte gab‘s mit sonderbaren Geräuschen an der Ankerkette oder im Tauwerk, mit gespenstischen Schatten und fahlen Lichtstreifen. Und da mußten wir ein Bremer Schleppschiff anhalten. Der Lotse ging mit drei bewaffneten Matrosen hinüber, um es zu untersuchen.

      Laut Bericht der Leipziger Neuesten Nachrichten brachte die Armeelinie von der Nordsee bis an die Grenze der Schweiz am sechsten November ein Hoch auf die Marine aus.

      Mutter fragte an, ob wir einen Bedürftigen an Bord hätten, der keine Liebesgaben erhielte und dem sie dann eine Weihnachtsüberraschung bereiten wollte. Ich überdachte unsere fünfzehn Mann Besatzung, fand aber keinen darunter, der dessen bedürftig und dessen wert gewesen wäre, nicht mal einen, der das überhaupt verstanden hätte.

      Es wurde kalt und kälter. Der erste Schnee fiel. Ich fror, besonders beim Ankerhieven und wenn ich mit nassem Tauwerk oder den steifen, obendrein splitterigen Stahlleinen zu tun hatte, bös an den Händen, und diese wurden dann so starr, daß ich bei Sonnenuntergang beim Anzünden der Lampen oft Zylinder zerbrach. Jessen hatte Frostbeulen an den Füßen, so daß er nicht mehr in die Seestiefel hineinkam.

      Das Wrack der »Yorck« war durch Sprengungen und durch Sturm und Brandung ganz zerrissen. Es ragten nur noch einzelne zackige Teile aus dem Wasser.

      Ob wir uns untereinander zankten oder mitsammen scherzten, jeder hatte doch die anderen satt. Jeder sehnte sich nach etwas Fernem, nach Weib und Kind oder nach Freiheit, nach seinem Zivilberuf, nach Mädchen oder Freunden oder nach Ruhm und Abenteuern. Nun hofften wir, daß bald Treibeis käme, dann mußte die Minensperre doch aufgehoben werden. Das Aufstehen fiel einem schwer, man seufzte in sich hinein. Man wurde unter soviel Ungerechtigkeiten selber ungerecht. Jessen wurden fünf Tage Urlaub bewilligt. »Ja, die Verheirateten werden immer bevorzugt«, sagten die Ledigen. Jessens Frau bezog monatlich fünfzig Mark staatliche Unterstützung, obwohl er doch ein sehr reicher Bauer war. Er fand das selbst ungerecht, »aber«, meinte er, »andere bekommen es ebenso ungerechterweise, warum soll ich es dann nicht mitnehmen.« Über die Verteilung des Eisernen Kreuzes kreisten zahllose gehässige, oft auch witzige Anekdoten. Und während die Mannschaften darbten und im Stumpfsinn vertierten, hatten es die Offiziere — nun ja, sie hatten es besser. СКАЧАТЬ