Der Mensch und das liebe Vieh. Martin M. Lintner
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Название: Der Mensch und das liebe Vieh

Автор: Martin M. Lintner

Издательство: Bookwire

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isbn: 9783702236359

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СКАЧАТЬ Herrschaftsauftrag in V 28 hingegen fehlt die Unterscheidung von domestiziertem Vieh und den wilden Tieren, denn neben den Fischen und den Vögeln werden zusammenfassend „alle Tiere, die sich auf der Erde regen“, genannt. Was das bedeuten könnte, darauf soll im folgenden Kapitel zurückgekommen werden.

      1.2 Der Herrschaftsauftrag über die Erde und über die Tiere

       a) Die Hypothek, die auf dem Herrschaftsauftrag in Gen 1,28 lastet

      Bekanntermaßen wurde und wird der Herrschaftsauftrag in Gen 1,28 für eine ausbeuterische Haltung gegenüber der Natur verantwortlich gemacht. Dieser Vers sei der ideengeschichtliche Hintergrund der heutigen Umweltkrise. Seit der amerikanische Wissenschaftshistoriker Lynn T. White Jr. 1967 in seinem Aufsatz „Die historischen Wurzeln unserer ökologischen Krise“32 diese These veröffentlicht hat, haben auch andere Autoren diesen Vorwurf aufgegriffen und zu erhärten versucht. Der deutsche Umweltaktivist Carl Amery (1922–2005) bezeichnet in seinem 1972 ersterschienenen Buch „Das Ende der Vorsehung“ die Christen als „Fachleute für die Ausbeutung der Welt“33. Selbst Theologen wie Eugen Drewermann (geb. 1940)34 schlugen in dieselbe Kerbe. Er machte den angeblichen biblischen Anthropozentrismus, wonach sich der Mensch als radikal von der Natur herausgelöst sieht, für das gestörte Mensch-Natur-Verhältnis verantwortlich.

      Viele Theologen haben sich kritisch mit diesem Vorwurf auseinandergesetzt und ihn zu widerlegen versucht35, und zwar sowohl aus historischer wie auch aus bibeltheologischer Perspektive. Historisch wurde besonders darauf hingewiesen, dass der Herrschaftsauftrag erst in der Neuzeit in dem Sinne interpretiert worden ist, dass der Mensch mit der Natur willkürlich verfahren dürfe. Ideengeschichtlicher Hintergrund der modernen Umweltkrise sei vielmehr der nach René Descartes (1596–1650) benannte cartesianische Dualismus, wonach der Mensch als res cogitans, d. h. als denkendes Wesen, alle anderen Lebewesen hingegen – einschließlich der Tiere – lediglich als res extensa, d. h. als ausgedehnte und damit bloß materielle Dinge bzw. komplexe Maschinen verstanden worden sind. Damit habe sich der Mensch als außerhalb der übrigen Natur und als ihr gegenüber stehendes Wesen begriffen. Das Bewusstsein, dass der Mensch zutiefst in die naturalen Abläufe eingebunden und Teil der Natur ist, das die abendländische Geschichte bis zum Beginn der Neuzeit geprägt habe, sei dadurch zusehends verloren gegangen. Im Zusammenspiel mit dem Erstarken der Naturwissenschaften sowie mit der damit einhergehenden wissenschaftlich-technologischen Sichtweise der Natur habe sich die Mentalität entwickelt, der Mensch könne die Natur nach Belieben zu seinen Zwecken nutzen. Dieser Gebrauch der Natur sei erst nachträglich durch den Rückgriff auf den biblischen Herrschaftsauftrag legitimiert worden, etwa durch den englischen Naturphilosophen Francis Bacon (1561–1626). Bacon verstand die naturwissenschaftlichen Erkenntnisse explizit als Herrschaftswissen mit dem Ziel, dass sich der Mensch die Natur unterjoche und sie seinen eigenen Zwecken dienlich mache.36 In Folge wurden die Natur und die Tiere zunehmend nur mehr in ihrem instrumentellen Nutzwert in Bezug auf die menschlichen Bedürfnisse wahrgenommen. Exegeten und Bibelwissenschaftler haben der These widersprochen, durch den Herrschaftsauftrag in Gen 1,28 ließe sich ein derart zweckbestimmter und ausbeuterischer Umgang mit der Natur rechtfertigen.37 Der eigentliche Sinn des Herrschaftsauftrages liege vielmehr darin, dass Gott die Erde und die Tiere der Fürsorge der Menschen anvertraut habe. Dies soll im Folgenden herausgearbeitet werden.

       b) Eine exegetische und bibeltheologische Erschließung von Gen 1,28

      Die in Gen 1,26 formulierte Funktion des Herrschens wird in V 28 aufgegriffen und als Auftrag formuliert. Dabei fällt zunächst ins Auge, dass dieser Auftrag im unmittelbaren Zusammenhang mit einem Segenswort formuliert wird, das Zuspruch von Leben und Fruchtbarkeit bedeutet. Bereits im V 22 findet sich ein solcher Segensspruch, gerichtet an die Wassertiere und die Vögel, der auch dort verbunden ist mit dem Auftrag, fruchtbar zu sein und die für sie vorgesehenen Lebensräume zu füllen. Im Unterschied zu V 22 allerdings heißt es in V 28 ausdrücklich, dass Gott das Segenswort nicht einfach ausspricht, sondern „zu ihnen“ spricht, womit der dialogische Charakter des folgenden Auftrags deutlich wird. Es geht hier nicht um ein in den Adressaten hineingelegtes natürliches oder instinktives Streben danach, sich fortzupflanzen und sich den Lebensräumen bestmöglich anzupassen bzw. diese den eigenen Bedürfnissen entsprechend zu gestalten, um sie zu bewohnen, sondern um einen Auftrag, der nach einer Antwort verlangt – eben nach Verantwortung.

      In dieser Perspektive kann der Herrschaftsauftrag als ein Reflex davon verstanden werden, dass die Menschen über die ihnen eigene Fähigkeit nachdenken, dem Mitmenschen, den Tieren und der Umwelt gegenüber nicht nur instinktiv oder impulsiv, sondern überlegt und verantwortlich zu handeln. Der dialogische Charakter, dass Gott den Segensspruch und den Herrschaftsauftrag „zu ihnen“ spricht, untermauert diese exklusive – also ausschließlich auf die Menschen bezogene – Lesart von Gen 1,28. Demgegenüber werden jedoch auch Argumente stark gemacht für eine sogenannte inklusive Auslegung, der zufolge sich Gen 1,28 auf alle Landtiere beziehen würde.38 Diese Argumentation macht u. a. den parallel gestalteten Aufbau des fünften und sechsten Schöpfungstages geltend, im Besonderen des Prokreations- und Mehrungssegens in V 22 und in der ersten Hälfte von V 28. Richtigerweise stellt sich die Frage, warum der Fruchtbarkeitssegen, der den Fischen und Vögeln zugesprochen wird, den Landtieren vorenthalten sein und sich unter jenen Lebewesen, deren Erschaffung am sechsten Tag genannt wird, allein auf die Menschen beschränken sollte. Der Segensspruch in V 22 bezieht sich auf alle am fünften Tag geschaffenen Tiere, deshalb wäre es nur folgerichtig, V 28 ebenso auf alle am sechsten Tag geschaffenen Lebewesen zu beziehen. Folgt man dieser Lesart, kann der Auftrag, sich die „Erde untertan zu machen“, nur als Nutzungsauftrag verstanden werden, und zwar in dem Sinne, dass alle Tiere wie die Menschen ein Anrecht darauf haben, die Erde zu bewohnen und zu bevölkern. Tiere und Menschen teilen sich die Erde als gemeinsamen Lebensraum. Einer anthropozentrischen Auslegung, wonach die Menschen das Recht hätten, ihren Lebensraum zu erweitern, indem sie jenen der Tiere zurückdrängen, oder die Erde als Lebensraum nur für sich sowie für die eigenen Interessen und Zwecke zu benutzen, wäre damit jede Grundlage entzogen. Im Gegenteil: Die Menschen haben bei jeder Form, wie sie die Erde bewohnen und mit ihr umgehen, zu bedenken, dass sie dabei nicht zugleich das Habitat der Tiere zerstören dürfen. Sie haben vielmehr die Verantwortung, auch den Tieren zu ermöglichen, dass sie das Land bewohnen und dem Fortpflanzungsauftrag nachkommen können. Es wurde weiter oben bereits darauf hingewiesen, dass in der sogenannten Aufgabenbestimmung in V 26 nur die Herrschaft über die Fische, die Vögel und die domestizierten Tiere angesprochen wird, nicht jedoch über die Wildtiere. Die Menschen dürften also die wilden Tiere nicht für sich nutzen, sondern hätten vielmehr die Verantwortung, den Lebensraum, den sie mit ihnen teilen, zu schützen bzw. ihnen den von ihnen benötigten Lebensraum – also ihr Habitat – zuzuerkennen. Das käme für die Menschen freilich einer nicht unbedeutenden Einschränkung gleich, sich die Erde anzueignen bzw. sie zu nutzen. Nachdem aber – immer der inklusiven Lesart folgend – auch den Wildtieren kein Verfügungsrecht über die domestizierten Tiere zuerkannt wird, sondern nur über die Fische, die Vögel und die Kriechtiere, könnte man indirekt das Recht der Menschen herauslesen, ihr Hausvieh bzw. die Nutztiere vor den Angriffen der Wildtiere zu schützen – mehr aber auch nicht39.

      Allerdings geht diese inklusive Lesart von V 28 – wie soeben bereits angeklungen ist – davon aus, dass die im Herrschaftsauftrag neben den Fischen und Vögeln genannten Tiere nur die Kriechtiere sind, sodass der Auftrag sich auch an die wilden und domestizierten Tiere richtet.40 Beachtet man hingegen, dass sich die hebräische Formulierung „alle Tiere, die sich auf der Erde regen“, nicht nur auf die Kriechtiere bezieht, sondern auf alle tierischen Lebewesen41, stellt sich die begründete Frage, ob V 28 – speziell der Herrschaftsauftrag – sich nicht doch exklusiv an die Menschen richtet. Dafür könnten einige Gründe sprechen wie z. B. der bereits angedeutet dialogische Charakter, dass Gott „zu ihnen“ spricht. Die Auslegung, dass der Auftrag des СКАЧАТЬ