Der Mensch und das liebe Vieh. Martin M. Lintner
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Название: Der Mensch und das liebe Vieh

Автор: Martin M. Lintner

Издательство: Bookwire

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isbn: 9783702236359

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СКАЧАТЬ die Schöpfung gut?

      Zum Problem der Übel und des Leidens in der Natur

       (Christoph J. Amor)

      2.1 Stellenwert und Bedeutung des christlichen Schöpfungsbegriffs

      Der Schöpfungsglaube, d. h. die Überzeugung, dass Gott Himmel und Erde gemacht hat (vgl. Gen 1,1), bildet das Eingangstor zur Bibel. Der exponierten Stellung innerhalb der biblischen Schriften korrespondiert die Wichtigkeit dieser Glaubensüberzeugung im Christentum. Die Zentralität des Bekenntnisses zu Gott als Schöpfer für den christlichen Glauben verdeutlicht u. a. das Apostolische Glaubensbekenntnis. In diesem Gebet, dessen Ursprünge in die Frühphase der christlichen Bewegung zurückreichen,65 werden von Gott nur wenige Eigenschaften ausgesagt. Umso bedeutsamer ist das Bekenntnis des Schöpferseins Gottes: „Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde“.66

      Der Begriff „Schöpfung“ wird im Christentum unterschiedlich verwendet und weist mehrere Bedeutungen auf.67 Mit „Schöpfung“ beziehen sich Christen erstens auf den Akt bzw. den Prozess des Hervorbringens des Nichtgöttlichen durch Gott. Nach traditioneller Lehrauffassung hat Gott das Universum aus nichts erschaffen. Die Lehre von der Erschaffung aus nichts (creatio ex nihilo) bringt die Überzeugung zum Ausdruck, dass alles, was außer bzw. neben Gott existiert, von Gott entweder unmittelbar ins Dasein gerufen wurde oder seine Existenz indirekt dem anfänglichen Schöpfungsakt verdankt. „Schöpfung“ besagt zweitens die Erhaltung des Geschaffenen. Gott erhält das Geschaffene fortwährend im Dasein. Er sichert so den Fortbestand der Geschöpfe und verhindert, dass sie sich in nichts auflösen. Diese bewahrende Tätigkeit Gottes wird in der Tradition creatio continua oder conservatio genannt. Dass der erhaltende Einfluss Gottes nicht rein statisch, sondern dynamisch zu denken ist und das Entstehen von Neuem aus bereits Vorhandenem ermöglicht, betont die dritte Bedeutung. In der theologischen Fachsprache hat sich die Bezeichnung creatio evolutiva für diese besondere Art des innerweltlichen Handelns Gottes eingebürgert.

      2.2 Die Evolutionstheorie

      Die Glaubensaussage von der Schöpfertätigkeit Gottes ist in der Neuzeit unter Druck geraten. In unserer stark naturwissenschaftlich geprägten Gesellschaft gilt der christliche Schöpfungsglaube vielfach als überholt bzw. widerlegt. Eine starke Erschütterung erfuhr er im 19. Jahrhundert. 1859 veröffentlichte der englische Naturwissenschaftler Charles Darwin (1809–1882) sein Hauptwerk On the Origin of Species by Means of Natural Selection (dt.: Über die Entstehung der Arten). Mit dieser epochemachenden Schrift, in der die sogenannte Deszendenz-, d. h. Abstammungslehre entfaltet wird, schuf der englische Naturforscher die Grundlagen für die moderne Biologie und die heutige Evolutionstheorie.68 1871 wandte Darwin in seinem Buch The Descent of Man, and Selection in Relation to Sex den Entwicklungsgedanken auf den Menschen an. Mit der Eingliederung des homo sapiens in die Evolutionskette löste er eine heftige akademische Debatte in Naturwissenschaft, Philosophie und Theologie aus. Schon bald wurde seine Deszendenztheorie auch in der breiten Öffentlichkeit diskutiert und spaltete die Gesellschaft in zwei Lager. Befürworter und Gegner Darwins bekämpften sich bisweilen erbittert. Die Heftigkeit der Grabenkämpfe rührt nicht zuletzt von den damaligen wissenschaftstheoretischen und weltanschaulichen Hintergrundannahmen her.69

       a) Moderne Naturwissenschaft und Physikotheologie

      Darwin veröffentlichte seinen Grundgedanken von der Entwicklung des Lebens aus einer Wurzel in einer Zeit des wissenschaftlichen Auf- und Umbruchs. Die noch junge Naturwissenschaft, deren Anfänge ins 17. Jahrhundert datieren, befand sich im 18. Jahrhundert kontinuierlich auf dem Vormarsch. Zeitgleich erlebte auch die natürliche Theologie in Gestalt der sogenannten Physikotheologie einen regelrechten Boom in Westeuropa. Die experimentelle Naturbetrachtung stand damals vielfach unter einem religiösen Vorzeichen. Theologie und Naturwissenschaft waren noch nicht strikt voneinander getrennt. Die Erforschung der Natur, die wissenschaftliche Betrachtung der Dinge diente aus Sicht der Physikotheologie einem dreifachen Zweck: Sie sollte den Menschen erstens für das Wunder des Lebens sensibilisieren. Die Komplexität und Schönheit des Geschaffenen sollte ihn zum bewundernden Staunen bewegen. Vom aufmerksamen Lesen im Buch der Natur erhoffte man sich zweitens Rückschlüsse auf die Beschaffenheit des Schöpfers. Die wissenschaftliche Welt- und Selbsterfahrung diente drittens der menschlichen Selbsterkenntnis und der Verwirklichung des rechten Gottes- und Weltverhältnisses. „An allem, was sich in dieser Welt findet und alltäglich vorgeht, soll dem Menschen die Zuwendung seines Gottes aufgehen und ihn zu Ehrfurcht, Lob und Dank bringen.“70

      In der Physikotheologie des 17. und 18. Jahrhunderts kam es zu einer gegenseitigen Befruchtung von Theologie und Naturwissenschaft. Der empirische Erkenntnisfortschritt warf nicht nur die Frage nach Gott auf, sondern stärkte den Glauben an den Schöpfergott. „In dem Maß, in dem die Natur enträtselt und einsichtig wurde, wuchs auch die Überzeugung, darin unmittelbar den Gedanken des Schöpfers und Erhalters zu begegnen.“71 Die wissenschaftliche Hinwendung zur Natur war dabei von der religiösen Überzeugung getragen, dass die Geschöpfe Gottes eine verständliche und klare Sprache sprechen. Da sie aus der Hand des weisen Schöpfergottes hervorgegangen war, wurde die gesamte Wirklichkeit als grundsätzlich erkennbar, als intelligible Größe aufgefasst.72

      Eine wichtige Rolle in der Physikotheologie spielten teleologische Argumente. In der Bezeichnung „teleologisch“ steckt der griechische Begriff telos (Ziel, Zweck). Er besagt die Zielgerichtetheit bzw. die Ausrichtung auf einen Zweck. „Ausgangspunkt dieser Argumente ist die Tatsache, dass manche Strukturen und Prozesse in der Welt so erscheinen, als seien sie durch einen intelligenten Planer eingerichtet worden.“73 Physikotheologen deuteten die Ordnung und Zweckmäßigkeit der Natur als Hinweis auf ihren göttlichen Urheber.74 „Verschiedenste Naturphänomene wurden als Beweis für die Existenz eines weisen göttlichen Weltenordners betrachtet, etwa die Regelmäßigkeit von Planetenbewegungen, Fisch- und Vogelzügen, der Feinaufbau und die Umwelttauglichkeit von einzelnen Organen oder ganzen Organismen, die soziale Organisation von Bienen- u. a. Insektenstaaten“75.

       b) Infragestellung klassischer Deutungsmuster

      Durch Darwin geriet die teleologische Argumentation ins Wanken. Die erstaunlich differenzierte Struktur der Organismen und ihre Angepasstheit an die Umwelt wird in der Evolutionstheorie nicht mehr auf den Einfluss eines intelligenten göttlichen Planers zurückgeführt, sondern durch rein natürliche Ursachen und Faktoren erklärt. An die Stelle einer theologischen Erklärung trat nun eine natürliche. Die bislang leitende Vorstellung einer übernatürlichen, göttlichen Erschaffung und Erhaltung der Organismen wurde ersetzt durch die Theorie einer natürlichen Abstammung und Entwicklung der Arten.

      Vor Darwin ging man in Physikotheologie und Biologie durchweg von der Konstanz der Arten aus. Man war davon überzeugt, dass die Arten der Organismen im Laufe der Naturgeschichte im Wesentlichen stabil geblieben seien und sich nicht grundlegend verändert hätten. Theologisch gedeutet hieß dies, dass Gott alle Arten einzeln bzw. unabhängig voneinander erschaffen und optimal in die jeweilige Umwelt eingefügt habe. Die Evolutionstheorie entwarf dagegen ein ganz anderes Bild der Wirklichkeit. Laut Darwin stammen die komplexeren Arten von früheren, weniger komplexen Formen des Lebens ab. Das Leben auf Erden habe sich allmählich durch einen natürlichen Mechanismus entwickelt. Gestützt auf Fossilienfunde und vergleichende Studien der physiologischen Merkmale skizzierte Darwin eine Abfolge der Arten, die von den einfachsten Bakterien bis hin zu hoch entwickelten Säugetieren СКАЧАТЬ