Название: Sedieren ohne Medikamente
Автор: Elvira Lang
Издательство: Bookwire
Жанр: Документальная литература
Серия: Hypnose und Hypnotherapie
isbn: 9783849783822
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Wir stellen die Techniken, Methoden, Strategien, Informationen und Ansichten in diesem Buch auf der Grundlage unseres Trainings, unserer umfassenden Erfahrung und der in 30 Jahren eigener Forschung gesammelten Erkenntnisse nach bestem Wissen und Ermessen dar. Wir teilen in diesem Buch unsere Erfahrungen und Forschungsergebnisse mit medizinischen Fachkräften, die daraus ihre persönliche Auswahl treffen können. Sie können einige oder alle der hier beschriebenen Techniken, Methoden und Strategien übernehmen, die sie für passende Ergänzungen ihres eigenen Arbeitsumfelds halten. Allerdings sollte keine Handlung nur aufgrund der Informationen durchgeführt oder unterlassen werden, die wir hier vorstellen.
Die in diesem Buch präsentierten Hypnosetechniken sind für die Anwendung durch das medizinische Fachpersonal gedacht, das seinen Patienten dabei helfen möchte, sich selbst zu helfen, um mit dem laufenden medizinischen Eingriff besser zurechtzukommen. Auf keinen Fall ist es unsere Absicht, den Leser auf irgendeine Weise zu anderen Anwendungen oder zur Erweiterung dieser Techniken zu ermutigen.
Wir sind von der Effektivität und Sicherheit unserer Techniken überzeugt, wenn sie nach Vorschrift angewandt werden. Wir lehnen jedoch jegliche Verantwortung für individuelle Anwendungen, den Gebrauch oder Missbrauch der Techniken, Methoden, Strategien, Informationen und Ansichten, die in diesem Buch vorgestellt werden, ab.
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verzichten wir in diesem Buch darauf, geschlechterspezifische Formulierungen zu verwenden. Personenbezogene Bezeichnungen in der männlichen grammatischen Form beziehen sich auf alle Geschlechter.
2 Für den von uns verwendeten englischen Begriff procedure hypnosis gibt es noch keinen etablierten deutschen Terminus. Als Pionierinnen dieser Methode sprechen wir in diesem Buch von Verfahrenshypnose oder Kurzzeitbegleithypnose.
3 Rapport (frz. für »Beziehung, Verbindung«) bezeichnet eine aktuell vertrauensvolle, von wechselseitiger empathischer Aufmerksamkeit getragene Beziehung, d. h. »guten Kontakt« zwischen zwei Menschen (https://de.wikipedia.org/wiki/Rapport_(Psychologie) [Zugriff: 07.12.2021].
1 Vertrauen aufbauen
Fallbeispiel 1: Vertrauen und Selbstvertrauen im Chaos
Frau B. hatte die Anwendung schneller Hypnosetechniken bei Patienten bei uns erlernt, als sie in Boston Medizin studiert und mit mir zusammengearbeitet hatte. Während einer späteren Phase ihres medizinischen Praktikums verbrachte Frau B. einige Monate auf einer kleinen Insel vor der südamerikanischen Küste. In ihrer ersten Woche im Inselkrankenhaus assistierte sie bei einer Kaiserschnittentbindung. Wegen medizinischer Komplikationen konnte die Patientin D. nicht wie gewohnt intubiert werden. Da es nicht gelang, den Tubus in ihre Atemwege einzuführen, konnte die Patientin keine Allgemeinanästhesie bekommen. Und für eine Periduralanästhesie (rückenmarknahe Regionalanästhesie) war es zu spät. Der Zustand der Patientin war kritisch – sie musste sofort per Kaiserschnitt entbunden werden – deshalb beschloss das medizinische Team, ohne Anästhesie zu operieren. Auf der Insel war die medizinische Ausstattung sehr limitiert. Das Ärzteteam hatte als Anästhetikum nur Lidocain zur Hand, das lokal die Haut betäubt. Davon injizierten sie der Mutter reichlich in die Bauchhaut.
Vorsichtig setzte der Chirurg den ersten Schnitt, den die Patientin, zur Erleichterung aller, duldete, ohne mit der Wimper zu zucken. Beim nächsten Schnitt begann sie jedoch wegen unerträglicher Schmerzen zu schreien, obwohl der Arzt so schnell wie nur möglich vorging. Als der Uterus geöffnet wurde, schlug die Patientin wild um sich, wehrte sich, biss und schrie vor Schmerz und versuchte, vom Operationstisch zu klettern. Es war unmöglich, das Baby zu holen, während die Patientin derart kämpfte und sehr stark blutete. Als alle erkannten, wie hoch der Blutverlust und die Gefahr für Mutter und Kind waren, schrien die Chirurgen die Anästhesisten an, sie sollten doch die Patientin beruhigen. Die Anästhesisten waren hilflos und hielten sich mit ihren Antworten nicht zurück. Obwohl sich drei Menschen über die Patientin beugten und versuchten, sie zu fixieren, war es den Chirurgen unmöglich, mit der Operation fortzufahren. Sie konnten weder das Kind holen noch den Blutverlust stoppen. Die Patientin schrie und kämpfte, die medizinischen Fachkräfte brüllten, versuchten mit aller Kraft, die Mutter zu halten, und das Blut spritzte in alle Himmelsrichtungen. Mit jeder Minute, die verstrich, wurde es offensichtlicher, dass das Leben von Mutter und Kind verloren war, wenn nicht bald etwas passierte.
Bis zu diesem Punkt hatte Frau B. nur ungläubig zugesehen und darauf gewartet, dass jemand eingreift und der schrecklichen Situation ein Ende bereitet. Sie hatte überlegt, eine Hypnose vorzuschlagen, zögerte aber. Denn sie hatte keine Ahnung, was das medizinische Team von Hypnose hielt oder wie die Beteiligten auf ihren Vorschlag reagieren würden. Die Minuten vergingen. Während im Operationssaal das Chaos um die Patientin tobte, kämpfte Frau B. mit ihren Selbstzweifeln, ob sie die schnellen Hypnosetechniken vorschlagen sollte, die sie in den Trainingsstunden bei uns gelernt hatte. Vielleicht würde ihr niemand zuhören. Würde sie die Patientin in einer Situation, die so weit außer Kontrolle geraten war, zur Mitarbeit anregen können? Frau B. wusste nur zu gut, dass sie ihr Gesicht und ihre Glaubwürdigkeit verlieren könnte, wenn sie eine Hypnose versuchen und dabei scheitern würde. Zu diesem Zeitpunkt war allerdings klar, dass niemand sonst einen Schritt nach vorne wagen und die Krise beenden würde. Eine Hypnose ist vielleicht unsere letzte Hoffnung, dachte sie. Frau B. wusste, dass sie die Hypnosetechniken gut erlernt hatte. Als sie innerlich zu dem irgendwie tröstlichen Schluss gekommen war, dass alles wohl nicht schlimmer werden kann, fand sie das Selbstvertrauen zu handeln. Sie trat an den Operationstisch heran.
Frau B. sagte den Fachkräften mit fester Stimme, sie könne vielleicht helfen und müsse nur ein paar Minuten mit der Patientin reden. Alle schauten sie an, und zu ihrer Verwunderung ließen sie sie nach vorne, neben den Kopf der Patientin. Die war völlig außer sich, schrie, weinte und brüllte vor Angst und Schmerz. Frau B. atmete tief ein und fing an: »D., hören Sie mir zu, ich bin hier, um Ihnen zu helfen. Wir werden beide zusammenarbeiten, und Sie werden das Ganze gut hinter sich bringen. Alles, was ich von Ihnen möchte, ist, dass Sie mir gut zuhören. Sind Sie bereit?« Die Patientin sah Frau B. ängstlich an. »Atmen Sie tief ein« – die Patientin wurde still und atmete ein – »und lassen Sie alles heraus, so ist es gut. Und noch ein tiefer Atemzug.« Die Patientin hörte Frau B. aufmerksam zu und folgte ihren Anweisungen. »Es ist alles in Ordnung, Sie sind jetzt in Sicherheit«, sagte sie, »ich werde Ihnen helfen, diese Geschichte zu überstehen, konzentrieren Sie sich nur auf Ihren Atem, atmen Sie ein … und aus …« Der Operationssaal füllte sich mit Stille. Alle schauten zu und warteten, was als Nächstes geschieht. Die Patientin atmete gleichmäßig, ihr Körper entspannte sich langsam, ihr Impuls, zu schreien und zu kämpfen, ließ vollständig nach, und ihr Blutdruck und Herzschlag normalisierten sich. Frau B. leitete die Patientin nun an, sich vorzustellen, sie ginge nach Hause zu ihrer Hängematte am Strand, an einen ihr vertrauten, angenehmen Ort. Sobald sich die Patientin vorstellte, zu Hause angekommen zu sein, sagte Frau B., sie solle sich auf die Wellen und den blauen Himmel an diesem Lieblingsort konzentrieren. Ganz einfach, nichts Besonderes, nur das Vertraute und Sichere.
Nach einigen Minuten auf dem Weg in die Hypnose nickte Frau B. den Chirurgen zu, nun weiterzumachen. Diese traten behutsam nach vorne, um die Operation zum Abschluss zu bringen. Jeder im medizinischen Team beobachtete still, wie der Arzt sich dem Bauchschnitt näherte, um endlich das Baby in Empfang zu nehmen. Die Patientin bewegte sich nicht und lauschte nur der Stimme von Frau B. Welch unfassbare Erleichterung! Innerhalb von 20 Minuten beendeten die Ärzte behände den Kaiserschnitt, während die Patientin in tiefer Hypnose förmlich durch die Operation »schwebte«. Der Eingriff verlief erfolgreich, und Mutter und Kind erholten sich beide rasch und vollständig. СКАЧАТЬ