Название: Fjodor Dostojewski: Hauptwerke
Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754189153
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Auf eine, übrigens sehr behutsame Frage der Schwestern antwortete Aglaja kalt und hochmütig, als wolle sie die Sache damit abtun:
»Ich habe ihm nie mein Wort gegeben und ihn nie in meinem Leben als meinen Bräutigam betrachtet. Er steht mir ebenso fern wie jeder andere.«
Da fuhr Lisaweta Prokofjewna plötzlich auf.
»Das hatte ich nicht von dir erwartet«, sagte sie gekränkt. »Daß er als Bräutigam unmöglich ist, das weiß ich, und Gott sei Dank, daß es so gekommen ist; aber von dir hätte ich solche Reden nicht erwartet. Ich hatte geglaubt, du würdest dich anders dazu stellen. Ich würde am liebsten alle, die gestern hier waren, fortjagen und ihn allein dabehalten; so ein Mensch ist das ...!«
Hier brach sie plötzlich ab, da sie selbst über das, was sie gesagt hatte, einen Schreck bekam. Aber wenn sie gewußt hätte, wie sehr sie ihrer Tochter in diesem Augenblick Unrecht tat! Aglaja hatte sich in ihrem Kopf schon alles zurechtgelegt; auch sie wartete auf ihre Stunde, die alles entscheiden sollte, und jede Andeutung, jede unvorsichtige Berührung schlug ihrem Herzen eine tiefe Wunde.
VIII
Auch für den Fürsten begann dieser Tag damit, daß er sich von üblen Ahnungen bedrückt fühlte; diese ließen sich ja zwar durch seinen krankhaften Zustand erklären, aber seine Traurigkeit hatte doch einen gar zu unbestimmten Charakter, und das war für ihn das Qualvollste. Allerdings standen ihm bestimmte Tatsachen deutlich vor Augen, schmerzliche, peinliche Tatsachen; aber seine Traurigkeit ging doch über alles hinaus, was ihm Gedächtnis und Denkkraft als Stoff dafür darboten; er sah ein, daß er sich nicht beruhigen werde, wenn er allein bliebe. Allmählich setzte sich in seinem Kopf die Erwartung fest, daß sich noch an diesem Tag mit ihm etwas Besonderes und Entscheidendes begeben werde. Der Anfall, den er tags zuvor gehabt hatte, war von leichterer Art gewesen: außer einer starken Niedergeschlagenheit, einer gewissen Schwere im Kopf und einen Schmerz in den Gliedern fühlte er keine andere gesundheitliche Störung. Sein Kopf arbeitete durchaus normal, obgleich die Seele krank war. Er stand sehr spät auf und erinnerte sich sofort mit aller Deutlichkeit an den gestrigen Abend; auch daran erinnerte er sich, wenn auch nicht ganz klar, daß man ihn eine halbe Stunde nach dem Anfall nach Hause gebracht hatte. Er erfuhr, daß bereits ein Bote von Jepantschins bei ihm erschienen war, um nach seinem Befinden zu fragen. Um halb zwölf erschien ein zweiter; das freute ihn. Wjera Lebedjewa war die erste, die ihn besuchte und für seine Bedürfnisse sorgte. Im ersten Augenblick, als sie ihn erblickte, fing sie auf einmal an zu weinen; aber als der Fürst sie sofort beruhigte, lachte sie auf. Ihn überraschte das starke Mitgefühl, das dieses Mädchen für ihn empfand; er ergriff ihre Hand und küßte sie ihr. Wjera errötete.
»Ach, was tun Sie, was tun Sie!« rief sie erschrocken und zog schnell ihre Hand weg.
Sie ging in seltsamer Aufregung bald wieder weg. Unter anderm hatte sie ihm erzählt, ihr Vater sei an diesem Tag schon ganz frühmorgens zu dem »Dahingeschiedenen« gelaufen, wie er den General nannte, um nachzufragen, ob er in der Nacht gestorben sei; es verlaute, er werde wahrscheinlich bald sterben. Kurz vor zwölf Uhr kam auch Lebedjew selbst nach Hause und zum Fürsten, aber eigentlich »nur auf einen Augenblick, um sich nach dem kostbaren Befinden zu erkundigen«, und so weiter und außerdem dem »Schränkchen« einen Besuch abzustatten. Da er nichts anderes tat als ächzen und stöhnen, so machte der Fürst, daß er ihn bald wieder los wurde; aber Lebedjew versuchte doch noch, sich nach dem gestrigen Anfall zu erkundigen, obgleich er offenbar darüber bereits in allen Einzelheiten orientiert war. Nach ihm kam Kolja herangelaufen, ebenfalls nur auf einen Augenblick; dieser hatte es wirklich eilig und befand sich in einer starken düsteren Unruhe. Er begann damit, daß er den Fürsten geradezu und inständig bat, ihm alles mitzuteilen, was man ihm noch verberge; das meiste habe er schon am gestrigen Tag erfahren. Er war tief und heftig erschüttert.
Mit aller möglicher Teilnahme, deren er nur fähig war, erzählte ihm der Fürst den ganzen Hergang, indem er die Tatsachen in voller Deutlichkeit hinstellte; diese Mitteilungen waren für den armen Jungen ein Donnerschlag. Er vermochte kein Wort herauszubringen und weinte schweigend. Der Fürst fühlte, daß dies einer jener Eindrücke war, die sich nie wieder verwischen und im Leben eines Jünglings für alle Zeit einen Merkstein bilden. Er beeilte sich, ihm seine Ansicht über die Angelegenheit mitzuteilen, und fügte hinzu, daß seiner Ansicht nach vielleicht auch der Tod des alten Mannes seine Ursache hauptsächlich in dem Gefühl des Schreckens gehabt habe, das in seinem Herzen nach dem Vergehen zurückgeblieben sei, und daß dazu nicht jeder Mensch fähig sei. Koljas Augen funkelten, während er den Fürsten reden hörte.
»Abscheuliche Menschen sind Ganja und Warja und Ptizyn! Ich werde mich nicht mit ihnen herumstreiten; aber unsere Wege gehen von nun an auseinander! Ach, Fürst, ich habe seit gestern sehr viel neue Empfindungen durchgemacht; das ist eine schwere Prüfung für mich! Auch für meine Mutter glaube ich jetzt selbst sorgen zu sollen; sie befindet sich ja zwar in Warjas Pflege; aber das ist doch nicht das Richtige ...«
Er sprang auf, da er sich erinnerte, daß er erwartet werde, fragte noch schnell nach dem Gesundheitszustand des Fürsten und fügte, als er die Antwort gehört hatte, plötzlich eilig hinzu:
»Gibt es sonst nichts Neues? Ich hörte, daß gestern ... übrigens habe ich kein Recht, davon zu reden; aber wenn Sie jemals in irgendeiner Sache einen treuen Diener nötig haben, so steht ein solcher vor Ihnen. Es scheint, daß wir beide nicht ganz glücklich sind, nicht wahr? Aber ... ich stelle keine Fragen, ich stelle keine Fragen ...«
Er ging weg; der Fürst aber versank noch mehr in seine Gedanken: alle Leute prophezeiten ihm Unheil; alle hatten bereits aus dem Geschehenen ihre Schlüsse gezogen; alle sahen so aus, als ob sie etwas wüßten, etwas, was er nicht wisse; Lebedjew fragte ihn aus; Kolja machte direkte Andeutungen; Wjera weinte. Zuletzt machte er ärgerlich eine Handbewegung, als würfe er alles hinter sich: »Weg mit der verdammten krankhaften Zweifelsucht!« dachte er. Sein Gesicht hellte sich auf, als er zwischen ein und zwei Uhr die Jepantschinschen Damen eintreten sah, die ihm »auf ein Augenblickchen« einen Besuch machen wollten. Lisaweta Prokofjewna hatte, als sie vom Frühstückstisch aufstand, erklärt, sie würden jetzt alle spazierengehen, und zwar alle zusammen. Diese Mitteilung war kurz, trocken, ohne Erläuterungen in Form eines Befehls erfolgt. Alle hatten sich demnach aufgemacht, das heißt die Mama, die jungen Mädchen und der Fürst Schtsch. Lisaweta Prokofjewna hatte ohne weiteres die entgegengesetzte Richtung von derjenigen eingeschlagen, die sie täglich einzuschlagen pflegten. Alle hatten gemerkt, um was es sich handelte, und alle hatten geschwiegen, da sie sich fürchteten, die Mama zu reizen; diese aber war, wie wenn sie einen Vorwurf und die Erwiderung darauf vermeiden wollte, allen vorangegangen, ohne sich umzudrehen. Schließlich hatte Adelaida bemerkt, auf einem Spaziergang brauche man doch nicht so zu laufen, und sie könnten mit der Mama gar nicht mitkommen.
Da hatte sich Lisaweta Prokofjewna auf einmal umgedreht und gesagt: »Also wir kommen jetzt bei ihm vorbei. Wie nun auch Aglaja darüber denken mag, und was sich auch weiter ereignen mag, jedenfalls ist er uns kein Fremder, und jetzt ist er obendrein unglücklich und krank; ich wenigstens werde jetzt zu ihm herangehen und ihn besuchen. Wer mit mir hereinkommen will, kann es tun; wer es nicht will, kann vorbeigehen; dem ist der Weg nicht versperrt.«
Alle waren selbstverständlich mit hereingekommen. Der Fürst beeilte sich gebührendermaßen, noch einmal wegen der gestrigen Vase und ... wegen des erregten Anstoßes um Verzeihung zu bitten.
»Na, es hat nichts auf sich«, antwortete Lisaweta Prokofjewna. »Um diese Vase ist es nicht weiter schade, sondern um dich. Also merkst du jetzt selbst, СКАЧАТЬ