Название: Fjodor Dostojewski: Hauptwerke
Автор: Fjodor Dostojewski
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783754189153
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»Sehen Sie mal, Fürst: für gewöhnlich springt niemand aus dem Fenster; aber wenn eine Feuersbrunst ausbricht, dann springen am Ende auch der vornehmste Gentleman und die vornehmste Dame aus dem Fenster. Wenn es nötig ist, dann ist eben nichts zu machen, und unser Fräulein geht zu Nastasja Filippowna. Oder verwehrt man es etwa Ihrem Fräulein überhaupt auszugehen?«
»Nein, das nicht ...«
»Nun, wenn das nicht der Fall ist, dann braucht sie nur die Stufen vor der Haustür hinabzusteigen und geradewegs hinzugehen, nötigenfalls unter Verzicht auf die Rückkehr nach Hause. Es gibt manchmal Fälle, in denen man die Schiffe hinter sich verbrennt und sich die Rückkehr nach Hause benimmt; das Leben besteht doch nicht allein aus Dejeuners und Diners und Männern wie Fürst Schtsch. Mir scheint, Sie halten Aglaja Iwanowna für ein Modedämchen oder für ein Pensionsfräulein; ich habe darüber schon mit ihr gesprochen, und sie schien meiner Ansicht zu sein. Passen Sie um sieben oder acht Uhr auf ... Ich würde an Ihrer Stelle jemand dorthin schicken, um Wache zu halten, damit Sie genau den Augenblick abpassen, wo sie aus der Haustür tritt. Schicken Sie doch Kolja hin; Sie können sicher sein, daß er mit Vergnügen Spionsdienste leisten wird, das heißt für Sie ... denn diese moralischen Dinge haben alle nur einen relativen Wert ... Haha!«
Ippolit ging hinaus. Der Fürst sah keinen Anlaß dazu, jemand um Spionsdienste zu ersuchen, selbst wenn er dazu fähig gewesen wäre. Aglajas Befehl, er solle zu Hause bleiben, war jetzt beinah aufgeklärt: vielleicht wollte sie ihn abholen. Denkbar war allerdings auch, daß sie nicht wünschte, daß er durch irgendeinen Zufall dorthin geriete, und ihm deshalb befohlen hatte, zu Hause zu bleiben ...
Auch das war möglich. Der Kopf schwindelte ihm; das ganze Zimmer drehte sich um ihn. Er legte sich auf das Sofa und schloß die Augen.
So oder so, jedenfalls kam die Sache jetzt zur Entscheidung, zum Abschluß. Nein, der Fürst hielt Aglaja nicht für ein Modedämchen oder für ein Pensionsfräulein; er fühlte jetzt, daß er schon längst gerade etwas Derartiges gefürchtet hatte; aber zu welchem Zweck wollte sie mit Nastasja Filippowna zusammenkommen? Ein kalter Schauder lief ihm über den ganzen Leib; er fieberte wieder.
Nein, er hielt sie nicht für ein Kind! Manche ihrer Blicke, manche ihrer Worte hatten ihn in der letzten Zeit erschreckt. Manchmal war es ihm vorgekommen, als ob sie sich zu sehr Zwang antat, sich zu sehr zurückhielt, und er erinnerte sich, daß ihn das geängstigt hatte. Allerdings hatte er sich alle diese Tage her bemüht, nicht daran zu denken, hatte die bedrückenden Gedanken verscheucht; aber was lag in dieser Seele verborgen? Diese Frage hatte ihn schon lange gequält, obgleich er an diese Seele glaubte. Und nun sollte dies alles heute zur Entscheidung gelangen und aufgedeckt werden! Ein entsetzlicher Gedanke! Und dann auf der andern Seite »dieses Weib«! Warum hatte er nur immer die Vorstellung gehabt, daß dieses Weib gerade im letzten Augenblick erscheinen und sein ganzes Schicksal wie einen mürben Faden zerreißen werde? Daß er immer diese Vorstellung gehabt habe, das hätte er jetzt beschwören mögen, obgleich seine Gedanken fast so wirr waren wie im Fieber. Wenn er sich in der letzten Zeit bemüht hatte, »sie« zu vergessen, so hatte er das einzig und allein getan, weil er sie fürchtete. Wie stand es: liebte er dieses Weib, oder haßte er es? Diese Frage legte er sich heute kein einziges Mal vor; in dieser Hinsicht war sein Herz rein: er wußte, wen er liebte ... Er fürchtete nicht sowohl die Zusammenkunft der beiden, nicht die Seltsamkeit und den ihm unbekannten Grund dieser Zusammenkunft, nicht die Entscheidung, wie auch immer sie fallen mochte: er fürchtete Nastasja Filippowna selbst. Er erinnerte sich sogar später, nach einigen Tagen, daß ihm in diesen fieberhaften Stunden fast die ganze Zeit über ihre Augen und ihr Blick vor der Seele gestanden hatten, daß er ihre Worte, seltsame Worte, zu hören geglaubt hatte, obgleich nach diesen fieberhaften, kummervollen Stunden ihm nachher nur sehr wenig Erinnerung zurückgeblieben war. Er erinnerte sich zum Beispiel kaum daran, daß Wjera ihm das Mittagessen gebracht und er gegessen hatte; aber er erinnerte sich nicht, ob er nach dem Essen geschlafen hatte oder nicht. Er wußte nur, daß er an diesem Abend alles erst von dem Augenblick an völlig klar zu unterscheiden angefangen hatte, als Aglaja auf einmal zu ihm auf die Veranda gekommen und er vom Sofa aufgesprungen und in die Mitte des Raums getreten war, um sie zu begrüßen: es war ein Viertel auf acht. Aglaja war ganz allein; sie trug einfache Kleidung, die sie anscheinend in der Hast angelegt hatte, darüber einen leichten Burnus. Ihr Gesicht war blaß wie vorhin; aber ihre Augen funkelten in einem hellen, trockenen Glanz; einen solchen Ausdruck der Augen hatte er bisher nie an ihr kennengelernt. Sie blickte ihn aufmerksam an.
»Sie sind ganz fertig«, bemerkte sie leise und anscheinend ruhig; »angezogen und mit dem Hut in der Hand; also hat Sie jemand benachrichtigt, und ich weiß auch, wer: Ippolit?«
»Ja, er hat es mir gesagt ...«, murmelte der Fürst, beinah halbtot vor Aufregung.
»Nun, dann kommen Sie; Sie wissen, daß Sie mich unbedingt begleiten müssen. Ich meine, Sie sind doch wohl soweit bei Kräften, daß Sie ausgehen können?«
»Ja, das bin ich; aber ... ist es denn möglich?«
Er stockte sofort wieder und vermochte kein Wort mehr herauszubringen. Dies war sein einziger Versuch, die Wahnsinnige zurückzuhalten; dann folgte er ihr wie ein Sklave. Wie unklar auch seine Gedanken waren, so begriff er doch, daß sie auch ohne ihn dorthin gehen würde und er ihr daher unter allen Umständen folgen müsse. Er ahnte, wie stark ihre Entschlossenheit war; er war außerstande, diesen wilden Drang zu hemmen. Sie gingen schweigsam und redeten auf dem ganzen Weg kaum ein Wort. Es fiel ihm nur auf, daß sie den Weg genau kannte; und als er einen Umweg einschlagen wollte, weil da nicht so viele Menschen gingen, und ihr dies vorschlug, hörte sie, sich anscheinend zur Aufmerksamkeit zwingend, zu und antwortete kurz: »Es ist ja ganz gleich!« Als sie schon ganz nahe bei Darja Alexejewnas Haus waren, einem großen, alten Holzhaus, kam eine luxuriös gekleidete Dame in Begleitung eines jungen Mädchens aus der Haustür; beide stiegen in eine dort wartende elegante Equipage; sie lachten und redeten laut und warfen den beiden Herankommenden keinen Blick zu, wie wenn sie sie gar nicht bemerkten. Kaum war die Equipage weggefahren, als die Haustür sich sofort zum zweiten Mal öffnete und Rogoschin, der schon gewartet hatte, den Fürsten und Aglaja hereinließ und hinter ihnen die Tür zuriegelte.
»Im ganzen Haus ist jetzt niemand außer uns vieren«, bemerkte er laut und sah den Fürsten seltsam an.
Im ersten Zimmer erwartete sie Nastasja Filippowna, gleichfalls sehr einfach und ganz in Schwarz gekleidet; sie stand auf und kam ihnen einige Schritte entgegen; aber sie lächelte nicht und reichte dem Fürsten nicht einmal die Hand.
Ungeduldig hielt sie ihren unruhigen Blick auf Aglaja gerichtet. Beide setzten sich hin, in einiger Entfernung voneinander, Aglaja in einer Ecke des Zimmers auf das Sofa, Nastasja Filippowna am Fenster. Der Fürst und Rogoschin setzten sich nicht und wurden auch gar nicht aufgefordert, sich zu setzen. Der Fürst blickte wieder erstaunt und, wie es schien, mit tiefem Schmerz Rogoschin an; aber dieser lächelte immer noch ganz in seiner alten Art. Das Schweigen dauerte noch einige Augenblicke.
Dann trat endlich ein unheilverkündender Ausdruck auf Nastasja Filippownas Gesicht hervor; ihr Blick wurde starr, fest und haßerfüllt; sie wandte ihn nicht einen Augenblick von ihrer Besucherin ab. Aglaja war offenbar verwirrt, aber nicht etwa schüchtern. Beim Eintritt hatte sie ihrer Nebenbuhlerin kaum einen Blick zugeworfen und dann die ganze Zeit mit niedergeschlagenen Augen dagesessen, wie wenn sie in Gedanken versunken wäre. Ein paarmal ließ sie wie von ungefähr ihren Blick durch das Zimmer gleiten; auf ihrem Gesicht malte sich deutlich der Widerwille, den sie empfand, als ob sie sich hier zu beschmutzen fürchtete. Mechanisch brachte sie ihren Anzug in Ordnung und änderte sogar einmal unruhig ihren Platz, indem sie in die Sofaecke rückte. Sie war sich kaum selbst aller ihrer Bewegungen bewußt; aber СКАЧАТЬ