Am Ende des Regenbogens. Maria Rohmer
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Название: Am Ende des Regenbogens

Автор: Maria Rohmer

Издательство: Bookwire

Жанр: Сделай Сам

Серия:

isbn: 9783748563570

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СКАЧАТЬ oder wandert durch die Zimmer, weil er `so schlecht Luft kriegt`. Im Mai verschlechtert sich sein Zustand wieder. Sämtliche Beschwerden treten erneut verstärkt auf. Nun kann sich sein Arzt nicht mehr mit `wir haben Winter` und `eine Virusgrippe kann äußerst langwierig sein und sich schon mal gegen erprobte Arzneimittel resistent erweisen` herausreden. Mittlerweile glaubt er wohl selbst nicht mehr daran. Vater hat 20 Pfund an Gewicht verloren, ist nur noch ein Schatten seiner selbst. Jetzt endlich, nach fast acht Monaten, bekommt er die Überweisung zum Röntgenfacharzt. Jetzt endlich soll die Lunge durchleuchtet werden. Warum hat niemand von uns an das Naheliegendste gedacht? Warum nicht? Warum bloß nicht?

      Waren wir alle blind?

      Acht Monate hatte der Tumor, um zu wachsen. Die ganze lange Zeit ist nichts geschehen. Nichts, was ihn hätte stoppen können. Was hätten Antibiotika und Grippemittel gegen die anders gearteten Zellen ausrichten sollen?

      Das Resultat der Röntgenuntersuchung: „Da ist ein Schatten auf Ihrer Lunge. Das muss genauer abgeklärt werden. Sie müssen für einige Tage in die Klinik. Ambulant geht das nicht.“ Mit der Einweisung ins Kamillianer Krankenhaus kommt Vater nach Hause. Noch können wir uns etwas vormachen. Noch ist es nur ein Schatten auf der Lunge. Noch hat niemand das Wort ausgesprochen, dieses eine Wort ...

      Zwei Tage später ist ein Brett frei, früh morgens fahre ich Vater die kurze Strecke bis zur Klinik. Zur Anmeldung darf ich ihn nicht begleiten. „Fahr du nur zurück. Das schaffe ich schon alleine. Wer weiß, wie lange du hier warten müsstest. Du und Mutter, ihr kommt ja heute Nachmittag.“ Nimmt sich seine Tasche und ist raus aus dem Auto, bevor ich irgendetwas erwidern kann.

      Ziemlich überrumpelt bleibe ich zurück. Schaue ihm hinterher. Er ist nie ein Mensch gewesen, der seine Empfindungen zeigen oder darüber reden mochte. Und bevor ich sehen muss, wie sehr ihn die Sache mitnimmt, da schickt er mich lieber weg.

      Ich verstehe ihn.

      Das Reden, das wird er noch lernen, im Laufe der Zeit. Ich warte, bis er hinter der breiten Glastür verschwunden ist. Spüre seit langer Zeit wieder ein Gefühl von Zärtlichkeit für diesen Mann, der zwar biologisch mein Vater ist, der mir und meiner Schwester viele Jahre hindurch aber kein Vater war. Wir haben nebeneinander hergelebt, mehr nicht. Keiner hat den anderen an seinem Leben wirklich teilhaben lassen.

      Aber jetzt plötzlich weiß ich es: Wir werden uns wieder näherkommen, ganz allmählich, zaghaft, vorsichtig tastend. Wir werden sie wiederfinden: die alte, so lange zugeschüttete Vertrautheit. Die Gefühle füreinander, die früher einmal da waren und die solange keiner von uns mehr zulassen wollte - zulassen konnte.

      Ich weiß es.

      Auf dem Weg vom Wagen zur Glastür hat Vater eine halbe Zigarette geraucht. Es wird seine letzte gewesen sein. Nie mehr werden wir erleben, dass er sich eine anzündet. Ich sehe noch, wie er die angebrochene Schachtel in den Papierkorb rechts neben dem Eingang wirft. Dann schluckt das Halbdunkel der Eingangshalle seine Gestalt.

      Hier beginnt sein und unser Weg durch die Krankenhäuser und die Praxen unzähliger Ärzte. Unmöglich zu sagen, wie viele Stunden wir in den nun folgenden Monaten in Wartezimmern, Vorzimmern, Behandlungsräumen, auf Krankenhausfluren absitzen, ablaufen, abhoffen, abzittern werden.

      Hätten wir sie zählen sollen?

      Profis werden wir beide werden. Fachmenschen in Sachen Warten, in Sachen Geduld aufbringen. Ohne Buch für mich, ohne Tageszeitung oder Illustrierte für Vater, ohne Brötchen, Kaffee und Cola, ohne Medikamente - meist Tropfen gegen Übelkeit - ohne das alles werden wir nicht mehr unterwegs sein.

      Wir werden ihn lernen: Den Umgang mit Chefärzten, Oberärzten, Stationsärzten, Fachärzten, Arzthelferinnen, Pflegern und Krankenschwestern. Ohne sie wird es nicht mehr gehen, die Welt der Krankheit nimmt uns in sich auf. Hier werden andere Prioritäten gesetzt, andere Gesetze vorgegeben. Eine Welt voller dunkler Farben wartet auf uns.

      Aber immer wieder brechen einzelne Strahlen, bricht die Sonne durch. Trifft uns, mitten im schwärzesten Schwarz. Das ist Glück!

       7. Kapitel

      Nachmittags fahren wir beide, Mutter und ich in die Klinik. Meine Schwester, die wieder ganztags berufstätig ist und zwei Kinder hat, ist zwangsläufig gebundener, kann nur abends weg. Seit ich mit einem Seemann verheiratet bin, beschränke ich mich auf einen Halbtagsjob in der Drogerie, in der ich seit zehn Jahren arbeite. Ganz aufgeben wollte ich die Arbeit nicht, obwohl ein Seemann, wenn er dann auf Urlaub daheim ist, seine Ehefrau gerne ganz für sich hätte.

      Verständlicherweise, ist er doch fünf bis sechs Monate auf See.

      So habe ich mich eben aufgeteilt. Jetzt bin ich flexibler, abkömmlicher. Es sollte wohl so sein ... Wir gehen einen der endlos langen Flure entlang. Die letzte Tür ist es: Nummer 217.

      Wie stets, wenn ich ein Krankenzimmer betreten muss, hole ich tief Luft bevor ich die Türklinke runter drücke.

      Ich sehe meinen Vater das erste Mal in einem Krankenhausbett. Und erst jetzt, hier, in diesem sterilen, weißen Raum mit der hohen Decke und den kahlen Wänden, hier, in diesem sterilen, weißen Bett sieht er für mich krank aus. Die nächsten vierzehn Tage wird er hier verbringen müssen, aber so oft es möglich ist, flüchtet er: Raus in den angrenzenden Park, in dem er bald jeden Baum, jeden Strauch kennt. Glücklicherweise erlaubt ihm das Wetter diese Spaziergänge, denn das `Eingesperrt sein` erweist sich für ihn als das Schlimmste. Er, der zeitlebens gewöhnt war, draußen zu sein, unterwegs zu sein, empfindet die Enge eines Zimmers, das Beschränktsein auf die wenigen Quadratmeter, als beängstigend. Solange er `an die Luft kann`, lässt sich für ihn alles ertragen.

       8. Kapitel

      22.03.1993 - Der Tag.

      Seit heute Mittag können wir uns nichts mehr vormachen. Unsere Gnadenfrist ist abgelaufen, länger werden wir nicht verschont. Seit der Chefvisite heißt der Schatten auf dem Röntgenbild: Krebs.

      Das Ergebnis der Bronchoskopie lautet: Tumoröser Verschluss der Segmente S1 bis S3 links. Bei dem Patienten handelt es sich um ein zentrales Bronchialkarzinom des linken Lungenoberlappens. Tumorstadium T2 No Mo.

      Histologie: Kleinzelliges Karzinom, Limited-Disease, funktionell operabel (zumindest Lobektomie).

      Eine Untersuchung soll noch folgen um dieses:

      `Im Stadium der Limited-Disease halten wir eine Operation noch für möglich` zu bestätigen.

      Erneut vier Tage warten, hoffen. Vier lange Tage hinter sich bringen.

      Wir alle klammern uns an dieses: Operation noch möglich. Vor Monaten ist einer von Vaters Freunden ebenfalls an Lungenkrebs erkrankt. Er wurde operiert, und er schaffte es. Er lebt. Es ist also möglich. Und leben, das will Vater. Er ist gerade 59 geworden. Wer will da sterben? Sehr viel später wird er einmal zu Schwester Marion sagen: „Dass ich an dieser Krankheit irgendwann sterben könnte, habe ich immer vor Augen gehabt, aber ich war bereit, alles auf mich zu nehmen, um diesen Augenblick hinauszuzögern“.

      Und mein Vater wird kämpfen, kämpfen bis zum Schluss.

       9. Kapitel

      Heute morgen hat es sich entschieden: Operation - ja oder nein. Auf dem Flur schon kommt Vater uns entgegen. Wir schauen uns an, wagen nicht zu fragen. Er kann nur nicken, immer wieder nicken, während ihm die Tränen übers Gesicht laufen. Ich falle ihm um den Hals, klammere СКАЧАТЬ