Название: Am Ende des Regenbogens
Автор: Maria Rohmer
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783748563570
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Deine Krankheit war unser Weg. War uns vorher bestimmt um wieder zueinander zu finden. War unsere Chance. Wertvolle Zeit, die uns geschenkt wurde.
Zeit, für die ich unendlich dankbar bin. Wie vielen gibt das Schicksal diese Chance?
Wie viele erkennen sie nicht? Wir bekamen 14 Monate. Wir haben sie genutzt.
5. Kapitel
Frauenkron. Ein kleines Eifeldorf, nahe der belgischen Grenze. Ein Flecken mit nicht ganz 200 Einwohnern, die größtenteils immer noch von der Landwirtschaft leben. Einige arbeiten in der Holzfabrik im Nachbardorf, einige Jüngere haben in größeren Städten - wie Köln, Koblenz oder Trier - eine Beschäftigung gefunden und sind nur am Wochenende bei der Familie.
Am Ortseingang, links, in einem ehemaligen Fabrikgebäude, sind Asylanten untergebracht. Isoliert, abgeschnitten von der Dorfgemeinschaft. Das einzige, was sich hier verändert hat. Das einzig Wesentliche in all den Jahren. Immerhin sind es jetzt schon siebenunddreißig. Ich war sechs, noch nicht eingeschult, da kam ich zum ersten Mal hierher, mit Großeltern, Eltern und Schwester.
Großvater hatte hier sein Jagdrevier, kannte jeden, hatte viele Freunde, ließ sich, so oft es ihm möglich war, von Mönchengladbach hierher fahren. Selbst hatte er keinen Führerschein, also übernahm Vater die Rolle des Chauffeurs und die Liebe zu diesem Dorf und seinen Menschen.
Damals fuhr man noch `über die Dörfer`, schön gemächlich. Heute sucht man viele Orte umsonst, sie existieren nicht mehr. Die hat der Braunkohlenbagger zerstört, einfach weggebaggert. Die Landschaft hat sich total verändert.
Früher kam mir die Fahrt immer unendlich lang und anstrengend vor. Kein Wunder, wurde mir doch regelmäßig schlecht, und musste ich gegen das Würgen im Hals ankämpfen. Das habe ich übrigens beibehalten. Ob im Auto oder im Bus: bloß nicht hinten sitzen. Dann kann ich für nichts garantieren.
Ein paar Jahre später dann, als wir das Pony und die Kutsche hatten und immer in den Ferien hinfahren durften, saß ich mit im Viehtransporter. Da ging es besser, da saß ich vorne.
Noch später hinter dem Steuer des ersten eigenen Wagens, der meine Glückszahl - die fünf - gleich dreimal auf dem Nummernschild hatte.
Ich besaß den Führerschein, hatte mich von hinten rechts nach vorne links hingelebt. Dank Autobahn schaffe ich die Strecke heute in knapp einer Stunde. Der Fluchtweg raus aus der Großstadt hat sich beträchtlich verkürzt.
Großvaters und Vaters Freunde habe ich - soweit sie noch leben - samt Kinder und Enkelkinder übernommen. Hier, bei der Familie Häring, die die einzige Gaststätte im Dorf betrieb, haben die beiden so manche Nacht durchgemacht. Viel Freude gehabt, viel gelacht, aber auch so manchen Kummer mitgetragen, waren heimisch hier, gehörten dazu. Dieses Dorf und seine Einwohner haben ihnen zeitlebens viel bedeutet.
Für mich gibt es - neben meinem Elternhaus - zwei Orte, an denen ich das Gefühl verspüre: Hier bist du zuhause. Zwei ganz verschiedene Orte, aber an jedem bin ich geborgen. Frauenkron ist einer davon.
Hierher musste ich kommen, um Vaters Geschichte - unsere Geschichte - aufzuschreiben. Das geht nur hier, sonst nirgendwo. Hier bin ich ihm nah, nicht auf dem Friedhof, nicht, wenn ich an seinem Grab stehe. Was selten vorkommt, denn dort ist nur das, was von seinem Körper übrig geblieben ist - was von uns allen nur zurückbleibt - Knochen. Nichts weiter als ein paar Knochen in einem Sarg aus Eichenholz, der einmal zerfallen wird. Das, was den Menschen, was meinen Vater ausgemacht hat, das ist nicht dort unten in der Erde, das ist in mir und in allen drin, denen er etwas bedeutet hat. In jedem von uns ist ein Teil von ihm zurückgeblieben. Wenn ein Mensch geliebt wurde, kann nicht alles verlorengehen. Jeder von uns hat seine eigenen, ganz persönlichen Erinnerungen. Jeder von uns hat ihn anders erlebt, für jeden hat er etwas anderes bedeutet: Den Mann, den Vater, den Opa, den Onkel, den Bruder, den Freund. Jeder hat ein Stück seiner Persönlichkeit entdecken dürfen, jeder vermisst etwas anderes.
Weißt Du, was ich mir wünsche, wirklich von Herzen wünsche, Papa? Dass der liebe Gott mir nie die Erinnerung an den Klang Deiner Stimme, an Dein Weinen, an Dein Fluchen, die Erinnerung an Dein leises Lächeln, an Deinen Gang, an Deine Hilflosigkeit, an Deine Stärke, und besonders die Erinnerung an die letzten Stunden mit Dir nimmt. Vor diesem Tag hätte ich Angst.
Wir beide, Du und ich, haben schon vieles gemeistert im Leben. Jeder für sich - allein - oder einer mit dem anderen - gemeinsam. Wir waren schon ein tolles Team. Oder etwa nicht?
Wie viele Momente voller Traurigkeit haben wir erlebt - durchlebt. Wie oft haben wir uns umarmt, stumm, nur die Tränen flossen. Wie viele frohe, glückliche Stunden haben wir gehabt - auch während Deiner schweren Krankheit.
6. Kapitel
Wie vielen Patienten ist von ihrem Arzt schon - mal mehr, mal weniger einfühlsam - gesagt worden:
„Sie haben da einen bösartigen Tumor. Sie haben Krebs.“
Bis heute waren diese Patienten stets `die anderen`. Bis heute waren wir davon nicht betroffen. Bis heute, da wurde wieder ein Patient mit der Tatsache konfrontiert, die sein und das Leben seiner Familie von Stund an verändern wird. Der Patient ist mein Vater. Der Tumor sitzt in der Lunge. Es ist der 22.03.1993.
Jetzt - im nachhinein - bin ich mir sicher, dass alles schon viel früher begonnen hat. Schon sehr viel früher ... Nur hat damals keiner von uns an etwas Ernstes, an etwas Lebensbedrohliches gedacht.
Warum eigentlich nicht?
Anfang September 1992 erkrankt Vater an einer Grippe, die ihn - der nie wirklich `richtig` krank war - volle vierzehn Tage ans Bett fesselt. Ein Zustand, der neu ist für die Familie. Etwas, das erschreckt. Das kennen wir nicht an ihm, freiwillig bleibt er nicht so lange liegen. Es muss schlimm sein.
Völlig kraftlos ist er, nicht in der Lage, auch nur für kurze Zeit das Bett zu verlassen. Sein Hausarzt, der ihn seit vielen Jahren kennt, verordnet Antibiotika und Paracetamol Tabletten, die üblichen Medikamente in so einem Fall. Damit wird es besser werden. Nach zwei Wochen kann er aufstehen, aber bis er sich richtig erholt hat, dauert es noch lange.
Dann, Anfang Januar 1993, heißt es erneut: „Sie haben eine Virusgrippe. Aber es ist schließlich Winter, und erwischt hat es viele. Man kennt das ja. Jedes Jahr das gleiche. Dazu kommt bei Ihnen eine chronische Bronchitis, zurückzuführen auf Ihr starkes Rauchen.“
Wieder sollen Antibiotika Linderung bringen. Wieder sind es die gleichen Symptome: Husten, der ihn Tag und Nacht quält, Fieber, Schüttelfrost, Schmerzen in der linken Brust, im linken Arm, Atemnot. Er fühlt sich matt, zerschlagen, hat absolut keinen Appetit. Nur eines lässt er auch während dieser Zeit nicht: Das Rauchen.
Weniger zwar, aber 15 pro Tag werden es immer noch. Darüber kann man mit ihm nicht reden, und längst hat unsere Mutter es aufgegeben, ihn zu drängen, damit aufzuhören. Im Laufe der 39jährigen Ehe hat sie es mehr als einmal versucht - ohne Erfolg. Um nicht ständig Streitigkeiten heraufzubeschwören, hat sie es dann irgendwann bleiben lassen - schweren Herzens zwar - aber sicher besser so. Ein Problem, das vielen von uns vertraut ist.
Diesmal dauert es erheblich länger, bis Vater die Kraft СКАЧАТЬ