Название: Nächster Halt: Darjeeling-Hauptbahnhof
Автор: Christoph Kessel
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783745004892
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In Halifax, der Hauptstadt von Nova Scotia, mietete ich mir erneut ein Fahrrad. Leider wurde ich während meiner Tour mit immer neuen Problemen konfrontiert, was das Rad fahren anbetrifft. Waren es auf den Orkneys noch die Naturgewalten wie Sturm und Regen, die einem das Leben schwer machten, war es in Schottland, Island und nun in Halifax die Nachlässigkeit, mit der Radvermieter ihre stählernen Rösser behandelten. Die Gangschaltungen, falls sie funktionierten, waren so falsch eingestellt, dass einem passionierten Radfahrer wie mir, fast die Tränen kamen, da ich bei jeder Pedal-Umdrehung, das Knirschen von Metall auf Metall hören musste, ohne etwas dagegen tun zu können, weil Werkzeug natürlich ein Fremdwort war. Diesmal hatte der Drahtesel zwar eine Gangschaltung, doch die vordere war bloße Verzierung, da das Kabel, das zu ihr führte, total zerfetzt war. Wenigstens konnte ich die Kette auf das Mittel-Ritzel ziehen, sodass ich einigermaßen von der Stelle kam. Ziel meiner Tour waren die idyllisch gelegenen Fischerdörfer um Halifax an der Atlantikküste. Leider spielte das Wetter überhaupt nicht mit und diese 90 Kilometer Tour wurde zur Dauerdusche von oben durch den Dauerregen, von unten durch die mit Wasser vollgelaufenen Schlaglöcher und von der Seite durch die vorbeiziehenden Autos. Zum ersten Mal in meinem Leben radelte ich nun neben einem dieser monströsen Trucks, wie wir sie aus den Filmen von Hollywood zur Genüge kennen. Ich kam mir vor wie im »Enter-Sandman«-Video von Metallica oder bei Terminator 2, wo die Menschen vor diesen Trucks zu flüchten versuchen. Doch die Trucker waren mir nicht feindlich gesinnt. Mit einem Hupton verscheuchten sie mich rechtzeitig von der Straße in die Böschung am Straßenrand, sodass ich immer mit dem Schrecken davonkam.
Peggy’s Cove ist leider nicht mehr nur ein idyllisches Fischerdorf. Dort wurden im September 1998 die Wrackteile des Fluges Swissair 111 an Land gespült. Die Maschine stürzte in den Atlantik, nachdem die Piloten die Kontrolle über die MD 11 verloren hatten, da Rauch im Cockpit aufgetreten war. Ein Gedenkstein erinnert an diese Katastrophe in der Nähe des Dorfes. Halifax wurde in der Vergangenheit ebenfalls von einer Katastrophe heimgesucht. Am 6. Dezember 1917 gab es im Hafen die größte von Menschen verursachte Explosion vor der Zündung der Atombombe in Japan 1945. Das französische Munitionsboot »Mont Blanc« stieß im Hafen von Halifax mit dem belgischen Handelsschiff »Imo« zusammen. Die Crew des Munitionsboots wusste, was sie geladen hatte: u. a. mehr als 200 Tonnen TNT und 2.100 Tonnen Pikrinsäure, die für Sprengmaterial verwendet wird. Daher floh die Crew mit den Beibooten. Das Schiff explodierte erst 30 Minuten nach der Havarie. 1.900 Menschen kostete dieser Unfall das Leben. Der 1.000 Kilogramm schwere Anker des Schiffs wurde drei Kilometer von der Unfallstelle gefunden. Die Explosion war noch 300 Kilometer entfernt zu spüren und 150 Kilometer entfernt zu hören. Die Nachbarstaaten Nova Scotias und insbesondere die Stadt Boston halfen damals den Bewohnern von Halifax, sodass bis heute, als Zeichen der Anerkennung, Boston von Halifax jedes Jahr einen Weihnachtsbaum geschenkt bekommt.
Aufgrund dieser Explosion hat Halifax nicht mehr viele wirklich alte Gebäude zu bieten. Doch für mich war die Stadt wegen ihrer vielen Pubs und der perfekten Übernachtungsmöglichkeit in einem Hostel mit Küche, Internet, Café und Wohnzimmer ein schöner Aufenthaltsort geworden. Glücklicherweise brachte ein gewisser Alexander Keiths aus Schottland die gute Brautradition mit, sodass ich während einer Brauereiführung, die eher einem Theaterstück glich, gutes schottisches Ale genießen durfte. Das war das erste Mal, dass ich auf nordamerikanischem Boden anständiges Bier bekam. Ich war gespannt, wie dies in den kommenden Wochen aussehen würde. In Halifax merkte ich, dass die Welt doch ziemlich klein sein kann, denn mir lief zum ersten Mal ein Meenzer{41} Wesen über den Weg. Endlich konnte ich wieder »Meenzer Bube, Meenzer Mädche«{42} singen, ohne von allen Seiten schief angeguckt zu werden.
Von Halifax reiste ich mit dem Bus die Südostküste Nova Scotias entlang nach Lunenburg. Wie der Name erkennen lässt, war diese Stadt eine deutsche Gründung. Haupterwerbszweig war im 18. Jh. der Schiffbau gewesen. Viele der Bewohner sind damit sehr reich geworden. Ihre wunderschönen Holzbauten am Naturhafen konnte ich auch noch nach 250 Jahren bewundern. Das bekannteste Boot, das im Ort gebaut wurde, war »Bluenose« im Jahre 1921: ein Zweimaster-Holz-Segelboot, das eigentlich dem Fischfang dienen sollte, aber hauptsächlich für das jährliche Bootsrennen zwischen den USA und Kanada genutzt wurde. Von 1921 bis 1938 gewann die Bluenose jedes Rennen gegen die Boote aus den Vereinigten Staaten. Mit dem Ausbruch des 2. Weltkriegs gab es keine Rennen mehr und die Ära der Holzsegelboote war vorbei. Bluenose wurde 1942 nach Haiti verkauft und sank dort vor der Küste im Jahre 1946. 1963 wurde mit den gleichen Konstruktionsplänen Bluenose II gebaut. Seither kann man, wenn man Glück hat, mit Bluenose II vor der Küste Nova Scotias mitsegeln. Als ich das Boot in seinem Geburtshafen Lunenburg sah, musste ich natürlich mit auf den Segeltörn. Es war eine wunderschöne Erfahrung, das lautlose Gleiten des Schiffes zu erleben. Statt eines Dieselmotors waren bei dieser Reise das Knirschen des Holzparketts und das Flattern der Fahne die markanten Geräusche gewesen.
Manchmal kann Reisen ohne Auto in Kanada wirklich anstrengend sein. Der einzige täglich verkehrende Bus von Lunenburg nach Yarmouth an der Südwestküste von Nova Scotia fuhr ausgerechnet spätabends. Um Mitternacht kam ich in Yarmouth an. Da es kein Hostel gab, musste ich irgendwo zelten. Aber leider landete ich in einem großen Gewerbegebiet, sodass ich eine unfreiwillige Nachtwanderung von über einer Stunde zum nächsten Zeltplatz unternehmen durfte, ehe ich um halb zwei Uhr nachts endlich in meinen Schlafsack kroch. Am nächsten Morgen ging schließlich alles in umgekehrter Richtung zurück. Ich befand mich leider in der Zivilisation, wo Trampen unmöglich erschien, da ich mich bereits in der Stadt befand. Dass ich mich als Fußgänger langsam »Downtown«{43} einer nordamerikanischen Stadt näherte, merkte ich als erstes an den zunehmenden Spuren für die Autos auf Ausfallstraßen. Plötzlich existierten Trampelpfade am Seitenrand für ganz bescheuerte Menschen, die doch tatsächlich per Pedes unterwegs waren. Später wandelten sich die Pfade in Bürgersteige. Kurz vor Downtown wuchsen auf einmal statt riesiger Parkplätze und Einkaufszentren Bäume am Straßenrand, und hatte der McDonald’s keinen »Drive Thru«{44} mehr, befand ich mich tatsächlich in Downtown.
Von Yarmouth fuhr ich mit einem Katamaran die 200 Kilometer von der Halbinsel Nova Scotia nach Westen an die Ostküste der Vereinigten Staaten. Leider war ich der einzige Passagier unter 65 Jahren, aber da Amerikaner sehr kontaktfreudig sind, kam ich mit einem Paar aus Wisconsin ins Gespräch. Die beiden waren sicher bereits Mitte 70. Leider sprachen wir recht schnell über Politik. So langsam musste ich wirklich diplomatisches Geschick beweisen, denn was sollte ich auf Fragen, was wir Deutschen von Präsident Bush hielten, antworten? Anscheinend hatte meine ausweichende Antwort die beiden zufrieden gestellt, da ich weder zum Staatsfeind erklärt wurde, noch das Gespräch abgebrochen wurde.
In Bar Harbour, Maine, angekommen, erkannte ich erneut, dass Reisen ohne Auto in Nordamerika wirklich anstrengend war. Vom Fährterminal durfte ich wieder auf Nachtwanderung mit ungewissem Ausgang gehen, wusste ich doch lediglich, dass ich irgendwann an einem Campingplatz vorbeikommen musste, doch nicht nach wieviel zurückgelegten Kilometern. Wild zelten klappte neben dem Marriot, dem Hilton und dem Holiday Inn leider nicht. So hieß es wandern, wandern und nochmals wandern. Nach etwa eineinhalb Stunden erblickte ich das erlösende Campingplatz-Schild. Der Besitzer konnte es nicht glauben, dass hier ein »German« zu Fuß unterwegs war. Daher lieh er mir sein Mountainbike, mit dem ich durch den Acadia National Park radeln konnte. Endlich ein Rad, das einigermaßen rollte, ohne dass meine rudimentären Technikkünste aufblitzen mussten. Der Nationalpark eignete sich perfekt zum Mountainbike fahren. Unbefestigte für Autos nicht zugängliche Wege durch Kiefernwälder entlang der Atlantikküste waren absolut mein СКАЧАТЬ