Nächster Halt: Darjeeling-Hauptbahnhof. Christoph Kessel
Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Nächster Halt: Darjeeling-Hauptbahnhof - Christoph Kessel страница 8

Название: Nächster Halt: Darjeeling-Hauptbahnhof

Автор: Christoph Kessel

Издательство: Bookwire

Жанр: Языкознание

Серия:

isbn: 9783745004892

isbn:

СКАЧАТЬ Spergilkal, Hvitkal und Hnuðkal zu bewundern. Diese Gewächse heißen auf Deutsch: Eisbergsalat, Kopfsalat, Rotkohl, Broccoli, Weißkohl beziehungsweise Kohlrabi. Bei den hohen Lebensmittelpreisen konnte ich gerade noch der Versuchung widerstehen, mir abends eine kostenlose Rohkost-Platte zusammenzuklauen. Aber an der Tatsache, dass diese Gewächse ausgestellt werden, erkennt man, dass die Isländer wahrlich stolz sind, wenigstens etwas auf dieser Insel anbauen zu können.

      Am nächsten Tag verabschiedete sich Island schließlich so wie ich es kennengelernt hatte: Regen, Regen und nochmals Regen. Nach 30 Tagen Reise ohne Flugzeug musste ich nun erstmals fliegen, da es leider nicht möglich ist, von Island ohne Flugzeug westwärts voranzukommen. Ziel meiner nun folgenden fliegerischen Odyssee war die nächste Insel, von der ich meine Reise wieder mit öffentlichen Verkehrsmitteln fortsetzen konnte. Mit Icelandair flog ich mit einer Boeing 757-200 über den Atlantik in Richtung »Land der unbegrenzten Möglichkeiten«. Die hohen Alkoholpreise in Island schlugen sich auch auf den Bordservice nieder. Der Stoff kostete zwischen 2 und 3 Euro. Eine krasse Sparmaßnahme war auch bei den Zeitungen festzustellen – sie wurden am Ende des Flugs wieder eingesammelt.

      »Welcome to the United States of America« hieß es bei der Ankunft in Boston mit dem kleinen Nebensatz, dass wir auf unbestimmte Zeit an Bord der Maschine bleiben müssten, da die Einreisebeamten überarbeitet seien. Da flackerte sie wieder auf, meine »unbegrenzte« Hassliebe zu den USA. Kein anderes Land der Welt kann sich so etwas leisten, ohne dass auch nur ein Passagier es wagt aufzumucken. Nach fast einer Stunde des Wartens waren wir endlich erlöst und durften schließlich aussteigen. Eine halbe Stunde später war ich bereits eingereist. Letztendlich war doch alles halb so schlimm. Kurz darauf zeigte sich zum ersten Mal, warum ich die USA trotzdem nicht verdamme: wegen seiner sehr netten und hilfsbereiten Menschen. Mitarbeiter von Travellers Aid riefen sofort in einem Hostel für mich an, um ein Bett für die Nacht klarzumachen, da ich Probleme mit meiner Telefonkarte hatte. Da ich zwischenzeitlich meinen Reiseführer für Kanada leider verloren hatte, musste ich mir einen neuen besorgen. Diesen bekam ich vom Bostoner Hostel geliehen, der dort einfach so herumlag. Auf meiner Weiterreise soll ich ihn einfach wieder vorbeibringen. In Boston machte ich schließlich das erste Mal auf dieser Reise auch diese Entdeckung: bettelnde Menschen, die im Müll nach Essenresten, in Telefonzellen nach Wechselgeld und über U-Bahn Schächten nach Wärme suchen – auch das sind die Vereinigten Staaten von Amerika.

      Mein USA-Aufenthalt war aber bereits nach einem Tag beendet. Ich wollte vielmehr meine Reise dort fortsetzen, wo ich mit Bussen, Schiffen und Bahnen wieder starten konnte. Daher flog ich mit Air Canada etwa die Hälfte der Strecke, die ich von Reykjavik bis Boston zurückgelegt hatte, wieder nach Nordosten zurück. Beim Start in Halifax in Richtung Neufundland, dem Ziel meiner fliegerischen Odyssee, machte uns der Pilot auf einen etwas für mich ungewöhnlichen Flug aufmerksam: »Ladies and Gentlemen, wir werden wahrscheinlich mehrere Anflüge brauchen, um in St. John’s zu landen. Es ist auch nicht auszuschließen, dass wir nach Halifax zurückkehren müssen, aufgrund des Nebels in St. John’s.«

      Der Anflug war tatsächlich ein Blindflug unter CAT-III-Bedingungen{32}. Aber der Pilot und sein Autopilot zogen den Airbus A320 sicher beim ersten Versuch direkt auf die Piste, und schon war ich nach ca. 30 Stunden von Island kommend in Neufundland angekommen. Mit der Ankunft schloss sich ein Kreis, denn die Wikinger, die Island im 9. Jh. besiedelten, kamen etwa um das Jahr 1000 ebenfalls in der »Neuen Welt« an – fast 500 Jahre vor Christoph Kolumbus.

      St. John’s, die Hauptstadt der kanadischen Provinz Neufundland und Labrador, ist die älteste Stadt Nordamerikas und ungefähr so groß wie Mainz. Sein natürlicher Hafen, der von zwei Hügelketten geschützt wird, war seit der ersten belegten Besiedlung durch Europäer im Jahre 1497 permanent von militärisch strategischer Bedeutung. Mit der Ankunft der Europäer, die geschichtlich gesichert ist,{33} fing leider auch der Genozid an den eigentlichen Einheimischen an. Die Bethouk Indianer wurden bereits im 16. Jh. ausgerottet. Danach waren die Europäer unter sich, um sich gegenseitig zu bekämpfen. Das eigentlich von Engländern gegründete St. John’s wurde von den Franzosen dreimal besetzt. Auch die Holländer attackierten die Stadt zwischenzeitlich im Jahr 1665, und letztmalig wurde die Stadt von den Nazis im U-Boot-Krieg während des 2. Weltkriegs terrorisiert.

      Aber St. John’s steht auch für positive Ereignisse. Da es der Ort in Nordamerika ist, der Europa am nächsten liegt,{34} wurden hier technische Experimente gestartet, die unsere heutige schnelllebige Welt nachhaltig beeinflusst haben. Im Jahr 1901 wurde auf dem so genannten Signal Hill in St. John’s der erste Funkspruch aus der »Alten Welt« empfangen. Gesendet wurde er von Cornwall in England. Der Flughafen von St. John’s war der letzte Punkt in Amerika des ersten PANAM-Flugs über den Atlantik und Charles Lindbergh, der als erster den Atlantik im Flieger überquerte, machte ebenfalls letzte Station vor dem großen Sprung. Für mich war St. John’s nun zunächst der Ausgangspunkt meiner Reise durch den gesamten amerikanischen Kontinent bis nach Patagonien in Chile. Da bekanntlich aller Anfang schwer ist, musste ich dabei einige Hindernisse überwinden, schließlich befand ich mich nun in Nordamerika, wo jeder Mensch ein Auto hat. Dementsprechend hörte ich bei meinen Planungen permanent die Frage, wo denn mein Auto sei. Auf die Antwort, dass ich keines habe, waren meine Gesprächspartner nicht vorbereitet und sagten nur noch: »Oh my God.« Wahrscheinlich drückt dies das Mitleid aus, das mir »armen Hund« entgegengebracht wird. Wie die Reise nun von der ältesten Stadt Amerikas in Richtung Süden weitergeht? Ich wusste es zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Kapitels selbst noch nicht – schauen wir mal.

      Neu gefundenes Land und ein bisschen Europa in Amerika

      Etappe: Von St. John’s NF, Canada 48° Nord 53° West (GMT-2:30) nach Halifax NS, Canada 45° Nord 64° West (GMT-3): 2.105 km – Total 13.082 km

      Halifax, 27. September 2002

      Nachdem ich im Nebel von St. John’s gelandet war, sah ich von der Stadt natürlich nicht sehr viel. Ich kam mir vor wie bei uns im November. Nieselregen, Nebelschwaden und düstere Straßen, die nur gelegentlich von Straßenlaternen erleuchtet wurden, prägten das Bild. Aber glücklicherweise ändert sich in diesem Teil der Welt das Wetter sehr schnell. Dementsprechend war ich am nächsten Tag vom blauen Himmel begeistert und nach den nahezu baumlosen Inseln, wie Island, den Faröer und den Shetlands war ich von den vielen Nadelbäumen, die in St. John’s wachsen, sehr fasziniert. St. John’s ähnelt einem riesigen bunten Mosaik. Jeder Bewohner hat sein Holzhäuschen in einer anderen Farbe angestrichen. So sieht die Stadt am Tag selbst bei Regenwetter durch den Farbmix sehr freundlich und einladend aus. In St. John’s lernte ich auch erstmals die Hilfsbereitschaft der Bewohner kennen, die mich in Neufundland seither so fasziniert. In der Association Francophone{35} durfte ich das vorangegangene Kapitel kostenlos verfassen, sodass mein Budget, trotz hoher Lebenshaltungskosten, noch immer nicht gesprengt ist. In den nächsten Tagen wurde ich noch mehrmals von der Freundlichkeit der »Newfies«{36} überrascht. Dabei haben die Newfies für Kanadier dieselbe Bedeutung, wie die Ostfriesen bei uns in Deutschland. Warum man über diese Menschen Witze macht, kann ich mir nicht erklären. Vielleicht liegt es am Idealismus, anderen Menschen selbstlos zu helfen? Die Insel, auf der die Newfies leben, ist etwa so groß wie die Benelux-Länder. Viele Leser werden Neufundland sicher schon gesehen haben. Bei den meisten Transatlantik-Flügen an die Ostküste Amerikas ist das erste Land westlich des Atlantiks Neufundland. Dementsprechend sah ich auch morgens bei blauem Himmel permanent Flugzeuge im Minutenabstand am Himmel vorbeiziehen. Auf den Gedanken, auf dieser Insel einmal Station zu machen, kommen sicherlich die wenigsten der darüber fliegenden Passagiere. Dabei gibt es tatsächlich viel zu entdecken.

      Der erste, der auf diesen Gedanken kam, dass es dort etwas Besonderes gibt, war 1497 John Cabot, der im Auftrag von Heinrich VII., König von England, in die neue Welt aufbrach und ganz im Osten des neu »entdeckten« Kontinents neues Land gefunden hat: deshalb nannte er die Insel auch »New Found Land«. Die Insel war Englands erste Kolonie auf dem Weg zum Empire. Das besondere waren bis in die 90er Jahre des 20. Jh. die fischreichen Gewässer an der Südküste der Insel. Die Newfies, die hauptsächlich englische und irische Vorfahren СКАЧАТЬ