Название: Kompetenzentwicklung im Netz
Автор: Werner Sauter
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783737518895
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Den ersten Schritt in die neue, immer wichtiger werdende Richtung machte der große Sprachwissenschaftler Noam Chomsky, der 1960 die Fähigkeit von Sprechern und Hörern, mit Hilfe eines begrenzten Inventars von Kombinationsregeln und Grundelementen potenziell unendlich viele, auch neue, noch nie gehörte Sätze selbst bilden und verstehen zu können, als Sprachkompetenz bezeichnete. Vor völlig anderem Hintergrund beschrieb 1959 der bekannte Motivationspsychologe Roger W. White Kompetenzen als weder genetisch angeborene noch als biologisches Reifungsprodukt zu verstehende grundlegende, vom Individuum selbst hervorgebrachte Handlungsfähigkeiten, die sich in selbst motivierter Wechselwirkung mit der Umwelt herausbilden.
In der Arbeits- und Organisationspsychologie wurde der Kompetenzgedanke aufgenommen. Ausgehend von der Theorie der Handlungsregulation entstanden in Auseinandersetzung mit den bis dahin vorherrschenden behavioristischen Ansätzen und ihren Reiz – Reaktions - Modellen, die von festliegenden Zielvorgaben ausgingen, Lerntheorien, die Ziele, Erwartungen und Pläne des handelnden Menschen einbezogen und die selbstorganisierte Entwicklung von Modellen, Plänen und Zielen (kognitive Wende) berücksichtigten. Sie waren durch Chomski maßgeblich beeinflusst. Es bildete sich der Begriff der Handlungskompetenz und damit die Vorstellung einer Wissensbasis, aus der sich beliebig viele Handlungen erzeugen lassen. David McClelland schließlich begründete in den siebziger Jahren den „competency approach“ der Motivationspsychologie und entwickelte das erste grundlegende Kompetenzmessverfahren. Bei all diesen und vielen anderen Ansätzen handelt es sich nicht mehr um Befugnisse oder Zuständigkeiten. Vielmehr dreht es sich um Fähigkeiten, angesichts unendlich vieler Sprach-, Verhaltens- und Handlungsmöglichkeiten selbstorganisiert, eigenständig, kreativ handeln zu können. In diesem Sinne hat das Wort, haben moderne Ideen zu Kompetenzentwicklung, Kompetenzmessung und Kompetenztraining Furore gemacht.
Freilich hatte McClelland Recht, wenn er in einem Interview 1997 bemerkte: “A lot of people have jumped on the bandwagon. The danger is that they may not identify competencies properly.” [1] Der zuweilen abenteuerliche Gebrauch des Terminus Kompetenz gibt ihm Recht.
Wurden noch in den siebziger, achtziger Jahren Basiskompetenzen als Schlüsselqualifikationen missverstanden, dem qualifikationsorientierten Weiterbildungs – Zeitgeist entsprechend, so werden heute umstandslos Wissensbestandteile, Fertigkeiten, Fähigkeiten, Qualifikationen und Persönlichkeitseigenschaften als Kompetenzen bezeichnet. Dagegen hilft weder Sprachkritik noch Wortnormierung. Vielmehr muss man sich klar machen, was hinter dem Boom des Worts Kompetenz steht. Das haben wir eingangs bereits angedeutet und wollen es jetzt zur Formulierung einer Begriffsbeschreibung einsetzen.
Wir hatten bereits die objektiven Bedingungen einer globalisierten, immer komplexer, dynamischer, vernetzter und unsicherer werdenden Lebens- und Arbeitswelt als Begriffsgrund für den Kompetenzboom ausgemacht und festgestellt, dass es des Kompetenzbegriffs bedarf, um die Aspekte des menschlichen Handelns unter diesen objektiven Bedingungen zu erfassen.
Bezug auf die Selbstorganisationsfähigkeit und Subjektzentriertheit auf selbstorganisierte Denk- und Handlungsprozesse des Subjekts erscheint uns das wichtigste Kennzeichen von Kompetenzen. Es handelt sich bei Kompetenzen um keine Fähigkeiten an sich, sondern um bestimmte Befähigungen, die ein kreatives Handeln unter Unsicherheit, bei offenem Handlungsausgang, bei großer Komplexität der Handlungsbedingungen ermöglichen. Das wird uns auf sinnvolle Kompetenzdefinitionen führen.
Der Bezug auf die Qualifikationsabgegrenztheit führt auf Überlegungen, wie sich Kompetenzen von anderen Bewusstseinsresultaten wie Wissen, Fertigkeiten, einfachen Fähigkeiten und Qualifikationen abheben. Das führt uns zu dem hier bevorzugten Inklusionsmodell der Kompetenzen, das nochmals die Rolle von Regeln, Werten und Normen als Kompetenzkernen betont. Zugleich verstehen wir Regeln, Werte und Normen als Ordner selbstorganisierten Handelns. Indem wir nach den Grundformen selbstorganisierten Handelns sowie nach der Fülle entsprechender Handlungsmöglichkeiten fragen, kommen wir auf eine Typologie von Kompetenzen, die vielfältig genug ist, um sie differenziert zu erfassen, aber auch systematisch genug, um die Fülle nicht ausufern zu lassen. In einem Exkurs wollen wir zumindest skizzieren dass, und wie man dieser Fülle auch mit Hilfe von Kompetenzmessungen Herr werden kann.
Der Bezug auf die Wertorientiertheit und die Verwertbarkeit bringt uns schließlich zum Wertethema zurück, das der vorige Abschnitt ausführlich behandelte. Plakativ verkürzt wollen wir auf die Einsicht kommen, dass Kompetenzvermittlung stets Wissensvermittlung plus Wertvermittlung ist. Das leitet dann zum Abschnitt Kompetenzvermittlung über.
[1] K. Adams (1997), S.18–23
2.3.2 Fertigkeiten, Wissen, Qualifikationen und Kompetenzen
Um Kompetenzen gegen andere Bewusstseinsresultate abgrenzen zu können, müssen wir sie definitorisch umreißen – wohl wissend, dass es nicht „die“ Kompetenzdefinition und schon gar keine endgültige geben kann. Es ist eine Arbeitsdefinition, die aber von vielen auf diesem Gebiet forschenden Kollegen akzeptiert, benutzt und weiterentwickelt wird.
Unter Kompetenzen verstehen wir Dispositionen zur Selbstorganisation, also Selbstorganisationsdispositionen.
Dispositionen sind die bis zu einem bestimmten Handlungszeitpunkt entwickelten inneren Voraussetzungen zur Regulation der Tätigkeit. Damit umfassen Dispositionen nicht nur individuelle Anlagen sondern vor allem Entwicklungsresultate [1]. Selbstorganisiert ist jedes Handeln in offenen Problem- und Entscheidungssituationen, in komplexen, oft chaotischen Systemen, wie sie uns in Wirtschaft und Politik, aber auch im Alltag ständig begegnen. Eben deshalb sind Kompetenzen unerlässlich für das Handeln in der Risikogesellschaft.
Als umfassendste Kompetenzdefinition kann die von Peter Kappelhoff gelten: Kompetenzen sind evolutionär entstandene, generalisierte Selbstorganisationsdispositionen komplexer, adaptiver Systeme – insbesondere menschlicher Individuen - zu reflexivem, kreativem Problemlösungshandeln in Hinblick auf allgemeine Klassen von komplexen, selektiv bedeutsamen Situationen (Pfade). [2]
Ein Beispiel soll illustrieren, was Selbstorganisation, was Selbstorganisationsdisposition in diesem Sinne meint [3]: „Sie wollen zusammen mit Freunden und Mitstreitern Brasilien auf eigene Faust kennen lernen. Sie mieten sich einen Wagen und fahren aufs Geratewohl los. Ziellos (im Gegensatz zur Selbststeuerung auf ein voraus gesetztes Ziel hin) – aber mit der Absicht, etwas von Land und Leuten zu verstehen. Sie wollen etwas für sich selbst, möglicherweise etwas für die Menschheit Neues entdecken: Indianische Relikte, Menschen, die noch nie mit unserer Zivilisation in Berührung kamen, unbekannte Tier- oder Pflanzenarten. So organisieren sie Ihre Fahrt von Anfang bis Ende selbst und meistern lauter chaotische Entscheidungssituationen, wo alles „um ein Haar“ auch ganz anders hätte kommen können. Damit schreiben Sie eine einmalige, nur Ihnen gehörige, nicht zu wiederholende Geschichte. Und sie müssen sich auf etwas ganz anderes als auf ihre Qualifikationen verlassen – im Dschungel nützen keine Diplome und Zertifikate. Ihr Sach- und Methodenwissen bildet nur den Hintergrund, dass Sie sich zurechtfinden, wenn der Motor СКАЧАТЬ