Название: Sprachlos studieren - Mein Auslandssemester in Lateinamerika, Costa Rica
Автор: Manuela Dörr
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783738027655
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„Nein. Erst die Apostille! Diese Woche habe ich keinen Termin mehr frei. Nur nächste Woche noch einen.“
„Können Sie mir den vielleicht bitte…“
„Nein“, tönte es aus dem Hörer und schon hatte sie aufgelegt.
Ich suche also im Internet: Ist eine Apostille ein Siegel, ein Stempel oder ein weiteres Formular?
Die Homepages des Bundesjustizamtes und des Bundesverwaltungsamtes geben mir Aufschluss. Die Apostille gehört auf mein Polizeiliches Führungszeugnis und die Internationale Geburtsurkunde. Eine Katastrophe, so kurz vor dem Ziel!
- Ich brauche jeweils eine Beglaubigung —> Habe ich
- Ich brauche jeweils eine Überbeglaubigung alias Apostille —> Habe ich nicht
- Der Postweg dauert jeweils etwa eine Woche plus Bearbeitungszeit.
- Der vollständige Antrag muss erneut bei der Botschaft eingereicht werden.
- Ich fliege in zwei Wochen…
Ich sitze auf der Bettkante in unserer WG und drehe mit den Fingern etliche kleine Löcher in die bauschige Stofflandschaft. Das kann nicht sein! Ich habe keine Zeit, durch Deutschland zu fahren, nur um Stempel zu besorgen. Wie soll ich das meinen Chefs beim Praktikum gestehen?
„Nein, ich muss das Praktikum wegen des zusätzlichen Sprachkurses in Costa Rica nun nicht nur um einen Monat früher beenden, sondern wegen zweier Stempel einen zusätzlichen Tag fehlen.“ Ich weiß, dass sie Verständnis haben werden, sie reisen selbst viel. Trotzdem hatte ich das alles anders geplant.
Meine WG-Mitbewohnerin kocht Tee für uns und reicht mir eine Tasse.
„Ich würde dir so gerne helfen…“, gesteht sie, aber wir wissen beide, dass das nicht geht. Mein Teebeutel schwimmt von Wand zu Wand und hinterlässt dunkelrote Schliere im heißen Wasser. Ich habe keine Wahl: Ich muss fahren, meinen Körper in einen Zug setzen, den Geist nicht vergessen und schon jetzt mit dem Reisen beginnen.
Der Tee ist durch. Ich beichte mein Vorhaben bei der Praktikumsstelle, kaufe sündhaft teure Tickets und steige am selben Abend in den Zug von Hamburg über Dortmund, nach Bonn, nach Köln.
Das Bundesjustizamt befindet sich drei Minuten Fußweg entfernt von der Haltestelle Bundesrechnungshof. Es ist früh morgens und noch duster, als ich zwischen dunklen Steingebäuden die nasse Straße entlang gehe und versuche, den Pfützen zwischen den Gehwegplatten auszuweichen. Schließlich stehe ich vor einer modernen Glastür, die automatisch öffnet. Der Pförtner lässt mich eintreten, sodass ich am Eingang mein Führungszeugnis mit einem müden Blick durch einen Spalt schieben kann. Im Raum vor mir brennt Licht, ‚karack‘ macht es und ich erhalte mein Polizeiliches Führungszeugnis samt Stempel und Unterschrift zurück. Am liebsten wäre ich der Frau dankend um den Hals gefallen, eine Glasscheibe zwischen uns hält mich jedoch auf Distanz. Durchsichtig, aber unüberwindbar. Ein Tag Fahrt für mich, zwei Minuten für das Amt. Das nenne ich ehrfürchtig Zeitmanagement.
Weiter geht die Fahrt mit der Straßenbahn, durch Vororte und Felder, dann ein Fußmarsch und ich stehe vor dem Bundesverwaltungsamt in Köln. Dort warte ich kurz im Empfangsraum, bis ein zuständiger Mitarbeiter nach meinem Führungszeugnis fragt, hinter einer doppelt gesicherten Glastür verschwindet und mich mit leeren Händen zurück lässt.
Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich auf die in dem kleinen Vorraum befindliche eckige moderne Ledercouch zu setzen und unruhig die Umgebung zu betrachten. Hoffentlich klappt alles? Wissen die Behörden, dass sie gerade über mein zukünftiges Leben entscheiden?
Neben mir sitzt ein älterer Herr, gänzlich gelassen; unsere Blicke streifen sich bevor sie sich treffen. Auch er wartet auf einen Stempel.
Bei Visumsangelegenheiten kommt man ins Gespräch und plötzlich lernt man jemanden kennen, der für ein mittelständiges Unternehmen Filteranlagen durch die Welt schippern lässt. Die Aufgabe meines Gesprächspartners ist es, die Stempel zu besorgen und den anderen die lästige Arbeit vom Hals zu halten. Ob er das auch für überforderte angehende Austauschstudenten macht?
Die große Glastür am anderen Ende des Raumes öffnet sich, eine Dame erscheint mit meinem Zeugnis, das nun an ein zweites Blatt geheftet ist und ein weiteres Autogramm trägt. Ob das die Apostille ist? Ich frage sicherheitshalber nach.
„Ja, das macht dreizehn Euro“, verkündet sie. Während ich zahle, vollführe ich innerlich einen Freudentanz, über der edlen Couch verzaubern Scheinwerfer in bunten Farben den Raum und Salsa-Musik sprudelt aus dem Ansagelautsprecher der Empfangsdame. Die Realität sieht anders aus, lediglich ein Sonnenstrahl verirrt sich durch die Jalousien und verfehlt nur knapp die kostbare Urkunde in meinen Händen.
Tadaaa, die Apostille! Sogar günstiger als das Bahnticket!
Der Mann auf der Couch nickt mir zu, er muss noch warten. Ich drückte die schwere Tür des Köllner Verwaltungsamtes auf und trete hinaus. Wenn sich keine Wolken vor die Sonne geschoben hätten, hätte mir diese sicherlich hemmungslos ins Gesicht geschienen. Zeit, den Heimweg anzutreten und morgen beim Praktikum Vollgas zu geben.
Während ich mich von der Bahn in die Polster schaukeln lasse, betrachte ich die Landschaft durch das einen Quadratmeter große Fenster. Am besten sollte sich der Zug direkt in die Lüfte heben und mich in die Hitze Lateinamerikas tragen. Die Landschaft aus kugeligen laublosen Kastanienbäumen würde sich in Streifen verwandeln, wir würden die Wolkendecke durchbrechen und dem blauen Weltall entgegen sausen.
Bis Costa Rica.
Die Menschen haben Kopfhörer im Ohr, schauen auf ihr Handy, auf die Uhr, aus dem Fenster. Einige dösen und der Kopf schaukelt im Takt der Bewegung. Von links nach rechts bei einer Kurve, sonst vor und zurück. Es rattert, quietscht und zischt, als sich die Bahn in die Kurve schmeißt und der Regen gegen die Scheibe klatscht. Dann kommt sie langsam zum Stehen. Hier muss ich raus.
Das Blinken des roten Lichtes wird von einem monotonen Piepen verfolgt und die Tür vor mir schiebt sich zur Seite. Es bildet sich eine Luke, dann ein Tor nach draußen, durch das kühle Luft ins Innere strömt und ich kann es gar nicht erwarten, loszugehen, hängt von diesem Besuch doch so viel ab. Mein rechter Fuß steigt zuerst über den kleinen, aber tiefen Spalt, der den grauen PVC-Fußboden vom Bahnsteig trennt. Gleich hat der Visumsspuk ein Ende!
Die leicht erhobenen Linien der steinigen Gehwegplatten leiten mich zum Ausgang der S-Bahnstation Blankenese, als ich die Hitze aus meiner dicken goldgelben Daunenjacke befreie und die warme Luft wie ein Schwarm winziger Insekten in die Höhe steigt. Im Gehen ziehe ich den Stadtplan aus meiner Tasche und werfe noch einen Blick auf die scheinbar vollständigen Unterlagen, dann bahne ich mir den Weg zum Konsulat.
Bald werde ich mich hoffentlich auf den Weg machen, vorbei an amerikanischen Passkontrollen, direkt ins Herz Mittelamerikas, nach Costa Rica. In das Land, das mit giftgrünen Fröschen, babyblau bemalten Saftständen und Abertausenden von tropischen Bäumen, die mit prallen Früchten behangen sind, in meinem Spanischlehrbuch präsentiert wurde. Das Paradies aller Tiere, vielleicht auch das der Menschen. Ein kleines Land von etwa fünfzigtausend Quadratkilometern СКАЧАТЬ