Sprachlos studieren - Mein Auslandssemester in Lateinamerika, Costa Rica. Manuela Dörr
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Название: Sprachlos studieren - Mein Auslandssemester in Lateinamerika, Costa Rica

Автор: Manuela Dörr

Издательство: Bookwire

Жанр: Сделай Сам

Серия:

isbn: 9783738027655

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СКАЧАТЬ die schwarze Ledertasche, deren Reißverschlüsse ich sorgfältig wieder geschlossen hatte, nachdem ich kurz vor dem Verlassen der Bahn abermals alle Dokumente kontrolliert hatte. Gleich würde ich auch den letzten Stempel für das Visum erhalten. Hoffentlich… Als ich vorhin meinen Reisepass betrachtete, nahm ich auch das blaue Papieretui in die Hand, in dem ich meine Passfotos aufbewahre. Ich lächelte mir selbst aus meiner Hand entgegen. Ob ich wohl einen Stempel auf den Kopf bekomme? Egal, Hauptsache ich bekomme einen Stempel.

      Juan läuft vorbei, in der Hand hält er eine geschnittene Limone und zwei Tassen schwarzen Tee. Er stellt eine vor mir auf dem Couchtisch ab und gesellt sich zu mir.

      „Was zur Hölle machst du da?“, er mustert erst meine Papiere, dann mich. Anscheinend bin ich doch viel klischeedeutscher, als ich gedacht hatte. Der Mitarbeiter des Hostels begleitet mich in seiner Freizeit zu Wohnungsbesichtigungen und hilft mir bei spanischen Telefonaten. Jetzt beobachtet er meine Sortieraktion.

      „Visumszeug. Was ist ‚Contador’?“, eine Strähne kitzelt mich im Gesicht, ich puste sie zu Seite.

      „Das ist jemand, der Stempel auf Unterlagen setzt und sie beglaubigt“, antwortet Juan und schiebt seine Brille zurecht. Er wohnt genau so lange im Hostel Urbano wie ich, nur mit dem Unterschied, dass er mindestens ein Jahrzehnt älter ist und hier ein halbes Jahr gegen Logis morgens das Frühstück für die Backpacker zubereiten und die Betten der Schlafsäle frisch bezieht.

      Als ich mich für den Tee bedanke, fällt die Strähne zurück. Ich klemme sie nun im Haargummi fest und schnappe mir die grüne Halbkugel, die ich über der braunen Flüssigkeit zerdrücke. An der Tasse nippend lehne ich mich zurück.

      „Gut, dass ich sowas als Argentinier nicht machen muss“, bemerkt er und macht es sich ebenfalls auf dem Sessel bequem, indem er bis zur Rückenlehne rutscht und dann die Arme von sich streckt.

      „Was meinst du?“

      „Na, das Visumszeugs da. Ich hab sowas noch nie gemacht. Meine ganzen fünf Reisejahre nicht. Bin eben immer unterwegs.“

      „Du Glücklicher!“, ich beuge mich wieder vor und betrachte die Zettel und die auf ihnen markierten Fremdwörter. Ich habe alles eingefärbt, was ich noch nachschlagen sollte. Das Resultat ist ein fast komplett gelber Text. Mir raucht bereits der Kopf, durch den Tee wird er nicht abkühlen. Ich schiebe Zettel hin und her und verliere ein wenig den Überblick. Ich bilde Stapel. Ein Aktenordner, das wäre eine Lösung meines Sortierproblems und die Krönung des Deutschseins. Effektivität steht im Zentrum. Vermutlich werde ich für die Behördengänge ein Buch zum Lesen in der Wartezeit mitnehmen. Vermutlich werde ich die Zeit sinnvoll nutzen. Ich plane.

      „Ich… I ääähhh, I like… Dorm?!“, hören wir die Stimme einer jungen Frau aus dem Eingangsbereich.

      „Ich muss runter“, erklärt Juan, streicht sich mit der flachen Hand über den Kopf, als ob er die Haare auf seiner Halbglatze richten müsste und springt auf. Sprachlosen Reisenden unter die Arme greifen, ihnen ihren Tag retten und sich selbst ein Lächeln garantieren, so ist er. Ob er auch einen Ordner mit allen seinen Unterlagen besitzt?

      „Nimm bloß keine große Tasche mit auf die Straße“, beschwört mich ein blonder Backpacker, als ich meinen Rucksack packe, um zum großen Bürogeschäft in der Nähe zu gehen, „wer so aussieht, als ob er viel besitzt, der wird überfallen!“

      „Du wirst dann sofort überfallen“, hatte auch Hannah damals sorgenvoll für mich recherchiert. Ich verlasse das Hostel und beginne, meinen Rucksack an mich zu klammern. Natürlich habe ich meine Kamera dabei, aller Gefahr zum Trotz. Ein gutes Foto kommt, wenn es kommen will. Dann kein Foto machen zu können, das halte ich nicht aus. Mir bleibt keine Wahl. Ich werde das Gefühl nicht los, dass ich für meine Umgebung sehr reich aussehe. Unsicher gehe ich schnellen Schrittes auf dem Bürgersteig neben der befahrenen Straße. Ein LKW rauscht vorbei und hinterlässt eine riesige Wolke aus Abgasen, ein paar Jungs pfeifen mir nach, gefolgt von einem „Bonita!“ und „Hermosa!“ Ansonsten folgen alle ihrem Weg zum Bus, nach Hause oder zur Mall. Keiner bedrängt mich. Ich gehe einfach an dieser Straße entlang, als wäre es das Normalste der Welt.

      Im Eingangsbereich des modernen Bürowarengeschäftes stehen drei Männer. Sie tragen weiße Hemden und schwarze Hosen und nicken mir zur Begrüßung freundlich zu.

      „Muchacha, por favor!“, ertönt es hinter mir, als ich zielstrebig in das Innere der Halle gehen möchte. Was? Werde ich überfallen? Ich fahre rasant herum und schaue direkt in das Gesicht eines der drei Sicherheitsmänner.

      „Können Sie bitte Ihren Rucksack am Empfang abgeben? Vielen Dank!“, erklärt der jüngste der drei Herren mir und deutet auf einen zum Logo der Firma passend rot gestrichenen Tresen. In größeren Geschäften muss man in Costa Rica immer die Tasche am Eingang abgeben, sie wird in einem Fach hinterlegt und man bekommt ein Schild mit einer Nummer ausgehändigt. Kein Grund zur Sorge, beruhige ich mich und vertraue der Dame meinen Rucksack an. Sie steckt ihn mit ihren langen, lackierten Nägeln in das unterste Fach, dann drückt sie mir eine Plastiknummer in die Hand.

      Wenn ich einen Ordner kaufe, dann brauche ich auch einen Locher, stelle ich fest, während ich vor der unendlichen Auswahl stehe und mich nicht entscheiden kann. Letztendlich wähle ich eine grüne Mappe mit zehn Fächern, die in einem Angebot um die Hälfte des Preises reduziert ist. In die Mappe passen laut Beschreibung sowohl meine Din A4 Blätter aus Deutschland, als auch die Din B4 Kopien aus Costa Rica. Ich bin begeistert und greife zu.

      „Que tenga un buen día!“, strahlt mich die Kassiererin an, als ich bezahle.

      Kurze Zeit später, ich schlendere deutlich entspannter zurück, erreiche ich das Hostel unversehrt. Es gab nie einen Grund zur Sorge, wird mir klar, als ich die beim Straßenhändler erstandene Mango in der geräumigen Küche teile, das Fruchtfleisch in Stücke schneide und mit einem Löffel aus der Schale löse. Ich nehme den alten Filzstift, der an einer Kordel vom Griff hinunter baumelt, beschrifte die andere Hälfte mit meinem Namen und lege sie in den großen Kühlschrank, in dem jeder seine Lebensmittel deponieren kann.

      Im Zwölfer-Zimmer verstaue ich meinen Rucksack samt Kamera in meinem Fach unter dem Hochbett und lasse das kleine Vorhängeschloss zuschnappen. Dann widme ich mich wieder meinen Zetteln.

      Da ich nicht für immer in Hostel wohnen kann und lieber die costa-ricanische Kultur in einer Familie kennenlernen möchte, suche ich eine neue Bleibe. Von Deutschland aus war es kaum möglich, eine Unterkunft zu finden, da es keine entsprechenden Internetportale gibt. Vor Ort ist das viel einfacher, hatte ich recherchiert. Zum Glück habe ich bei meiner Wohnungssuche eine Mitstreiterin gefunden: Annette arbeitet im Hostel und möchte ein eigenes Zimmer beziehen, nachdem sie einige Monate im Mitarbeiterschlafsaal gewohnt hat. Jetzt sehnt sie sich nach Privatsphäre. Zudem stehen in Costa Rica alle Türen offen, sodass man jedes Hupen von der Straße, die Musik vom Fernseher aus dem Nachbarraum und das Gespräch der Mädels aus der Küche hört.

      „Ne, ich muss nicht mit Ticos zusammen wohnen, ich möchte nur mein eigenes Reich haben“, bestätigt Annette meine Vermutung.

      „Ich kann Telefonnummern auf dem Campus suchen, ich kenne mich da mittlerweile aus“, biete ich an.

      „Ja, gut, dann kann ich die Vermieter anrufen“, schlägt sie vor, schließlich hat sie die besseren Spanischkenntnisse.

      „Perfekt! Ich gehe dann mal arbeiten, bis später!“, sie verschwindet wieder in der Küche und ich mache mich auf den Weg zur UCR. Dabei gehe ich einen Umweg um den Campus herum, um mir ein besseres Bild von den verschiedenen Wohnvierteln in Uninähe zu machen.

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