Название: Sprachlos studieren - Mein Auslandssemester in Lateinamerika, Costa Rica
Автор: Manuela Dörr
Издательство: Bookwire
Жанр: Сделай Сам
isbn: 9783738027655
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Der Weg vom Hostel zur UCR war nicht schwierig, ich müsste nur diese zweispurige Straße entlang gehen, hatte mir Juan beim Frühstück erklärt, als er einen fünf Liter Behälter mit Pfannkuchenteig für die ganze Hostelmannschaft anrührte. Kurze Zeit später stand ich dann dem San José gegenüber, wie es in allen Reiseführern beschrieben wird: Laut, groß, dreckig, gefährlich. Ein LKW raste klappernd an mir vorbei, gefolgt von einer Kolonne anderer Irrer. Auf dem Gehweg zwischen einer Mauerwand und der Hauptverkehrsstraße, standen mehrere Männer mittleren Alters. Einer musterte mich und kaute dabei auf einem Stück Holz herum, ein anderer schob einen mit Orangen gefüllten Einkaufswagen vor sich her und schrie mir energisch etwas zu, was ich wegen des Lärms nicht verstand. Die Ampel sprang wieder auf Grün und erneut schwebte uns eine riesige Staubwolke entgegen. Ich schaute verstohlen zu Boden, wurde mit jedem Schritt schneller und ärgerte mich, dass ich nicht den komplizierteren, aber dafür sichereren Weg quer über den Campus genommen hatte. Hinter dieser Mauer müsste er doch sein, hoffte ich immer wieder.
Endlich, nach etwa zweihundert Metern führte eine Straße durch eine Lücke zwischen den Mauern hindurch. Das Tor zu einer anderen Welt. Bäume, Pflanzen und Wiesen säumen die Häuser und Straßen, deren Wegesrand signalgelb markiert ist und Studenten stehen vor farbenfrohen Gebäuden. Gerade noch auf der staubigen Straße, befand ich mich plötzlich im Paradies. Als ich jedoch die Sprachfakultät betrat, stand ich zahllosen, mit dicken, schwarzen Gittern verschlossenen Büros gegenüber. Durch die Stäbe der Zelle 138 sprach ich mit der Insassin, die das Schloss über einen Schalter am Schreibtisch öffnete.
„Guten Morgen“, begrüßte sie mich freudig, als die Tür hinter mir wieder ins Schloss fiel. Es gab keine Türklinke. Wir waren eingesperrt.
„Ich heiße Manuela… Für den Sprachkurs anmelden…“, stellte ich mich vor.
„Ja, sehr gerne, Manuela. Ich habe etwas vorbereitet, nehmen Sie doch Platz“, die Dame, kaum älter als ich, sprach sehr langsam und deutlich, nahm mein gefordertes Passfoto in Empfang und ließ mich einen Bogen Papier unterzeichnen, bevor sie das Bild gekonnt aufklebte. Dann wurde es unangenehmer: Schlappe siebenhundert Dollar kostete mich dieser Teil des Auslandssemesters. Andächtig zückte ich meine Visakarte und das Lesegerät begann zu rechnen. Hoffentlich muss ich nicht nur bezahlen, weil die UCR an mir verdienen will. Ich möchte in den nächsten vier Wochen etwas lernen, denn meine aktuellen Sprachkenntnisse bereiteten mir Sorgen. Eine Vorlesung würde ich so kaum verstehen können, geschweige denn eine Klausur und es bleibt nur noch ein Monat bis zum Kursbeginn.
„Morgen geht es mit dem mündlichen und schriftlichen Sprachtest los, um acht Uhr dreißig“, riss die Frau mich aus meinen Gedanken und lächelte.
„Acht Uhr dreißig?“
„Ja, acht Uhr dreißig, also halb neun“, wiederholte sie erneut langsam und deutlich für mich. Sie drückte den Schalter wieder und das Türschloss öffnete sich nach einem knarrenden Geräusch. Ich war wieder frei.
Erfolgreich suche ich nach Wohnungsangeboten auf dem Campus, überall finde ich Zettel an Wänden und Pfeilern, die Telefonnummern zum Abreißen bereit halten. Leider stehen darauf kaum mehr Informationen als ‚Wohnung zu vermieten, 170 Euro, zentral, nahe der UCR‘, sodass Annette und ich überall anrufen müssen, um mehr zu erfahren. Schließlich verabreden wir uns mit einer gewissen Maria, um uns ihr freies Zimmer anzusehen.
Noch am selben Tag treffen Annette und ich die Vermieterin. Die Nachbarhäuser leuchten babyblau, wachsrot, sonnengelb und mintgrün. Zwischen ihren Mauern schlängeln sich kleine Gänge entlang, durch welche wir auf eine große Grünfläche mit wilden Pflanzen schauen können. An der Wand im Wohnzimmer prangt die gelbe Fahne einer politischen Partei über dem Sofa. Das habe ich schon in mehreren Haushalten Costa Ricas gesehen, denn Politikverdrossenheit ist ein Fremdwort. An Wahltagen tragen die Ticos Schals, Trikots und schwenken Fahnen, wie Fans bei einem gigantischen Fußballspiel. Zwei kleine Hunde wirbeln um unsere Füße, im Hinterhof hängt Wäsche vor einer grünen Wand, deren Putz abblättert und eine Staude Bananen liegt in der Ecke unter einem verrosteten Wasserhahn.
„Meine Mutter hat eine Milchkuhfarm. Dahin fährt man vier Stunden mit dem Auto. Da bin ich jede freie Minute“, erklärt María uns, „deshalb bin ich oft nicht hier. Ihr hättet das Haus dann für euch alleine.“
Viel lieber würde ich mit auf die Farm fahren, denke ich mir, als wir unser potenzielles Zimmer betreten. Die dünne Holztür klemmt und lässt sich weder richtig öffnen noch schließen.
„Das repariert mein Bruder noch“, erklärt sie uns, „ich lasse die Wohnungstür auch immer offen. Die Gegend hier ist sehr sicher.“
Eine offene Haustür und dahinter meine Cam? Das Risiko will ich nicht eingehen. Ganz abgesehen von der Festplatte und den darauf gespeicherten Bildern. Das Wohnviertel macht zwar einen guten Eindruck, aber ich habe ein angeborenes Misstrauen gegen alles Lateinamerikanische. Und zudem gibt es hier keine Waschmaschine.
Trotz unserer direkten Absage, lädt uns Maria noch auf einen Kaffee ein, erzählt aus ihrem Leben und von dem kleinen Welpen, den sie letzte Woche gerettet hat.
In den nächsten Tagen besichtigen wir noch weitere Häuser, unter anderem zwei große Wohngemeinschaften (WGs), in denen aber fast ausschließlich Ausländer wohnen. Meine Sorge, dass dort Englisch gesprochen wird, ist zu groß, deshalb suche ich weiter.
„Ist es egal, wie weit man von den engsten Freunden und der Familie entfernt lebt? San José oder Hamburg, wie viele Kilometer zwischen den Orten und meiner Heimat liegen, spielt keine Rolle. Man ist so oder so weg“, stelle ich fest.
„Na, so kannst du das nicht sagen. In Hamburg kannst du dich im Notfall schnell in den Zug setzen“, beginnt Hannah zu grübeln.
„Ja, stimmt. Aber im Moment jetzt gerade, ist es gleich. Diese bunten Häuser und spanisch sprechenden Menschen, die ganze andere Kultur, hier… Das ist zwar schön, aber… Ich bin froh, dass ich dich habe, Hannah“, stelle ich fest.
„Komm, jetzt is’ aber gut. Du bist ja bald wieder zurück!“
„Nein, nein, so meine ich das nicht. Ich bin ja froh, hier zu sein, aber alles ist so neu. So ungewohnt… Ihr alle da drüben fehlt mir unendlich…“ Stille am anderen Ende der Leitung.
„Was macht die Liebe?“, frage ich, während hinter mir ein gelangweilter Backpacker mit Chipstüte entlang schlurft und ein lockeres ‚Hey!‘ ruft.
„Na, du hast ja auf jeden Fall genug Männer um dich rum, bestimmt hübsche Surfer!“
Was soll ich dazu sagen? Sie redet weiter, „ich weiß nicht, hier gibt es eigentlich nichts Neues. Das übliche eben. Ich hoffe der Typ aus der Bücherei spricht mich endlich mal an.“ Ich weiß, dass Hannah gerade alleine in ihrem Zimmer sitzt, vielleicht auf der Ikea-Couch, vor ihr eine der nach frischen Kirschen duftenden Kerzen und neben ihr ein Berg von Kochzeitschriften. Sie liebt es zu kochen und zaubert immer wieder die köstlichsten Kreationen in größter Perfektion hervor.
Wir wechseln erneut das Thema, denn ich möchte nicht weiter daran erinnert werden, dass ich zwar einen Freund habe, wir aber trotzdem beide alleine sind. Ja, vielleicht sind hier viele interessante Männer, aber was soll ich mit ihnen anfangen, wenn ich doch eine Beziehung habe? Ein wenig erzählen, vielleicht auf einen Berg steigen, aber nicht mehr.
Wir quatschen СКАЧАТЬ