Sprachlos studieren - Mein Auslandssemester in Lateinamerika, Costa Rica. Manuela Dörr
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Название: Sprachlos studieren - Mein Auslandssemester in Lateinamerika, Costa Rica

Автор: Manuela Dörr

Издательство: Bookwire

Жанр: Сделай Сам

Серия:

isbn: 9783738027655

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      Ich bändige meine langen braunen Strähnen zu einem festen Zopf. Dann greife ich in meine Jackentasche und fische nach Proviant, bis ich neben meinem Handy in einer Tüte fünf Erdnüsse und zwei Rosinen finde. Während ich inne halte und schwer atmend kaue, werfe ich einen Blick zurück.

      „Clémence?“, frage ich ins Nichts, esse die letzte Nuss und warte einige Sekunden, „kommst du?“

      Stille. Ich bin alleine, alleine in der Natur. Alleine an einem Ort in fast viertausend Metern Höhe, von dem ich vor vier Monaten, im Januar, noch nie gehört hatte. An dem niemand ist, auch keine Verantwortung, Sprache, Pflicht oder Rettung.

      Er hupt zweimal laut, dann rast er mit Vollgas über die Kreuzung. Er scheint keine Acht auf die anderen Taxen und Monster-LKW zu geben, deren farbige Stahlkarosserien im Sonnenlicht glänzen. Die knallgelbe Ampel, die an einem über die Straße gespannten Drahtseil baumelt, war gerade erst auf rot umgeschlagen. Ich werde abrupt in den Sitz gedrückt.

      „Nicht… links abbiegen?“, weise ich den Fahrer des signalroten PKWs irritiert an, schließlich kenne ich den Weg. Er scheint sich ertappt zu fühlen und biegt an der nächsten Kreuzung ab. Entspannter lehne ich mich wieder zurück und suche vergeblich den Anschnallgurt und dessen Steckplatz in der Sitzreihe. Im Rückspiegel sehe ich den Fahrer, der meine Suche belächelnd verfolgt, sodass ich aufgebe, um mich nicht weiter als Tourist zu enttarnen. Wir brausen durch kleine Straßen, nehmen eine scharfe Linkskurve, die überwuchert ist mit verflochtenen Büschen, sodass kein Lichtstrahl hindurch kommt. Wir scheinen Kreise in der Hauptstadt zu drehen und sie nicht zu verlassen. Fast immer stehen Häuser am Straßenrand, in deren Vorgärten Laubbäume oder Sträucher über die in allen Farben bemalten Gitter und Mauern ragen. Nach zehn Minuten rasanter Fahrt stoppt er endlich.

      „Viertausendfünfhundert Colones“, raunt er nach hinten und streckt mir seine Hand entgegen, um das Geld in Empfang zu nehmen. Angeblich sind wir mit dem Taximeter namens ‚María‘ zu meiner neuen Vermieterin gefahren, doch ich kann kein Gerät entdecken.

      Ich zögere, das sind fast sechs Euro fünfzig und laut Juan, dem hilfsbereiten Hostelmitarbeiter, dürfte die Fahrt maximal drei Euro kosten. Mir fallen die spanischen Wörter zum Diskutieren nicht ein, deshalb gebe ich nach und zahle den Wucher. Immerhin, der stämmige Fahrer wuchtet mein dreiundzwanzig Kilogramm schweres Koffermonster aus dem Wagen, als ich aus dem leuchtenden Taxi steige, und stellt es vor der Haustür ab. Dann steigt er wieder ein und braust in einer Staubwolke davon.

      Das ist mein neues Zuhause für die nächsten fünf Monate!

      Mein Blick fällt auf die große weiße Mauer, auf der sich ein dreißig Zentimeter hoher Stacheldraht windet. Während ich den kleinen Knopf der Klingel drücke, lasse ich meinen Blick über die vergitterten Nachbarhäuser und die einsame Straße schweifen. Ob es hier wirklich so sicher ist?

      Nichts passiert, nach zwei Minuten drücke ich erneut. Was tue ich, wenn María, meine neue Vermieterin, nicht öffnet? Wie könnte ich wieder zurück zum Hostel kommen? Warum habe ich ihr so sehr vertraut? Ich kenne sie doch gar nicht!

      Niemand öffnet.

      Ich seufze, dann zücke ich mein Handy und wähle die Nummer, die María mir vorgestern auf einen Zettel gekritzelt hat. Telefonieren auf einer Fremdsprache ist die Königsdisziplin. Es tutet, diesmal nimmt jemand ab. Aus dem Hörer plärrt ein schnelles Spanisch, im Hintergrund höre ich Musik und Stimmen. Ich kann mir die passende Mimik und Gestik zu den Worten nicht vorstellen, deshalb verstehe ich nur die Hälfte. Dann legt sie auf. Sie kommt gleich, glaube ich.

      Ich schleife den Koffer an einem Schlagloch vorbei bis an die Wand und setze mich auf das Ungetüm. Für meine nächste längere Reise nach Südamerika werde ich auf einen großen Rucksack umsteigen, der ist handlicher.

      Drei Kinder huschen auf Bobbycars vorbei. Zwei junge Männer machen sich an einem Erdberg vor ihrer Haustür zu schaffen und schaufeln dynamisch um die Wette. Gegenüber flattert ein leichter Vorhang, es muss die Zielfahne sein, denn die drei Kinder drehen nun bereits kreischend und lachend die dritte Runde.

      Eine Stunde ist seit unserem Gespräch vergangen. Zum Glück ist es in San José ganzjährig recht kühl, sonst würde ich in der prallen Sonne einen Hitzschlag bekommen. Es muss merkwürdig für die Bewohner sein, dass eine Europäerin seit einer Stunde vor dem Haus ihrer Nachbarin sitzt.

      Reggaemusik hallt durch die Straße und ein junger Mann fährt in seinem Auto vorbei. Er erreicht schließlich meine Höhe und wird langsamer. Ich meide den Blickkontakt und zum Glück fährt er weiter. Verstohlen schaue ich nun immer öfter auf meine Uhr…

      Dann endlich! Ein silberner Geländewagen fährt vor, auf dem Beifahrersitz meine Vermieterin. Sie öffnet per Fernbedienung das Tor und ich folge dem Wagen ins Innere. Hinter uns schließt sich die Metallwand wieder.

      „Buenos días, Manuela“, grüßt mich María, als sie aussteigt. Ihre Haare sind streng zu einem Pferdeschwanz gebunden und ihr rundliches Gesicht zur Eingangstür gerichtet. Wir gehen über den hellen Innenhof und betreten das Haus durch die unverschlossene Tür. Dort stehen drei wuchtige Couchen, deren Lehnen mit edlem dunklem Holz gearbeitet sind, und ein dazu passender Holztisch. Wir stehen im dunklen Wohnzimmer, welches in die Küche übergeht. Einen Flur scheint es nicht zu geben. María und ihre Tochter Patricia haben wegen mir eine Feier verlassen, entnehme ich ihren Worten. Dann stöckelt sie mit ihren schwarzen Lackschuhen über die Fliesen auf mein Zimmer zu und streckt den Arm wegweisend aus: „Ihr Zimmer.“

      Ich sehe einen dunkelbraunen Kleiderschrank, einen kleinen Schreibtisch und ein Bett, auf dem fein säuberlich eine helle Decke mit pastellrosa Blümchen und cremefarbener Spitzenkante liegt. Euphorisch lege ich meinen Koffer auf den beige bemusterten Fliesenboden, krame in seinem Innern und verwandle diesen etwa zehn Quadratmeter großen Raum in mein Reich.

      Ordnung! Endlich habe ich meine Kleidung, meine Fotoausrüstung und meine Bücher im Blick. Drei Wochen habe ich im Hostel aus dem Koffer gelebt, jetzt weiß ich einen Schrank zu schätzen.

      Ich kann María im Erdgeschoss des zweistöckigen Hauses nicht finden. Aber wo finde ich das Bad? Und wo in der Küche darf ich meine Lebensmittel verstauen? Nicht einmal einen Eingangsschlüssel habe ich bekommen. Ich setze mich an meinen Schreibtisch und werfe einen Blick in mein Spanischbuch. Das Rascheln des Papiers, wenn ich eine Seite umschlage, durchschneidet die merkwürdige Stille. Zuerst tippe ich mit dem Stift auf den Tisch, dann schalte ich Musik über mein Smartphone ein. Immer wieder schaue ich durch die Gardine in den steinernen Garten: Dort passiert nichts. Die weißen Mauern, der weiße Betonboden und die drei weißen Badeliegen scheinen miteinander verschmolzen zu sein. Keine einzige Pflanze, lediglich eine Ecke des türkisfarbenen Swimmingpools sehe ich, doch darin befindet sich kein Wasser.

      Bis gerade war ich noch permanent umgeben von Backpackern, die mir ihre schillernden Geschichten auf Englisch erzählten und jetzt… Ich schlucke den Kloß herunter und wende mich wieder meiner Lektüre zu, als aus der Küche unverständliche Wortfetzen in mein Zimmer durch die spaltweit geöffnete Tür dringen.

      Mein Einsatz! Auf dem Weg zur Küche kommt Monchis auf mich zugelaufen, springt im Kreis um mich herum und beginnt schwanzwedelnd an meiner Hose zu schnuppern. Sie erinnert mich an die eingelaufene Variante eines Dalmatiners.

      Die Hosteltiere scheinen eine bleibende Duftnote auf meinem Kleidungsstück hinterlassen zu haben. Ich kraule die Hündin, die sich direkt auf den Rücken wirft und genussvoll quietschend alle Viere in die Höhe strampelt. Von den Damen werde ich nicht beachtet, es fühlt sich so an, als ob ich schon immer hier wohnen würde.

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