Название: Weihnachtserzählungen - 308 Seiten
Автор: Charles Dickens
Издательство: Bookwire
Жанр: Языкознание
isbn: 9783742762993
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meines ganzen Schläfchens schweigend neben mir zu stehen
schien. Ich war auf der Landstraße, neben der Landstraße, an
allen möglichen Orten, in Nord und Süd und Ost und West,
soweit der Wind im Lande bläst, hier und dort und am anderen
Ort, über die Berge und weiter fort, und noch immer stand sie
schweigend neben mir mit ihrem schweigenden Kind in den
Armen. Erst als ich aus dem Schlaf auffuhr, schien sie zu
verschwinden, als hätte sie noch einen einzigen Augenblick zuvor
an dieser selben Stelle neben mir gestanden.
Ich war durch ein wirkliches Geräusch geweckt worden, und
dieses Geräusch kam von den Karrenstufen. Es war der leichte,
rasche Schritt eines Kindes, das hinaufkletterte. Dieser
Kinderschritt war mir einst so vertraut gewesen, daß ich einen
halben Augenblick lang glaubte, ich würde einen kleinen Geist zu
Gesicht bekommen.
Aber wirkliche Kinderhände berührten die äußere Klinke der
Tür, die Klinke wurde niedergedrückt, die Tür öffnete sich ein
wenig, und ein wirkliches Kind guckte herein. Ein hübsches
kleines Mädchen mit großen dunklen Augen.
Die Kleine blickte mich voll an und nahm ihren winzigen Strohhut
ab, wobei dichte schwarze Locken um ihr Gesichtchen fielen.
Dann öffnete sie ihre Lippen und sagte:
»Großvater!«
»O mein Gott!« rief ich aus. »Sie kann sprechen!«
»Ja, lieber Großvater. Und ich soll dich fragen, ob ich dich an
jemand erinnere.«
Im nächsten Augenblick hing Sophy, ebenso wie die Kleine, an
meinem Hals, und ihr Gatte preßte mir die Hand, während er
sein Gesicht zu verbergen suchte, und wir mußten uns alle
zusammennehmen, bevor wir uns fassen konnten. Aber als wir
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allmählich ruhiger wurden und ich sah, wie die hübsche Kleine
freudig und rasch und eifrig mit ihrer Mutter sprach in denselben
Zeichen, die ich diese zuerst gelehrt hatte, da rollten mir die
glücklichen und doch mitleidvollen Tränen über das Gesicht.
glücklichen und doch mitleidvollen Tränen über das Gesicht.
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Mrs. Lirripers Fremdenpension
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Erstes Kapitel
Wie Mrs. Lirriper das Geschäft führte
Daß sich jemand mit Zimmervermieten abplagen wollte, wenn es
nicht eine alleinstehende Frau ist, die für ihren Lebensunterhalt
sorgen muß, das ist mir gänzlich unverständlich, meine Liebe;
entschuldigen Sie die Freiheit, aber die Anrede kommt mir ganz
natürlich über die Lippen, wenn ich in meinem kleinen
Wohnzimmer mein Herz allen denen öffnen möchte, denen ich
trauen kann. Ich wäre dem Himmel ewig dankbar, wenn das die
ganze Menschheit wäre, aber leider ist das nicht der Fall, denn
Sie brauchen bloß einen Zettel »Zimmer zu vermieten« im
Fenster haben und Ihre Uhr auf dem Kaminsims liegen zu lassen,
und schon ist sie auf Nimmerwiedersehen verschwunden, wenn
Sie sich bloß eine Sekunde lang umwenden. Aber auch die
Zugehörigkeit zu Ihrem eigenen Geschlecht ist noch lange keine
Garantie, wie ich am Beispiel der Zuckerzange gesehen habe,
denn jene Dame (und hübsch sah sie aus) ließ mich nach einem
Glas Wasser laufen, unter dem Vorwand, sie käme demnächst
nieder, was sich auch als richtig erwies, aber sie kam zur
Polizeiwache nieder.
Nummer einundachtzig Norfolk Street, Strand, auf halbem Weg
zwischen der City und dem St.-James-Park und nur fünf Minuten
von den besuchtesten öffentlichen Vergnügungsstätten entfernt –
von den besuchtesten öffentlichen Vergnügungsstätten entfernt –
das ist meine Adresse. Ich wohne in diesem Haus schon seit
langen Jahren zur Miete, wie das Grundsteuerbuch bezeugen
kann; und ich wünschte, mein Hauswirt wüßte diese Tatsache
ebenso zu würdigen wie ich selbst, aber nein, nicht für ein halbes
Pfund Neuanstrich, und wenn es ihm ans Leben ginge; nicht
einen neuen Ziegel aufs Dach, meine Liebe, und wenn Sie auf
den Knien vor ihm lägen.
Sie werden noch niemals Nummer einundachtzig Norfolk Street,
Strand, in Bradshaws Kursbuch gefunden haben, meine Liebe,
und so Gott will, werden Sie es auch niemals darin finden. Es
gibt zwar Leute, die keine Selbsterniedrigung darin sehen, ihren
Namen so zu verunehren, und sie gehen sogar bis zu einem Bild
von ihrem Haus, das dem Original jedoch ganz unähnlich ist, mit
einem Klecks in jedem Fenster und einer vierspännigen Kutsche
vor der Tür. Aber was Miß Wozenham weiter unten auf der
anderen Seite der Straße recht ist, ist mir noch lange nicht billig,
da Miß Wozenham ihre Anschauungen hat und ich die
meinigen. Obwohl es ja darauf ankommt, wie Sie es vor Ihrem